„Steuersenkungen? Rösler und ich sind uns einig“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Bild am Sonntag

BILD am SONNTAG: Herr Minister, wie gut kennen Sie eigentlich Dominique Strauss-Kahn und welchen Eindruck haben Sie von ihm gewonnen?

BM Schäuble: Ich kenne Strauss-Kahn sehr gut und sehr lange – und zwar schon bevor er Chef des Internationalen Währungsfonds geworden ist. Wir sind 2005 von der Universität Fribourg in der Schweiz zusammen zu Ehrendoktoren promoviert worden für unsere Verdienste um die europäische Einigung. Er war ein herausragender Direktor des IWF.

BILD am SONNTAG: Was haben Sie gedacht, als Sie Sonntagmorgen gehört haben, dass er wegen versuchter Vergewaltigung in New York festgenommen wurde?

BM Schäuble: Die Nachricht, die Umstände der Verhaftung und die Bilder haben mich geschockt. Der amerikanische Umgang mit Verdächtigen ist für uns Europäer manchmal nur schwer nachzuvollziehen. Ich weiß nicht, ob man einen Mann wie Strauss-Kahn wirklich in Handschellen vorführen muss. Ich glaube nicht, dass er davongelaufen wäre . . .

BILD am SONNTAG: Halten Sie die Vorwürfe gegen ihn für glaubwürdig?

BM Schäuble: Ich war nicht dabei und will mir kein Urteil erlauben. Aber ich bin tief betroffen, denn hätte man mich vorher gefragt, ob ich so etwas für möglich halten würde, hätte ich das rundweg verneint. Strauss-Kahn hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er dem weiblichen Geschlecht zugetan ist. Er fand das auch nie ehrenrührig, aber darum geht es hier nicht. Sein Rücktritt war eine notwendige und richtige Entscheidung.

BILD am SONNTAG: Wenn sich am Ende aber herausstellen sollte, dass die Vorwürfe unzutreffend sind, wäre ihm dann großes Unrecht geschehen?

BM Schäuble: Da haben Sie recht. Eine eventuelle Vorverurteilung könnte selbst durch einen späteren Freispruch nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Aber es war seine Entscheidung, zurückzutreten.

BILD am SONNTAG: Wie schnell braucht der Währungsfonds einen Nachfolger?

BM Schäuble: Die Entscheidung muss jetzt zügig getroffen werden – innerhalb der nächsten Wochen. Wir brauchen eine starke Persönlichkeit an der Spitze des IWF und zwar einen Europäer oder eine Europäerin. Ein Amerikaner leitet traditionell die Weltbank [Glossar], ein Europäer den IWF. Die USA und Europa zahlen schließlich mit weitem Abstand den größten Teil der Beiträge. Das ist wie in jeder Aktiengesellschaft: Wer die Mehrheit der Anteile besitzt, stellt den Aufsichtsratsvorsitzenden.

BILD am SONNTAG: Als aussichtsreich gilt vor allem Ihre französische Amtskollegin Lagarde. Ist sie auch Ihre Favoritin?

BM Schäuble: Christine Lagarde ist in der Sache und als Person hervorragend geeignet. Sie wird in der gesamten Finanzwelt überaus respektiert und geschätzt. Mit Christine Lagarde, so sie sich dann entscheidet zu kandidieren, hätte Europa beste Chancen, den Posten wieder zu besetzen. Entscheidend ist jetzt aber vor allem, dass Europa in dieser Frage mit einer Stimme spricht.

BILD am SONNTAG: Ganz unabhängig vom Fall Strauss-Kahn: Verlieren Menschen, die jeden Tag mit Milliarden jonglieren, die nur noch in Suiten absteigen und First Class fliegen irgendwann den Bezug zur Realität, die Bodenhaftung?

BM Schäuble: Natürlich sind solche Lebensumstände auch eine Versuchung. Deswegen heißt es ja im Vaterunser „Führe mich nicht in Versuchung“. Für Politiker aber gilt, und das kann ich Ihnen nach Jahrzehnten in diesem Geschäft versichern: Unsere Lebensumstände sind verglichen mit Top-Leuten aus dem Finanz- oder Bankensystem relativ bescheiden. Wenn man mit unseren Gehaltsmöglichkeiten versucht, jemanden aus der Wirtschaft in die Politik zu locken, erzielt man im allgemeinen höchstens Lacherfolge.

BILD am SONNTAG: Normalbürger gewinnen dennoch leicht den Eindruck, dass Spitzenpolitiker, Top-Manager und andere Promis glauben, über dem Gesetz zu stehen, sich mehr als andere herausnehmen zu dürfen.

BM Schäuble: Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie in der Öffentlichkeit stehen, können Sie sich viel weniger erlauben. Das ist auch richtig. Wenn Sie nach Verantwortung streben, tragen Sie eben auch eine besondere. Davor schrecken ja auch viele zurück. Da kann ja schon dann der bloße Verdacht reichen, um Ihre Karriere zu ruinieren. Das zeigt ja auch der Fall Strauss-Kahn.

BILD am SONNTAG: Griechenland kann voraussichtlich seine Zusagen für die alten Kredite nicht erfüllen und braucht zugleich neue Hilfen. Wie wollen Sie das den deutschen Steuerzahlern erklären?

BM Schäuble: Jetzt warten wir erst einmal ab, wie der Bericht, den Experten von IWF, Europäischer Zentralbank und EU erstellen, tatsächlich ausfällt. Sollte festgestellt werden, dass Nachbesserungsbedarf besteht, dann müssten zuallererst die Griechen schauen, was sie tun können, um mit zusätzlichen Anstrengungen die Vorgaben zu erfüllen. Sollte das nicht ausreichen und sollte es zu einer Veränderung der bisher getroffenen Absprachen kommen, ist dies nur denkbar, wenn sichergestellt wird, dass sich die privaten Gläubiger wie die Banken nicht aus Griechenland zurückziehen und am Ende die europäischen Steuerzahler für alles allein haften. Drittens müssen wir eine hinreichende Sicherheit haben, dass Griechenland es am Ende schafft. Nur dann könnten wir im Zweifelsfall darüber nachdenken, Anleihen, die Griechenland im kommenden Jahr zurückzahlen müsste, zu verlängern. Ich kann meiner Verantwortung als Finanzminister beim Einsatz von Geld der deutschen Steuerzahler nicht gerecht werden, wenn nicht sichergestellt ist, dass Griechenland seine Verpflichtungen einhält, und wir guten Gewissens davon ausgehen könnten, dass es am Ende des Weges ein wirtschaftlich gesundetes, wettbewerbsfähiges Griechenland gibt.

Bild am Sonntag: Die EZB [Glossar] warnt vor Ihrer Umschuldungsidee, nennt es ein Katastrophenkonzept . . .

BM Schäuble: Ich rate uns allen zu großer Zurückhaltung in der öffentlichen Debatte über diese Fragen. Aber natürlich brauchen wir – sollte es am Ende des Weges dazu kommen – für eine Laufzeitverlängerung von Anleihen die Zustimmung des IWF und vor allem der EZB. Unter gar keinen Umständen darf es hier zu einem Konflikt mit der Europäischen Zentralbank kommen. Die Fachleute müssen uns daher sagen, was geht und was nicht geht, weil es zur Verunsicherung der Märkte führen würde. Das wird nicht einfach werden.

Bild am Sonntag: Und was machen Sie, wenn es zur Umschuldung unter Einbeziehung der privaten Gläubiger nicht kommt und alles bei den Steuerzahlern Europas hängen bleibt?

BM Schäuble: Die Bürger akzeptieren in einer schwierigen Lage vieles, aber sie haben ein Grundbedürfnis nach Fairness. Wenn dieses Bedürfnis nach Gerechtigkeit schwerwiegend verletzt wird, wird die Akzeptanz der freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung gefährdet. Wir müssen als politisch Verantwortliche so gut es geht das Spiel durchkreuzen, dass die einen die Gewinne machen und, wenn es schiefgeht, die Steuerzahler haften. Ich könnte es mir ja auch einfach machen und die Probleme schieben und mir sagen: Gut, in zwei Jahren hat ein anderer die Verantwortung. Nein, die Probleme müssen jetzt gelöst werden.

Bild am Sonntag: Im April sind die Preise in der Euro [Glossar]-Zone mit 2,8 Prozent so stark gestiegen wie seit fast drei Jahren nicht mehr. Der erste Hinweis auf eine nahende große Inflation [Glossar]?

BM Schäuble: Mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind Preissteigerungen von weniger als 3 Prozent sehr erfreulich. Für den jetzigen Anstieg gibt es viele Ursachen: 1. Die dramatisch gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise. 2. Die gestiegenen Lohnkosten [Glossar] in ärmeren Ländern, die deren Zulieferprodukte teurer machen. 3. Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland, die den Unternehmen Spielräume für Preiserhöhungen gibt. 4. Die historisch niedrigen Zinsen, die jetzt behutsam wieder erhöht werden.

Bild am Sonntag: Sind Sie vor diesem Hintergrund sicher, dass Sie die Inflationsgefahr im Griff haben?

BM Schäuble: Man darf nicht vergessen, dass in den mehr als 10 Jahren ihrer Existenz die EZB und der Euro für niedrigere Inflationsraten gesorgt haben, als wir sie im letzten Jahrzehnt der Deutschen Mark hatten. Die Notenbank [Glossar] hat also und wird weiterhin Preisstabilität gewährleisten. Der Finanzminister garantiert, dass die öffentlichen Defizite nicht erhöht werden. Also: Die Menschen müssen sich keine Sorgen machen. Die Währung bleibt stabil, die Preise auch. Die Angst vor einer Inflation ist unbegründet.

Bild am Sonntag: Der neue FDP-Chef Philipp Rösler hat angekündigt, seine Partei werde ab jetzt liefern. Hilft der Finanzminister dem Koalitionspartner bei dessen zentraler Forderung nach Steuersenkungen?

BM Schäuble: Bei einem langen Gespräch mit Philipp Rösler in dieser Woche sind wir beide uns einig geworden. Vorrang hat die Haushaltskonsolidierung. Und wenn darüber hinaus Spielräume für Steuererleichterungen entstehen, werden wir sie nutzen. Das wollen die Union und ich gemeinsam mit Rösler und der FDP in enger Abstimmung durchziehen.

Bild am Sonntag: Haben Sie auch über die Frösche gesprochen, die Rösler abkochen will?

BM Schäuble: Nein, das haben wir nicht, aber Philipp Rösler ist nicht nur überaus sachkundig und liebenswürdig, sondern hat auch ein hohes Maß an Humor.

Bild am Sonntag: Herr Schäuble, in der vergangenen Woche ist Ihr älterer Bruder Frieder im Alter von 73 Jahren an Krebs gestorben. Lässt der Politikbetrieb einem Bundesfinanzminister in den Zeiten der Euro-Krise genug Raum und Zeit, um mit einem solchen Verlust fertig zu werden?

BM Schäuble: Die Politik ist immer fordernd, wichtig und anstrengend, aber sie ist doch nicht das ganze Leben. Ich habe mich von meinem Bruder verabschiedet, bevor er gestorben ist. Wir haben ihn in dieser Woche zu Grabe getragen.

Bild am Sonntag: Die Fortsetzung Ihrer politischen Karriere nach dem Attentat vor zwei Jahrzehnten hat Sie eine heroische Anstrengung gekostet. Hatten Sie damit gerechnet, dass Ihr älterer Bruder vor Ihnen stirbt?

BM Schäuble: Darüber haben wir nie nachgedacht. Im vergangenen Jahr war ich sehr krank, und mein Bruder war auch bereits sehr krank. Da haben wir natürlich über den Tod geredet.

Bild am Sonntag: Frieder Schäuble hat sich anders als Sie und Ihr jüngerer Bruder Thomas von der Politik stets ferngehalten. Wie nahe standen Sie sich?

BM Schäuble: Sehr nahe. Unsere beruflichen Wege haben sich getrennt, aber der Zusammenhalt ist geblieben. Wenn einer von uns in einer existenziellen Krise war, sind die Brüder immer da gewesen. Deshalb trifft der Verlust eines Bruders auch sehr hart.

Das Interview führten Michael Backhaus und Roman Eichinger.

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