Nur wenn Athen die Reformen umsetzt, kann das Geld weiterfließen



Der Bundesfinanzminister warnt Griechenland in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen vor der Ablehnung des Sparprogramms und zeigt Verständnis für die Entlassung Norbert Röttgens.

Mannheimer Morgen (MM): Herr Schäuble, wann haben Sie zum letzten Mal Urlaub in Griechenland gemacht?

Schäuble: Leider habe ich dort noch nie Urlaub gemacht. Aber meine Frau war zweimal da, und sie schwärmt noch heute davon. Seit meinem Unfall verbringe ich die Ferien auf Sylt, dort komme ich mit meinem Hand-Bike besser zurecht.

MM: Wäre es Ihnen als normaler Bürger egal, ob man in Griechenland mit Drachmen oderEuro [Glossar] bezahlt?

Schäuble: Nein, und als Finanzminister schon gar nicht. Wir tun alles dafür, dass Griechenland in der Eurozone [Glossar] bleiben kann. Eine ganz wichtige Voraussetzung dafür ist, dass es nach den Wahlen im Juni eine handlungsfähige Regierung in Athen gibt, die sich an die getroffenen Abmachungen hält.

MM: Was passiert, wenn die radikale Linke bei der Neuwahl sogar noch zulegt? Immerhin lehnt sie das Sparprogramm total ab.

Schäuble: Ich denke schon, dass in Griechenland die Vernunft siegen wird und sich die Bürger nicht von Demagogen täuschen lassen, die ihnen einreden wollen, es gebe einen bequemen Weg. Ohne die Reformen kann Griechenland nicht wirtschaftlich gesunden, wieder wettbewerbsfähig werden, Wachstum haben und Arbeitsplätze schaffen. Die Reformen sind die Basis für das Programm. Nur wenn diese gemacht werden, können die Hilfsgelder von EU und Internationalen Währungsfonds weiterfließen, und nur wenn sie gemacht werden, hat Griechenland wieder eine wirtschaftliche Perspektive. Ich sehe da keinen Spielraum.

MM: Eine bittere Wahrheit.

Schäuble: Wir sind nicht hartherzig. Im Gegenteil, die Griechen haben viel Hilfe bekommen und sind mehr als die Hälfte ihrer Schulden losgeworden. Was wäre denn die Alternative zum Programm? Der Austritt aus der Eurozone etwa? Die radikale Abwertung der neuen Währung würde eine Verarmung der Menschen zu Folge haben. Das kann niemand wirklich wollen.

MM: Schmerzt es Sie, dass die Kanzlerin oder Sie in griechischen Zeitungen als Nazis beleidigt werden?

Schäuble: Ich nehme das nicht so ernst.

MM: Wie groß ist die Ansteckungsgefahr, falls Griechenland doch in den Abgrund stürzt?

Schäuble: Wir haben in den letzten zwei Jahren ja nicht die Hände in den Schoß gelegt, sondern im Gegenteil viel erreicht durch Reformen und Maßnahmen. Wir sind deutlich besser aufgestellt. Die europäischen Banken und die Aufsicht darüber sind gestärkt, mit dem verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt [Glossar], dem Fiskalpakt, dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM und den anderen Maßnahmen haben wir die richtigen Instrumente, um die Finanzmärkte [Glossar] zu überzeugen.

MM: Beim Fiskalpakt hat Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande aber andere Vorstellungen.

Schäuble: Es gibt keine allzu großen Differenzen zwischen uns und Frankreich. Der französische Staatspräsident Hollande will ja nicht den Fiskalpakt aufweichen. Er fordert nur, dass die Euroländer mehr für zusätzliches Wachstum tun sollen. Und das ist vernünftig.

MM: Im Wahlkampf gab es von Hollande bezüglich des Defizitabbaus einige beunruhigende Aussagen.

Schäuble: Frankreich steht zu seinen Verpflichtungen. Von einer Aufweichung des Sparkurses kann keine Rede sein. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für Europa. Und daran ändert sich auch nach dem Machtwechsel im Elysee nichts. Das hat die neue französische Regierung deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch mein neuer Finanzministerkollege, den ich diese Woche getroffen habe.

MM: Und was passiert, wenn es in der EU zu einer Rezession [Glossar] kommt?

Schäuble: Auch dann bleibt es bei den Beschlüssen. Die Zeit der Schuldenmacherei ist vorbei. Wir brauchen einen richtigen Mix aus Defizitabbau und Wachstum. Ich will uns nicht selber loben…

MM: …aber Sie tun es trotzdem…

Schäuble: …Deutschland hat bewiesen, dass beides möglich ist. Wir sind die Wachstumslokomotive und haben bereits im ersten Quartal wieder ein Plus von 0,5 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt [Glossar]. Es spricht außerdem viel dafür, dass sich die prognostizierte Abschwächung im zweiten Halbjahr so nicht einstellen wird.

MM: Für den Fiskalpakt brauchen Sie die Opposition. Die ziert sich aber. Ist das Wahlkampfgeplänkel?

Schäuble: Nein, sie hat ja die Pflicht, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Aber ich sehe keine großen Differenzen. Ich halte deshalb jede Wette, dass wir am Ende die notwendige Zweidrittelmehrheit erhalten werden. Eine Blockade würde beim Wähler nicht gut ankommen.

MM: Bleibt es beim Thema Eurobonds beim Nein Deutschlands – trotz der französischen Avancen?

Schäuble: Ja. Eine andere Sache sind aber die sogenannten Projektbonds.

MM: Mit ihnen könnte die EU neue Geldquellen für den Bau milliardenschwerer Infrastrukturprojekte auftun. Die EU-Länder müssten bei diesen Schuldverschreibungen aber ein gemeinsames finanzielles Risiko übernehmen.

Schäuble: Bei den Projektbonds sind wir im Prinzip offen, damit könnte man Mittel aus dem EU-Haushalt [Glossar], die ja bereits beschlossen sind, mit privaten Investitionen [Glossar]kombinieren. Die Haftung wäre außerdem klar und unzweideutig auf unseren Anteil am EU-Haushalt begrenzt. In Kürze soll es dazu auch erste Pilotprojekte geben.

MM: Sie lehnen aber ein solches gemeinsames Risiko bei den Eurobonds ab, warum eigentlich?

Schäuble: Wir wollen keine Fehlanreize setzen. Wir haben bisher keine gemeinsame Fiskalpolitik in der EU. Die Länder selber bestimmen über ihre Haushalte. Es kann nicht sein, dass sich ein Euroland entscheidet, sich zu verschulden und alle anderen das Risiko tragen. Damit würde jeder Anreiz einer soliden Haushaltspolitik fehlen.

MM: Im Juni wird der Posten des Eurogruppen-Chefs frei, weil Jean-Claude Juncker keine Lust mehr hat. Angeblich lehnt Hollande aber Sie als Kandidaten ab.

Schäuble: Die wichtigste Frage ist für uns, dass ein amtierender Finanzminister eines Eurolandes den Vorsitz der Eurogruppe [Glossar] hat. Die Idee eines hauptamtlichen Präsidenten lehnen wir ab. Der Sinn der Eurogruppe ist ja gerade die enge Zusammenarbeit und Verzahnung der für die Finanzpolitik [Glossar] verantwortlichen Minister der Euroländer.

MM: Das heißt: Der deutsche Finanzminister tritt also nicht zurück, um Eurogruppenchef zu werden.

Schäuble: Richtig.

MM: Sie würden aber schon gerne Eurogruppenchef werden?

Schäuble: Wenn Juncker weitermachen würde, wäre alles bestens.

MM: Aber er macht ja nicht weiter.

Schäuble: Sagen wir mal so: Juncker und ich sind sehr befreundet. Und jeder von uns meint, der andere soll es machen.

MM: Herr Schäuble, vor zwei Jahren ging es Ihnen gesundheitlich so schlecht, dass sogar fraglich war, ob Sie ihr Ministeramt weiterführen könnten.

Schäuble: Mir geht es gut. Wollen wir hoffen, dass es so bleibt.

MM: Haben Sie schon einmal daran gedacht, nach der nächsten Bundestagswahl Schluss zu machen? Gibt es da so eine Art Lebensplanung?

Schäuble: Ich habe in meinem Leben gelernt: Es geht von einem Tag auf den anderen. 1990 dachte ich, das ist mein Höhepunkt als Politiker. Zwei Wochen später lag ich auf der Intensivstation. Im Leben geht es mal auf und mal ab. Ans Aufhören denke ich aber noch nicht. Ich denke auch noch nicht an die nächste Wahl, sondern an die Verantwortung, die mir bei der letzten Wahl übertragen worden ist. Da bin ganz altmodisch.

MM: Sie sind im Kabinett nach der Bundeskanzlerin die dominierende Figur. Vielleicht hätten Sie aber auch selbst Kanzler oder Bundespräsident werden können. Helmut Kohl und Frau Merkel haben das damals verhindert.

Schäuble: Das sagen Sie.

MM: Sie wissen also, wie es ist, wenn man ausgebremst wird. Trotzdem halten Sie die Entlassung von Norbert Röttgen für richtig.

Schäuble: Ich habe gesagt, die Entscheidung der Kanzlerin war nachvollziehbar. So läuft die Politik. Es geht nicht nur um Persönliches. Eine der großen Herausforderungen dieser Legislaturperiode ist die Energiewende. Der zuständige Minister muss politisch stark sein.

MM: Und das war Röttgen nicht mehr?

Schäuble: Nach einer Wahlniederlage und nach dem Rücktritt vom größten CDU-Landesverband ist man politisch geschwächt. Es geht darum, was die richtige Lösung für die Sache ist. Und da hat die Kanzlerin eine Entscheidung getroffen, die in Ordnung geht.

MM: Manche Ihrer Parteifreunde sehen das ganz anders.

Schäuble: Bei uns herrscht Meinungsfreiheit. Das gehört zur Demokratie.

MM: Manche Ihrer Kollegen finden, dass das harte Durchgreifen der Kanzlerin mit den christlichen Werten Ihrer Partei kollidiert.

Schäuble: Auf welche Bibelstelle beziehen die sich denn dabei? Und es gibt auch keinen Rechtsanspruch darauf, Minister zu sein.

MM: Heißt das, Sie hegen bezüglich Ihres Karriereverlaufs keinen Groll gegen Kohl oder Merkel?

Schäuble: Nein. Ich bin dankbar, dass ich seit langem politisch tätig sein darf und auch das Glück hatte, in spannenden Zeiten mitgestalten zu können. Mal hat man Erfolg, mal nicht. Das ist wie beim Fußball.

MM: Trotzdem muss Ihnen der Zustand der Koalition Sorge bereiten.

Schäuble: Wir haben große Erfolge erzielt. Vielleicht diskutieren wir aber zu oft und zu lange über Detailfragen. Das verstellt den Blick auf die positive Gesamtbilanz. Den Menschen in unserem Land geht es doch nicht schlecht: Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftskrise haben wir schneller überwunden als andere, und die Wirtschaft entwickelt sich besser als von vielen erwartet.

MM: Vielleicht glauben ihnen die Wähler nicht mehr alles. Womöglich sollte die Koalition öfter wie Horst Seehofer im ZDF Klartext reden?

Schäuble: Er hat im Nachgespräch ja nichts wesentlich anderes gesagt als vorher im Interview. Das ganze „Bohei“ darum halte ich für überzogen. Mich stört dabei aber der unterschwellige Vorwurf, Politiker würden nicht die Wahrheit sagen.

MM: Und das stimmt nicht?

Schäuble: Ich bitte Sie! Ich lüge Sie doch auch in diesem Interview nicht an. Ich muss als Finanzminister aufpassen, was ich sage, das ist richtig. Ich sitze doch nicht zu Hause am Familientisch.

Das Interview führte Walter Serif.

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