Mit der Kavallerie kommt man international nicht voran



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der FAZ

Das Gespräch führte Manfred Schäfers.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): Die SPD hat gerade eine „Braunschweiger Erklärung“ für mehr Steuergerechtigkeit veröffentlicht – eine gute Grundlage für eine große Koalition?

Wolfgang Schäuble: Nein, es ist eher ein gutes Beispiel für die Methode „Haltet den Dieb“. Die SPD ermöglicht doch mit ihrer unverantwortlichen Obstruktionspolitik im Bundesrat fortgesetzte Steuerhinterziehung in der Schweiz. Eigentlich könnten jetzt schon seit zwei Wochen deutsche Kapitalerträge in der Schweiz automatisch mit einer Abgeltungssteuer belastet werden.

FAZ: Die SPD sagt, den öffentlichen Haushalten entgehen bis zu 150 Milliarden Euro durch Steuerbetrug. Ist das eine realistische Größe?

Wolfgang Schäuble: Richtig ist, dass wir es mit vielfältigen Formen der Steuervermeidung am Rande, aber auch jenseits der Legalität zu tun haben. Viele dieser Fragen lassen sich nur auf internationaler Ebene lösen. Mit Kavalleriemethoden, die mein Vorgänger gepflegt hat und die sich jetzt die SPD zu eigen macht, kommt man in der internationalen Zusammenarbeit nicht voran.

FAZ: Wie lässt sich Steuerbetrug schärfer bekämpfen: Werden Sie sich nach dem Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz wieder am Ankauf von CD’s mit Bankdaten beteiligen?

Wolfgang Schäuble: Wir haben uns bisher immer beteiligt, wenn wir eingebunden waren. Wir prüfen aber jeden Einzelfall sehr genau. Mit diesen CD-Ankäufen hat die SPD doch eine gezielte Desinformationskampagne betrieben. Jede CD musste für mindestens 20 verschiedene Tatbestände herhalten. Unter der Überschrift „Mehr Steuergerechtigkeit“ auf die Zusammenarbeit mit notorischen Gesetzesbrechern zu setzen, ist so widersprüchlich, dass man damit auch den Landtagswahlkampf in Niedersachsen nicht mehr gewinnt.

FAZ: Die SPD fordert eine bundesweite Steuerfahndung für Fälle grenzüberschreitender Steuerkriminalität oder solcher von grundsätzlicher Bedeutung. Wären Sie dabei?

Wolfgang Schäuble: Nach dem Grundgesetz liegt die Steuerverwaltung in den Händen der Länder. Dieser Kernbereich der föderalen Ordnung stand bislang auf Länderseite nicht zur Disposition. Auf kurze Sicht scheint mir das kein Weg zu sein, die aktuellen Probleme zu lösen. Und außerdem haben wir ja bereits das Bundeszentralamt für Steuern, das bei großen Betriebsprüfungen mit dabei ist.

FAZ: Kann eine Verlängerung der Verjährungsfristen für Steuerbetrug helfen?

Wolfgang Schäuble: Die Verjährung kann rückwirkend nicht geändert werden. Das verstößt gegen fundamentale Rechtsstaatsprinzipien.

FAZ: Und für die Zukunft?

Wolfgang Schäuble: Dieser Vorschlag könnte frühestens in zwölf Jahren greifen, denn erst dann verjähren heutige Steueransprüche. Wenn die SPD die Steuergerechtigkeit erst in zwölf Jahren verwirklichen will, sollte sie auch so lange in der Opposition bleiben.

FAZ: Was spricht gegen den Vorstoß, Banken die Lizenz zu entziehen, wenn sie sich fortgesetzter Beihilfe zum Steuerbetrug schuldig gemacht haben?

Wolfgang Schäuble: Es gibt klare rechtliche Vorschriften, unter denen Unternehmen, auch Banken, in Europa am Wirtschaftsleben teilnehmen können. Solche schlagzeilenträchtigen Formulierungen sind Unsinn. Die Aufsichtsbehörden haben klare Rechtsgrundlagen, nach denen sie Institute schließen können. Aber im Rahmen von Recht und Gesetz.

FAZ: Die SPD greift die Betrügerei mit der Mehrwertsteuer auf. Die Koalition hat die versprochene Mehrwertsteuerreform nicht geliefert. Ist das eine Aufgabe für die nächste Koalition?

Wolfgang Schäuble: Die SPD hat immer signalisiert, dass sie der eigentlichen Reform, der Schaffung eines einheitlichen Mehrwertsteuersatzes, nicht zustimmen würde. Darüber muss sich die SPD jetzt nicht beklagen. Ich könnte mich beklagen, es gab keine Mehrheit. Das Problem des Mehrwertsteuerbetrugs durch die organisierte Kriminalität hat damit nichts zu tun. Die Systematik der Mehrwertsteuer mit dem Vorsteuerabzug für eingekaufte Vorleistungen lässt Lücken. Wir wollten besonders betrugsanfällige Bereiche anders regeln, sind damit aber nur auf begrenzte Zustimmung in Europa gestoßen. Einer Änderung müssen alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Das sollte man wissen.

FAZ: Union und SPD haben in der Vergangenheit vieles in der Finanzpolitik gemeinsam geregelt: Subventionsabbau, Schuldenbremse, Unternehmensbesteuerung, die neue Erbschaftsteuer. Ist der Grundkonsens Geschichte?

Wolfgang Schäuble: Das kann man so interpretieren. Mein Eindruck ist, dass die SPD kurzfristig um jeden Preis Themen finden will, um von anderen Schwächen abzulenken.

FAZ: Aber sehen Sie auch Gerechtigkeitsdefizite im deutschen Steuerrecht?

Wolfgang Schäuble: Ich würde sogar so weit gehen, in demokratischen Staaten wird es immer Gerechtigkeitslücken auch im Steuersystem geben.

FAZ: Die SPD sagt, was sie in der nächsten Legislaturperiode will, von der CDU hat man dazu wenig gehört. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Wolfgang Schäuble: Als Erstes müssen wir die Punkte Schritt für Schritt voranbringen, die wir nicht durchsetzen konnten, weil wir dafür keine Mehrheit im Bundesrat hatten.

FAZ: Welche Aufgaben bleiben dann?

Wolfgang Schäuble: Ich würde wieder dafür plädieren, dass wir den Kommunen mehr eigene Steuerrechte geben. Ich bin auch dafür, dass wir bei der Mehrwertsteuer den großen vereinfachenden Schritt eines Tages machen. Ein Hauptthema ist außerdem die internationale Zusammenarbeit, damit die Steuerbasis nicht erodiert.

FAZ: Die Opposition hat im Vermittlungsausschuss das Jahressteuergesetz um das Splitting für eingetragene Lebenspartnerschaften ergänzt. Was heißt das für die Abstimmung darüber an diesem Donnerstag?

Wolfgang Schäuble: Ich plädiere dafür, dass wir das Vermittlungsergebnis zurückweisen und nochmals den Vermittlungsausschuss anrufen. Es ist Missbrauch, dass man ein Gesetz, über das man sich in der Substanz geeinigt hat, als Vehikel nutzt, um etwas völlig anderes durchzusetzen, für das man keine Mehrheit hat.

FAZ: Die Wirtschaft dringt weiter auf Vereinfachungen.

Wolfgang Schäuble: Es ist unübersehbar, dass die Wirtschaft mit unserem Steuersystem gut leben kann.

FAZ: Wissen Sie schon, mit welchem Defizit der Bundeshaushalt das Jahr abgeschlossen hat?

Wolfgang Schäuble: Ich habe heute noch nicht die endgültige Zähl, vermute aber, dass Spekulationen über einen Wert zwischen 22 und 23 Milliarden Euro nicht völlig daneben sind