„Wir leben nicht auf der Insel der Seligen“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Rheinischen Post

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble drückt bei der geplanten Beschleunigung des Atomausstiegs auf die Bremse. Zu den deutschen Hilfen zur Euro [Glossar]-Rettung sieht der CDU-Politiker keine Alternative. Da auch bereits die Finanzkrise den Staat viel Geld gekostet hat, seien die Spielräume für Steuersenkungen in Zukunft begrenzt.

Rheinische Post: Herr Minister, der Rücktritt Westerwelles als FDP-Chef erschüttert auch die Bundesregierung. Fühlen Sie sich daran mitschuldig, weil Sie Steuersenkungen bisher verhindert haben?

BM Schäuble: Nein! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Politik muss sich immer an den Realitäten orientieren – gerade auch Finanzpolitik [Glossar]. Wir haben das Glück, aber auch die Herausforderung, in einer Zeit zu leben, in der sich unglaublich viel verändert. Mit unserer soliden Haushaltspolitik wollen wir uns Handlungsspielräume schaffen. Aber Ereignisse wie die Eurokrise oder die Atomkatastrophe in Japan konnten wir nicht voraussehen.

Rheinische Post: Immerhin standen im Koalitionsvertrag Entlastungen von 24 Milliarden.

BM Schäuble: Wir haben im Koalitionsvertrag den Vorrang auf die Haushaltskonsolidierung gelegt. Und zwar als Reaktion auf eine zuvor erfolgreich gemeisterte Krise, nämlich die Finanz- und Bankenkrise. Und in dieser Situation haben wir in der Koalition vollbracht, was viele vorher für unmöglich hielten: Sanierung der Haushalte [Glossar] bei gleichzeitigemWirtschaftswachstum [Glossar]. Das ist ein Erfolg, der allen Koalitionspartnern zugute kommt.

Rheinische Post: Die Wähler in Baden-Württemberg, im Stammland der Union, haben das nicht gewürdigt. Ist nur die Atomkatastrophe in Fukushima daran schuld?

BM Schäuble: Kein Mensch zweifelt daran, dass Union und FDP ohne die Katastrophe in Japan in Baden-Württemberg wieder die Mehrheit bekommen hätten. Das bestreiten nicht einmal die Grünen.

Rheinische Post: Die Wähler haben Ihnen die abrupte Energiewende aber nicht geglaubt.

BM Schäuble: Die Landtagswahl war nicht das Motiv dafür. Mit oder ohne Landtagswahl hatten wir angesichts der Tatsache, dass etwas eingetreten ist, von dem alle ausgingen, dass es nie passieren könnte, keine andere Entscheidungsmöglichkeit. Das möchte ich ganz klar sagen. Jetzt müssen wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Rheinische Post: Was schlagen Sie vor?

BM Schäuble: Wir müssen fragen: Wie können wir möglichst schnell aussteigen? Wir können nicht über Nacht aus der Kernenergie aussteigen. Klar ist: Sicherheit geht vor. Und dabei dürfen wir auch nicht aus dem Auge verlieren, dass wir nicht auf einer Insel der Glückseligen leben. Es nützt nichts, wenn wir aussteigen, und um uns herum laufen jede Menge Kernkraftwerke weiter – in nahezu allen Nachbarstaaten. Wir sind eingebettet in Europa.

Rheinische Post: Wieso kehren Sie nicht einfach zu dem zurück, was Rot-Grün bereits zum Atomausstieg beschlossen hatte?

BM Schäuble: Das würde doch zu kurz greifen. Die rot-grüne Regierung hat zum Beispiel in den sieben Jahren ihres Bestehens keine zusätzlichen Sicherheitsauflagen mehr gemacht. Das hätten wir nicht stehen lassen können. Wir müssen jetzt aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und ein neues Energiekonzept finden, das tragfähig ist. Leben ist eben ein Wechsel von Versuch und Irrtum.

Rheinische Post: Wird es für Sie nicht sehr teuer, wenn Sie als Folge des Atomausstiegs weniger Brennelementesteuer einnehmen und gleichzeitig die Energiewende mitfinanzieren müssen?

BM Schäuble: Jetzt muss ich doch einmal klar – auch als Finanzminister sagen, dass ich es angesichts der schrecklichen Katastrophe von Fukushima für völlig unangebracht halte, dies auf eine finanzpolitische Dimension zu reduzieren. Wir müssen jetzt die energiepolitischen Entschlüsse fassen, die uns in die Zukunft führen, und erst dann an zweiter Stelle die finanziell dazu passenden Entscheidungen fällen. Wir haben im Kabinett nach dem neuen Haushaltsverfahren die Eckwerte für den Etat 2012 beschlossen. Jetzt werden wir uns um die Einzelheiten kümmern – auch mit Blick auf die jüngsten Veränderungen. Mit unseren Konsolidierungserfolgen sind wir sehr gut darauf vorbereitet. Aber ich habe immer gesagt, dass die Annahmen für die Rahmenbedingungen des Bundeshaushalts 2012 nicht in Stein gemeißelt sind, sondern es sind Festlegungen, die gegebenenfalls an die tatsächliche Entwicklung angepasst werden müssen. Darauf müssen wir dann dementsprechend reagieren.

Rheinische Post: Vor Einführung des Euro wurde den Deutschen versprochen, dass sie ihr Geld nicht zur Rettung anderer Euro-Länder hergeben müssen. Nun brechen Sie dieses Versprechen. Wie erklären Sie das den Steuerzahlern?

BM Schäuble: Man soll nicht so tun, als habe man immer schon alles gewusst. Ich habe am Beginn der Euro-Krise viel Kritik dafür eingesteckt, als ich gesagt habe, wir brauchen einen dauerhaften Rettungsmechanismus für Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Mithaftung privater Gläubiger war gegen den Willen vieler anderer Beteiligter kurzfristig nicht durchsetzbar. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen diese Gläubigerhaftung aber auf jeden Fall ab 2013, wenn der dauerhafte Rettungsmechanismus kommt. Dafür haben wir jetzt die Voraussetzungen geschaffen.

Rheinische Post: Aber das ist doch ein zahnloser Tiger: Die Mithaftung von Banken wurde doch in den Vereinbarungen derart verwässert, dass es sie nie geben wird.

BM Schäuble: Das ist falsch. Die privaten Gläubiger sollen in allen Fällen ab 2013 beteiligt werden, wenn ein Mitgliedsstaat der Eurozone seine Schulden nicht mehr bezahlen kann. Zunächst in Form eines Einwirkens des betreffenden Staates auf seine Gläubiger, sich an der Bewältigung der Krise zu beteiligen für den Fall, dass der Staat zwar keinen Zugang mehr zum Kreditmarkt hat, aber grundsätzlich noch in der Lage ist, seine Schulden selber zu tragen. Und wenn ein hilfesuchendes Land nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden selbst zu bewältigen, dann sind die privaten Gläubiger zwingend dabei. Die Entscheidung, ob dieser Fall vorliegt, wird objektiv und neutral vom IWF, der EZB [Glossar] und der EU-Kommission getroffen. Wenn die drei Institutionen die Schuldentragfähigkeit eines Landes verneinen, kann eine Hilfe nur gewährt werden unter der Voraussetzung, dass die privaten Gläubiger daran beteiligt werden. Ob also die Voraussetzungen für die zwingende Beteiligung der Gläubiger vorliegen, liegt eben nicht im Ermessen der Finanzminister, sondern nur bei diesen drei Institutionen. Das ist eine nicht verhandelbare Bedingung. Die Minister müssen nur einstimmig entscheiden, ob und wenn ja welche Hilfen geleistet werden.

Rheinische Post: Das ist den Bürgern aber nicht erklärt worden. In der Bevölkerung wächst das Unbehagen gegen den Euro.

BM Schäuble: Ich sage denen, die meinen, wir sollten aus dem Euro aussteigen: Wenn der Euro scheitert, haben wir Deutsche den allergrößten Nachteil. Wir hätten weniger wirtschaftliche Leistungskraft, weniger Wachstum, weniger Steuereinnahmen und eine sehr viel höhere Arbeitslosigkeit. Sicher, die Politik hat beim Erklären der Rettungsmechanismen eine Bringschuld. Politik scheitert, wenn es ihr nicht gelingt, der Bevölkerung ihre Entscheidungen ausreichend zu erklären. Deshalb müssen wir wieder und wieder die Zusammenhänge aufzeigen und es nicht so kompliziert machen, dass es keiner mehr versteht.

Rheinische Post: Was macht Sie so sicher, dass der Euro die Schuldenkrise übersteht?

BM Schäuble: Der gesamte Euro-Raum hat aus der Schuldenkrise gelernt und die notwendigen Konsequenzen gezogen. Mit dem Pakt für den Euro und wirksamen Mechanismen zur Einforderung der nötigen Haushaltsdisziplin in den Mitgliedstaaten haben wir solide Voraussetzungen für die Zukunft des Euro geschaffen. Und wir haben einen Mechanismus geschaffen, der für die Zukunft verhindert, dass Krisen einzelner Staaten auf andere übergreifen. Dadurch ist bereits das Vertrauen in den Euro im ersten Quartal des Jahres enorm gewachsen, was sich unter anderem im steigenden Euro-Kurs niederschlägt.

Rheinische Post: Der deutsche Staat hat zwei Billionen Schulden aufgetürmt, und es wird immer noch draufgesattelt: bei der Bankenrettung, bei der Euro-Rettung. Ist nicht irgendwann der Punkt erreicht, wo auch Deutschland überfordert ist?

BM Schäuble: Deshalb haben wir ja die Schuldenbremse [Glossar] geschaffen: Wir müssen auf Dauer die Zunahme der Verschuldung unter der Wachstumsrate halten. Aber wir brauchen auch ein funktionierendes Bankensystem. Deshalb war es richtig, das Finanzsystem zu retten. Und es ist richtig, den Euro mit staatlicher Hilfe stabil zu halten.

Rheinische Post: Gibt es in dieser Periode noch Spielraum für Steuersenkungen?

BM Schäuble: Natürlich haben uns die Maßnahmen, mit denen wir uns erfolgreich gegen die Krise gestemmt haben, etwas gekostet, und die Krise ist nicht spurlos am Haushalt vorbei gegangen. Spielräume für Steuersenkungen müssen wir uns erst erarbeiten. Wir dürfen jetzt in der Ernsthaftigkeit, die Defizite abzubauen, nicht nachlassen.

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