„Wir müssen mehr investieren und unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern“



Interview mit der Welt am Sonntag vom 19. Oktober 2014.

Das Gespräch führten Jan Dams und Martin Grieve

WamS: Herr Minister, wie oft schallt Ihnen der Name des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering international entgegen?

Schäuble: Nie. Warum?

WamS: Weil er die letzte deutsche Strukturreform durchgesetzt hat: die Rente mit 67. Acht Jahre ist das her. Ist es nicht wohlfeil, von anderen Ländern Reformen zu fordern, wenn man selbst die Hände in den Schoß legt?

Schäuble: Wir haben viel bewegt, haben die Ausgaben für Bildung und Forschung hochgefahren und die Kommunen entlastet, damit diese mehr investieren können. Aber hier ist noch Luft nach oben. Daran arbeiten wir.

WamS: Sie tun doch das Gegenteil. Die Rentenpakete, Mindestlohn, Pflegezeit. Diese Regierung sorgt für schlechte Stimmung in der Wirtschaft.

Schäuble: Den Vorwurf kenne ich. Er geht aber ins Leere. Die Wählerinnen und Wähler haben sich im Ergebnis für die große Koalition entschieden. Wir haben unsere zentralen Positionen – keine Steuererhöhungen und die Fortsetzung unserer soliden Finanzpolitik – durchgesetzt. Aber auch die SPD musste sich mit ihren Anliegen wiederfinden.

WamS: Das heißt, alle wirtschaftlich schlechten Entscheidungen haben die Sozialdemokraten zu verantworten?

Schäuble: Nein, wir haben sie gemeinsam beschlossen. Wir tragen dafür gemeinsam die Verantwortung. Ich teile auch nicht die Einschätzung, dass die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren eine so dramatische Wirkung hat, wie einige jetzt behaupten, genauso wenig wie der Mindestlohn.

WamS: Aber die Maßnahmen drücken auf die Stimmung und damit das Wachstum.

Schäuble: Nun machen Sie mal einen Punkt. Politische Stabilität ist eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Schauen Sie sich doch einmal in Europa um. Der Mangel an politischer Zustimmung geht oft einher mit schlechter wirtschaftlicher Stimmung.

WamS: Deutschland ist nicht mehr Klassenprimus, im Ausland werden Sie für Ihren Sparkurs kritisiert, vom „Wirtschaftsterroristen Schäuble“ ist die Rede. Wie fühlen Sie sich da?

Schäuble: Bei allem Respekt: Wenn alle Euro-Länder so stark wachsen würden wie Deutschland im Augenblick, hätten wir keine Probleme. Das Gerede, die deutsche Wirtschaft stecke in der Krise, ist in keiner Weise begründet. Und der Vergleich mit Schwellenländern, die gerade stärker wachsen als wir, führt doch in die Irre. Die müssen stärker wachsen als eine entwickelte Volkswirtschaft.

WamS: Na, dann lehnen wir uns mal entspannt zurück.

Schäuble: Nein, gerade nicht. Wir müssen mehr investieren und unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Da müssen wir ran – und zwar bald und konkret. Da ist die Kritik an uns durchaus berechtigt. Nur wollen wir nicht Wachstum auf Pump. Wir sind seit Jahren dabei, die hohe Verschuldung zurückzufahren. Ihnen, den Journalisten, hat unsere wachstumsschonende Konsolidierung in den letzten Jahren doch nie ausgereicht. Viel mehr hätten wir machen sollen, wenn es nach Ihnen gegangen wäre. Und jetzt, wo sich die wirtschaftliche Lage etwas abschwächt, kritisieren Sie, dass ich an unserer Haushaltsplanung festhalte. Das nicht zu tun wäre doch unsolide.

WamS: Können Sie die schwarze Null im kommenden Jahr überhaupt noch halten, wenn sich die Konjunktur so abschwächt?

Schäuble: Davon gehe ich fest aus. Die Steuereinnahmen reagieren nicht so schnell auf konjunkturelle Veränderungen. Genaueres wissen wir nach der Steuerschätzung im November.

WamS: Wo schneiden Sie noch etwas weg im Haushalt?

Schäuble: Sicher ist der finanzielle Spielraum kleiner geworden.

WamS: Müssen Sie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nicht mehr Geld bereitstellen, wenn man sich die Weltlage so anschaut?

Schäuble: Kurzfristig wird sich im Verteidigungshaushalt wenig ändern. Mittelfristig kann es aber sein, dass wir das Verteidigungsbudget aufgrund der geopolitischen Risiken werden erhöhen müssen. Entscheidend ist, dass wir in der EU und in der Nato ein verlässlicher Partner sind, um für eine Friedens- und Freiheitsordnung auf der Welt einzustehen.

WamS: Ist die schwarze Null das Primat Ihrer Politik?

Schäuble: Ist sie nie gewesen. Aber wir müssen halten, was wir versprochen haben. Und wir haben versprochen, in einer berechenbaren Weise die viel zu hohe Verschuldung abzubauen. Nur so schafft man Vertrauen.

WamS: Sie können doch gar nicht anders, als blind an der schwarzen Null festzuhalten. Sie ist der letzte verbliebene Markenkern der Union.

Schäuble: Die Union steht für viel, viel mehr. Sie ist die einzige Partei, die sich für alle Teile der Bevölkerung verantwortlich fühlt.

WamS: Hand aufs Herz: Wenn es mit der Konjunktur weiter bergab geht, werden Sie dann stärker sparen?

Schäuble: Welchen Sinn macht es, einem Finanzminister eine solche Frage zu stellen? Ich spekuliere nicht, ich halte mich an Fakten. Wir bereiten uns selbstverständlich auf möglichst viele Eventualitäten vor. Krisenszenarien herbeizureden nützt aber niemandem. Die schwächere Entwicklung der Konjunktur spiegelt die veränderte Weltlage wider.

WamS: Ist es wirklich nur das? Gerade erst brachen die Börsen ein. Angeblich vermessen die Investoren die Welt neu und kommen zu schlechten Ergebnissen. Müssen Sie Ihre geschrumpften Wachstumsprognosen bald wieder korrigieren?

Schäuble: Die EZB erwartet, dass die Konjunktur in der Euro-Zone in den nächsten beiden Quartalen wieder anziehen wird.

WamS: Von der Unruhe ist auch Griechenland betroffen, das wieder deutlich höhere Zinsen für neue Schulden zahlen muss. Sollte Athen nicht alle Hoffnungen fahren lassen, ab Jahresende ohne Hilfe auszukommen?

Schäuble: Griechenland muss die vereinbarten Reformen weiter konsequent umsetzen. Im eigenen Interesse. Verlässlichkeit schafft Vertrauen – auch an den Märkten.

WamS: Sie wollen angeblich die Investitionen in Deutschland stärken. Wie soll das gelingen, ohne in anderen Bereichen zu kürzen?

Schäuble: Ich sage seit geraumer Zeit: Wir brauchen mehr Investitionen. Daran arbeiten wir, national und auf europäischer Ebene. Das geht alles nicht über Nacht. Aber wir müssen bestimmte Dinge jetzt angehen, etwa die europäische Digital -Union, die Energie -Union oder den dauerhaften Erhalt unserer Infrastruktur.

WamS: Und dafür brauchen wir die Pkw-Maut für Ausländer?

Schäuble: Die Infrastrukturabgabe soll zusätzliche Mittel bringen. Aber Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat nie behauptet, nur damit Infrastrukturprojekte finanzieren zu können. Das ist nur Teil unserer Bemühungen.

WamS: Ein letztes Reizthema: Fürchten Sie, die AfD erhält weiter Auftrieb?

Schäuble: Ich nehme den politischen Wettbewerb ernst. Aber wir sollten nicht mit der AfD in einen Wettlauf um Vorurteile einsteigen. Ich vertraue auf die demokratische Überzeugungskraft.

WamS: Ist die AfD nicht Fleisch vom Fleische der CDU und damit der ideale Koalitionspartner der Union?

Schäuble: Diese Fragen habe ich schon beim Aufkommen der Republikaner gehört, und sie haben sich schnell wieder erledigt. Ich denke, so wird es auch der AfD gehen.