„Wir werden auf Bankdatenkäufe verzichten können“



Bundesfinanzminister Schäuble im Interview mit der Neuen Züricher Zeitung zur Einigung im Steuerstreit mit der Schweiz

Herr Minister, die Schweiz und Deutschland haben sich auf ein neuesDoppelbesteuerungsabkommen [Glossar] und eine gemeinsame Erklärung zu Steuerfragen geeinigt. Wird Deutschland nun auf den Kauf von Bankdaten verzichten?

Ganz so weit sind wir noch nicht. Mit dem revidierten Doppelbesteuerungsabkommen haben wir zum einen den wichtigen Schritt gemacht, einen Informationsaustausch nach den OECD[Glossar]-Standards festzulegen.

Zum andern haben wir in der gemeinsamen Erklärung vereinbart, die Zusammenarbeit in Finanz- und Steuerfragen zu vertiefen. Beide Seiten stimmen überein, dass Deutschland und die Schweiz dabei eine Zusammenarbeit anstreben werden, die in ihrer Wirkung dem automatischen Informationsaustausch im Bereich der Kapitaleinkünfte dauerhaft gleichkommt. Das wird präventive Wirkung gegen Steuerflucht [Glossar] entfalten. Wir sollten die Menschen vor der Versuchung bewahren, sich den Steuergesetzen zu entziehen, indem sie Vermögen ins Ausland bringen, um es so einer Besteuerung zu entziehen.

Wo sehen Sie die Knackpunkte in den jetzt folgenden Verhandlungen?

Für die Frage zukünftiger Erträge auf Geldanlagen ist die Linie vorgezeichnet. Wir haben in Deutschland eine Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte, und eine solche Abgeltungssteuer werden wir auch mit der Schweiz vereinbaren. Etwas schwieriger wird die Regularisierung der sogenannten Altfälle. Der Spielraum für Deutschland ist da nicht sehr gross. Wir können jene, die sich nicht gesetzestreu verhalten haben, nicht besserstellen als jene, die ihre Steuern stets ehrlich bezahlt haben.

In den Verhandlungen werden wir die richtige Höhe für eine Abgeltungssteuer finden müssen. Der Steuersatz muss hoch genug sein, damit das Gerechtigkeitsempfinden nicht verletzt wird.

Wenn diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, wird Deutschland von Bankdatenkäufen absehen?

Ja, dann werden wir auf Bankdatenkäufe verzichten können. Das ist auch eines der Verhandlungsziele. Auf dem Weg dahin wollen wir darauf achten, die Akzeptanz der Bevölkerung in dieser Frage nicht zu sehr zu strapazieren. Die Schweiz muss jetzt umfangreiche Amtshilfe in Steuersachen leisten.

Sind die Regelungen aus Ihrer Sicht so gut, dass die Steuerflucht aus Deutschland völlig unattraktiv wird?

Zunächst einmal sehe ich für Steuerflucht überhaupt keine Rechtfertigung. Und Deutschland ist bei der Besteuerung von Einkommen und Vermögen im internationalen Vergleich durchaus wettbewerbsfähig. Darüber hinaus stellt sich aber auch ein generelles Problem, das sich aus der zunehmenden internationalen Verflechtung ergibt – von der die Schweiz und Deutschland wirtschaftlich enorm profitieren. In einer Welt der Grenzenlosigkeit müssen wir auch Missbrauchsmöglichkeiten verstärkt international bekämpfen. Wenn die Regelungsräume global werden, muss ebenfalls die Bekämpfung des Missbrauchs global sein.

«Man muss Prinzipien immer wieder neu überprüfen»
Ist das Bankgeheimnis Makulatur?

Das Schweizer Bankgeheimnis hat viel mit dem Grundverständnis des Schweizer Bürgers gegenüber seinem Staat zu tun. Das muss man respektieren. Wer glaubt, das Bankgeheimnis sei nur eine Art Beihilfe zur Steuerhinterziehung, der hat von der Schweiz nichts verstanden und zeigt nicht den nötigen Respekt gegenüber dem Land und seiner hohen rechtsstaatlichen und demokratischen Kultur. Dennoch: Viele Rechtstraditionen, die uns im Laufe der Geschichte selbstverständlich geworden sind, werden durch moderne Entwicklungen in Frage gestellt. Man kann nicht mehr sagen, das war immer so, daran ändern wir nichts. Man muss Prinzipien immer wieder neu überprüfen.

Hat das Bankgeheimnis in der heutigen Welt keinen Platz mehr?

Ich lehne totale Kontrolle ab. Wir sollten uns möglichst viel Raum für Privatheit bewahren. Doch wir müssen auch dafür sorgen, dass geltende Gesetze eingehalten werden. Vielleicht haben wir davon zu viele, aber das ist ein anderes Thema. Wenn rechtliche Regelungen in der Lebenswirklichkeit nicht mehr eingehalten werden, gerät das zum grossen Problem. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass Steuergesetze nur für die gelten, die weniger clever vorgehen.

Sehen Sie die Gefahr, dass deutsche Steuerflüchtlinge auf andere «Steueroasen» wie Singapur ausweichen?

Wir müssen den Druck auf solche Länder aufrechterhalten, damit wir zu besseren Regelungen kommen. Mit Singapur sind wir in guten Gesprächen. Aber es bringt nichts zu sagen: Es gibt auf der Welt irgendwo andere, die sich nicht an unsere Regelungen halten. Wir befinden uns mitten in Europa und müssen hohe Ansprüche an uns selbst richten. Im Übrigen hat mich das Argument des Ausweichens von Steuerflüchtlingen nie überzeugt. Für den Bürger in Deutschland macht es zweifellos einen Unterschied, ob er das mühsam erwirtschaftete Vermögen auf fernen Inseln anlegt oder in einem Land wie der Schweiz, das man zu Recht für besonders solide und zuverlässig hält.

«Die Deutschen sehen die Schweiz als Hort der Stabilität und Verlässlichkeit»
Sie machen sich also keine Sorgen um den Schweizer Finanzplatz?

Nein, die Deutschen etwa sehen die Schweiz als einen Hort der Stabilität und Verlässlichkeit an. Bundesrat Merz hat stets betont, das sei einer der grossen Standortvorteile der Schweiz, den man sich bewahren wolle. Deshalb hat die Schweiz auch das grösste Interesse daran, aus dem zum Teil überzogenen, zum Teil aber auch nicht völlig unbegründeten Image eines Hafens für Steuerflüchtlinge herauszukommen.

Bringt der Druck auf andere «Steueroasen» schon Ergebnisse?

Wir haben im Rahmen des OECD-Prozesses eine Menge erreicht, vielleicht mehr, als man anfangs erwartet hätte. Das muss jetzt fortgesetzt werden.

Müsste Deutschland nicht eher bei sich selbst ansetzen und die Steuer [Glossar]- und Sozialabgabenlast senken, damit es weniger Steuerflucht gibt?

Diese Sicht teile ich überhaupt nicht. Die Steuer- und Sozialabgabenlast in Deutschland korrespondiert mit den Erwartungen des Volkes an staatliche Leistungen wie Infrastruktur und soziale Sicherheit. Das zeigt auch die aktuelle Debatte über die Haushaltskonsolidierung in Deutschland. Jede Ausgabenkürzung stösst auf erbitterten Widerstand. Das gilt besonders für die Sozialleistungen, die mit Abstand den grössten Teil der Staatsausgaben ausmachen. Nach der öffentlichen Debatte zu urteilen, werden unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit eher mehr als weniger Leistungen erwartet.

Ist es nicht ein störender Aspekt der Abgeltungssteuer, dass Steuerflüchtlinge anonym bleiben können?

Wenn jemand in Zukunft Abgeltungssteuer zahlt wie in Deutschland auch, ist er kein Steuerflüchtling mehr. Für die Altfälle müssen wir tatsächlich noch eine Lösung finden. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Im Grunde werden die Schweizer Banken ihren deutschen Kunden drei Optionen anzubieten haben. Erstens können diese nachweisen, dass sie mit dem deutschen Fiskus im Reinen sind. Zweitens können sie dafür optieren, einen Abgeltungssteuersatz zu zahlen, der über jenem für zukünftige Erträge liegen wird, um hinterzogene Gelder der Vergangenheit zu berücksichtigen. Wenn jemand weder das eine noch das andere will, kann er drittens die Kundenbeziehung beenden. Die Schweiz und Deutschland haben ein gemeinsames Interesse daran, dass die Betroffenen von der ersten oder zweiten Option Gebrauch machen.

Wir wollen nicht erreichen, dass Gelder anderswo hin verschoben würden.Erwarten Sie keinen Protest in Deutschland nach dem Muster: Es verstösst gegen die soziale Gerechtigkeit, wenn Steuerflüchtlinge nicht einzeln bestraft werden.Mit der Abgeltungssteuer müssen wir naturgemäss gewisse Pauschalierungen vornehmen, das bedeutet immer auch eine Vereinfachung. Aber wir arbeiten hier für ein höheres Mass an Steuergerechtigkeit. Das sollte keinen Protest verursachen.

«Wir arbeiten für ein höheres Mass an Steuergerechtigkeit»
In der Schweiz anfallende Kapitalerträge von EU-Bürgern werden bereits von der EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie erfasst. Müssen deutsche Anleger in der Schweiz jetzt mit Doppelzahlungen rechnen?

Nein, unsere Regelungen mit der Schweiz stellen eine ergänzende Lösung dar. Aber man wird in den kommenden Verhandlungen noch viel Arbeit darauf verwenden müssen, wie das praktisch umgesetzt werden soll. Klar ist, dass die Abgeltungssteuer auch andere Einkünfte erfasst als die EU-Zinsbesteuerung, so beispielsweise auch Dividenden und Veräusserungsgewinne.

In Brüssel wird häufig betont, EU-Recht gehe vor. Was hat für Sie Vorrang?

Soweit die EU die Kompetenz zur Regelung hat – und da gilt immer noch das Subsidiaritätsprinzip –, geht europäisches Recht vor. Die EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie hat Vorrang in dem Bereich, in dem sie gilt. Wir schöpfen den Raum aus, der durch die europäischen Regelungen nicht abgedeckt ist.

Hat Deutschland die Kompetenz, aus dem EU-Rahmen auszuscheren und weitergehende Abkommen mit der Schweiz zu schliessen?

Wir sehen dieses Problem nicht. Auch Grossbritannien hat mit der Schweiz ein Abkommen mit vergleichbarem Inhalt abgeschlossen. Und ich wäre nicht überrascht, wenn das noch mit weiteren EU-Mitgliedern geschähe. Das zeigt: Was wir machen, ist nicht nur im Interesse der Schweiz und Deutschlands, sondern auch im europäischen Interesse.

Sehen Sie die mit der Schweiz gefundenen Regeln als Vorbild für eine europaweite Lösung des Steuerstreits?

Ich benutze den Begriff Vorbildcharakter ungern. Aber die Tatsache, dass Grossbritannien eine vergleichbare Regelung unterzeichnet hat, zeigt, dass andere in Europa nicht für grundlegend falsch halten, was wir mit der Schweiz entwickelt und unterzeichnet haben.

Wird der automatische Informationsaustausch in der Europäischen Union nicht umfassend umgesetzt?

Doch, das wird so kommen. Aber gerade deshalb war es wichtig, dass wir mit der Schweiz eine in ihrer Wirkung vergleichbare Lösung zum automatischen Informationsaustausch gefunden haben. Länder wie Luxemburg und Österreich haben dem Informationsaustausch bisher nicht zustimmen wollen, weil sie forderten, vergleichbare Regeln müssten insbesondere auch für die Schweiz gelten. Diese Bedingung wird demnächst zwischen Deutschland und der Schweiz erfüllt sein. Doch kann man die Zustimmung in der EU zu Steuerfragen nicht erzwingen, da Einstimmigkeit erforderlich ist. Man kann nur dafür werben.

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland war in den letzten Monaten ziemlich belastet. Sind jetzt alle Spannungen ausgeräumt?

Ich habe das Verhältnis nie als belastet angesehen. Es war bedauerlich, dass es Entwicklungen gegeben hat, die in beiden Ländern sehr unterschiedlich wahrgenommen wurden. Ich habe meine Verantwortung als Finanzminister immer so verstanden, dem entgegenzuwirken und für gegenseitigen Respekt einzutreten. Ich glaube, Bundesrat Merz und ich haben uns sehr verantwortungsvoll und erfolgreich dafür engagiert, den Steuerstreit auszuräumen. Es gibt immer Probleme, die es zu lösen gilt, zwischen der Schweiz und Deutschland und anderswo. Aber ich sehe keine Spannungen zwischen Deutschland und der Schweiz.

Interview: Matthias Benz (Berlin)

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