Vielleicht war die Eurozone eine Verführung



INTERVIEW: Alexandra Föderl-Schmid, Andreas Schnauder

STANDARD: Sie haben bei Ihrem Vortrag in Wien gesagt, verantwortliche Politik müsse in Einklang mit den Erwartungen gebracht werden. Was heißt das in Bezug auf Griechenland?

Schäuble: Ich meine, die Verantwortlichen stehen schon in der Pflicht, den Menschen zu sagen, was die Ursachen der Probleme in Griechenland sind. Die liegen nicht in Brüssel, Europa oder Deutschland. Sie liegen darin, dass Griechenland lange über seine Verhältnisse gelebt hat. Vielleicht war die Eurozone auch eine Verführung. All das sollten die Verantwortlichen sagen, denn es ist wichtig, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Reformen zu überzeugen, um aus der Krise herauszukommen. Das ist schwierig. Parolen helfen da nicht weiter.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass die jetzige Regierung von Parolen Abstand genommen hat?

Schäuble: Verantwortliche Führung sollte versuchen, die Erwartungen der Bevölkerung in Übereinstimmung mit der Realität zu bringen. Als ich gelesen habe, dass gesagt wurde, man könne das nicht unerhebliche Problem der Verschuldung durch deutsche Reparationszahlungen lösen, habe ich mich auch gefragt, ob das helfen wird, die notwendigen Entscheidungen in der Öffentlichkeit zustimmungsfähig zu machen. Politik ist von der öffentlichen Meinung mit beeinflusst. Erwartungsmanagement nennt man das.

STANDARD: Gibt es eine Bereitschaft in Berlin, über Reparationszahlungen zu sprechen?

Schäuble: Die Sache ist seit Jahrzehnten geregelt. Deutschland hat am 8. Mai 1945 seine Souveränität für lange Zeit verloren, wir haben sie am 3. Oktober 1990 wiedergewonnen unter den Bedingungen des 2 + 4 -Vertrags. Jetzt sind wir 25 Jahre weiter.

STANDARD: Jetzt gibt es diplomatische Verstimmungen, Griechenland hat sich offiziell beschwert, Sie sollen Ihre griechischen Kollegen beleidigt haben.

Schäuble: Das habe ich natürlich nicht getan, und ich kann nichts dafür, wenn griechische Medien eine Presseunterrichtung des deutschen Finanzministers nicht korrekt übersetzen.

STANDARD: Um Athener Seite ist doch wieder ein Schuldenschnitt ins Gespräch gebracht worden, Thema ist auch ein drittes Hilfsprogramm.

Schäuble: Nein, Alexis Tsipras hat gesagt, sie wollten kein Programm. Der Respekt gebietet, dass wir bei dem bleiben, was der Ministerpräsident gesagt hat. Wir haben noch nie jemandem etwas aufgedrängt, was er gar nicht haben will.

STANDARD: Wie sieht es mit einem weiteren Schuldenschnitt aus?

Schäuble: Als jemand, der das Problem Griechenland gut kennt, weil ich viele Nächte damit verbracht habe, sage ich: Wer im Augenblick über Schuldenschnitt redet, weiß offensichtlich nicht, dass für die nächsten Jahre das Thema Schulden das geringste Problem ist. Griechenland zahlt einen niedrigeren Zinssatz als Deutschland. Ich habe gegen massivste Bedenken der Europäischen Zentralbank zusammen mit dem damaligen griechischen Finanzminister für einen Schulden schnitt gekämpft. Am Ende haben wir 53 Prozent zustande gebracht. Die eigentliche Herausforderung ist: Griechenland muss seine Wirtschaft in Gang bringen.

STANDARD: Apropos: Wie beurteilen Sie den Schuldenschnitt bei der einstigen Hypo Alpe Adria?

Schäuble: Natürlich gibt es da rechtliche Auseinandersetzungen und das Bemühen, in einer komplexen Problemlage zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Aber für das deutsch -österreichische Verhältnis ergeben sich daraus aus meiner Sicht keine Probleme.

STANDARD: Haben Sie schon ausgerechnet, was da auf den deutschen Fiskus zukommt?

Schäuble: Natürlich, das gehört zu einem gut funktionierenden Finanzministerium. Aber ich habe nicht die Absicht, mich darüber zu äußern.

STANDARD: Geht der Ausfall öffentlicher Institute wie NRW-Bank, Pfandbriefbank pbb und Hypo Real Estate in die Milliarden?

Schäuble: Ich habe nicht die Absicht, mich dazu einzulassen, das macht nichts besser. Dass wir nicht über 2,50 Euro reden, ist mir bekannt.

STANDARD: Commerzbankchef Blessing hat erklärt, dass nach der Maßnahme Österreichs auch deutsche Landeshaftungen nichts mehr wert sind. Zudem drohen Verwerfungen an den eandbriejinärkten.

Schäuble: Die Verwerfungen an den Märkten werden sich beherrschen lassen. Ob der Bund für ein Land haftet, ist eine komplizierte Frage. In Deutschland haben wir seit den 80er -Jahren eine Rechtsprechung, dass Bundesländer, wenn sie in existenzielle Schwierigkeiten geraten, von der Solidargemeinschaft anderer Länder und dem Bund Notlagenhilfe bekommen müssen. Das mussten wir für zwei Bundesländer leisten.

STANDARD: Die Frage war, ob Landesgarantien in Deutschland nichts mehr wert sind.

Schäuble: In Deutschland haben wir ein wirksames System, so dass sich Herr Blessing nicht so viele Sorgen machen muss. In Deutschland wickeln wir gerade die Westdeutsche Landesbank ab, an der auch der Finanzmarktstabilisierungsfonds eine stille Einlage hält.

STANDARD: Geldpolitische Aktionen der Europäischen Zentralbank stoßen in Deutschland und Österreich auf Widerstand. Sind die beiden Länder mit dieser Position im Bat isoliert?

Schäuble: Zunächst ist die EZB unabhängig. Deshalb halten sich Finanzminister in Deutschland und Österreich mit der Kommentierung geldpolitischer Entscheidungen zurück. Die Aufgabe der EZB ist eine schwierige, weil sie eine Geldpolitik für 19 Länder mit sehr unterschiedlichen Finanz und Wirtschaftspolitiken machen muss. Das ist eine sehr ambitionierte Aufgabe. Aber auch Zentralbanken sind nicht außerhalb der Politik. Es gibt auch in Deutschland Sorgen wegen der langfristig niedrigen Zinsen. Umgekehrt betont die EZB die Notwendigkeit niedriger Inflationserwartungen. Da gibt es ein interessantes Phänomen: Wir hatten in Deutschland den Spareckzins bei drei Prozent, die Inflationsrate lag bei über drei Prozent. Da waren die Leute ganz zufrieden. Aber wenn es null ist, dann wird geklagt. Das hat mit Erwartungen zu tun. Den Glauben angelsächsischer Ökonomen, der auch im IWF weitverbreitet ist, dass man Wachstumsprobleme mit Finanz- und Geldpolitik lösen kann, teile ich nicht.

STANDARD: Es gibt aber auch Positivbeispiele wie die USA. Sehen Sie nicht einen Zusammenhang, dass die Maßnahmen positiv wirken?

Schäuble: Sie können amerikanische Erfahrungen nicht auf Europa übertragen. Die Amerikaner laufen nicht Gefahr, dass sie das Vertrauen der Finanzmärkte verlieren, denn der Dollar ist die Weltwährung. Vergleiche zwischen Europa und Amerika sind immer schief. Die Präsidentin der Fed, Janet Yellen, hat in mehreren Reden davon gesprochen, dass das Übermaß an Liquidität, an dem die Fed nicht unbeteiligt ist, unter anderem dazu führt, dass das Risiko neuer Blasen steigt. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen auf die Vermögensverteilung dramatisch sind. Wir müssen darauf achten, dass die marktgetriebene Beurteilung der Ökonomen nicht die demokratischen Systeme gefährdet. Wenn wir das Vertrauen der Bevölkerung verlieren, wäre das noch schlechter.

STANDARD: Ein Projekt, das auf europäischer Ebene immer wieder versucht wird, ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Bisher ist das nicht gelungen. Halten Sie weiter daran fest?

Schäuble: Ich halte das Projekt einer Finanztransaktionssteuer für richtig. Wir sind immer stärker in globalisierte Märkte eingebunden, und wir müssen immer stärker Entscheidungen treffen, die dazu passen. Dazu brauchten wir einen globalen Konsens.

STANDARD: Aber das ist nicht realistisch.

Schäuble: Richtig, dann sagen wir: wenigstens in Europa. Dabei sind mir die Einwände durchaus bekannt. Eine der großen Herausforderungen in der Politik ist deshalb das Erwartungsmanagement: Und wie kann man Entscheidungen so treffen, dass sie unter den Bedingungen der Globalisierung etwas taugen? Wir machen da Fortschritte, aber ich weiß auch: Geld ist absolut mobil.

STANDARD: Das hat aber nicht so geklungen, als ob sie mit einer baldigen Umsetzung rechnen.

Schäuble: Ich erwarte ebenso wenig wie mein Kollege Schelling die Lösung unserer Haushaltsprobleme dadurch. Das wäre keine seriöse Finanzpolitik.

STANDARD: Budgetmäßig auch relativ wenig bringt die Pkw-Maut in Deutschland mit Rückvergütung der Kfz-Steuer für Inländer. Wie stehen Sie zu dieser Maßnahme?

Schäuble: Der Bundesverkehrsminister hat gesagt, das sei ein Schritt auf dem Weg, die Finanzierung unserer Autobahnen stärker nutzerfinanziert zu machen. Wir würden vom österreichischen Vorbild auch lernen.

STANDARD: Was genau?

Schäuble: Wir müssen manchmal unbestimmt bleiben, weil man sich in der Politik Schritt für Schritt bewegt.

STANDARD: In Österreich zahlen die Österreicher auch mit.

Schäuble: Ich habe gesagt, das ist ein erster Schritt.