Freiheit und Sicherheit in Deutschland und Europa



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble bei der Tagung ?Freiheit und Sicherheit ? Verfassungspolitische Dimensionen? in der Akademie für politische Bildung Tutzing

I. Freiheit und Sicherheit: kein Gegensatz

Es hängt vielleicht mit unserer Geschichte zusammen, dass in Deutschland manche selbst in der demokratischen Bundesrepublik eher den freiheitsbedrohenden Staat als den freiheitssichernden Rechtsstaat sehen: Wir haben eine Staatstradition, die sich im 19. Jahrhundert nur langsam vom Obrigkeitsstaat zu einem Staat der Bürger entwickelte, und dann folgte die Perversion durch den Nationalsozialismus. So müssen die Institutionen unseres Verfassungsstaates mit einem Grundmisstrauen leben, das in Großbritannien oder in Frankreich gewiss nicht gleichermaßen ausgeprägt ist.

Ursprüngliches Ziel staatlicher Organisation war, ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen. Einheitliche staatliche Machtausübung war nötig, um die konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts zu beenden. So wurde der Staat als oberster Hüter von Ruhe, Sicherheit und Ordnung etabliert. Das staatliche Gewaltmonopol legitimierte sich in der Schutz und Sicherheit gewährenden Funktion des Staates.

Thomas Hobbes hat dies noch mit dem absolutistischen Staat verbunden. Die Theoretiker der Rechtsstaatlichkeit haben dann später die freiheitssichernde Funktion von Recht und Gesetz hervorgehoben. Freiheit und Sicherheit sind also nicht Gegensätze, sondern bedingen einander. Freiheit ist ebenso wie Sicherheit Staatszweck, in der Rechtsstaatlichkeit verbinden sie sich.

Die Freiheit war nie nur vom Staat bedroht. Unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit bedrohen gerade nichtstaatliche Akteure das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auch die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit sind weit mehr von nichtstaatlicher Gewalt bedroht als durch den Rechtsstaat.

Ein Maximum an informationeller Selbstbestimmung nützt uns nichts, wenn wir nicht die Freiheit haben, uns sicher zu bewegen. Sicherheit ist die Grundvoraussetzung für die Entfaltung des Einzelnen in unserer Gesellschaft. Nur wer sich sicher fühlt, wer nicht Angst haben muss um sein Leben, seine Gesundheit, sein Eigentum, kann frei und selbst bestimmt handeln.

Deswegen erschöpft sich die Freiheit des Grundgesetzes nicht in der Ausgrenzung eines Raumes eigenen Beliebens, sondern meint rechtlich geordnete Freiheit. Die Disziplinierung des Staates durch die Grundrechte und ihr aktiver Schutz gehören in der Rechtsstaatlichkeit zusammen.

II. Globalisierung ? kommunikationstechnischer Wandel ? neue Bedrohungen

Der Rechtsstaat muss seine Aufgabe, das Recht und damit auch Sicherheit zu wahren, in einer sich stetig verändernden Gesellschaft erfüllen, und diese Veränderungen sind durch den technologischen Fortschritt und den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel grundlegend und atemberaubend schnell. Wir leben heute in einer viel offeneren und zugleich viel enger vernetzten Gesellschaft. Damit ist ein großer Gewinn an individueller Freiheit verbunden. Aber unsere Freiheit ist eben auch in anderer Weise als früher bedroht.

Seit Anfang dieses Jahres kontrollieren wir in Europa nur noch die Grenze zur Schweiz ? und auch die nur noch für ein paar Monate. Was in kleinen Schritten mit einer Zoll- und Agrarunion begann, hat das Maximum dessen erreicht, was insoweit an persönlicher Freiheit zu gewinnen war: die volle Freizügigkeit und die ungehinderte persönliche Bewegungsfreiheit. Heute ist kaum noch vorstellbar, dass eine der ersten wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Grundrechten die Ausreise aus dem Bundesgebiet betraf.

Nicht nur die Grenzen zwischen den europäischen Staaten sind gefallen. Mit dem Fall der Mauer und also auch der Bipolarität des Ost-West-Konflikts hat sich der Prozess weltweiter Verflechtung ? wirtschaftlich, politisch, sozial ?, in der Regel ?Globalisierung? genannt, entscheidend beschleunigt. Der Fluss von Kapital, Waren, Personen und Informationen findet heute in einem Ausmaß grenzüberschreitend statt, wie wir uns das am 9. November 1989 noch kaum hätten vorstellen können. Der europäische Binnenmarkt ist nicht nur in sich völlig offen, sondern seinerseits Teil einer offenen und zunehmend verflochtenen Weltwirtschaft. Stärker werdende globale Ressourcenkonflikte, auch die globale ökologische Herausforderung werden uns diese Offenheit und Vernetztheit immer wieder in Erinnerung rufen, ob uns das gefällt oder nicht.

Der Prozess zunehmender Offenheit und Verflechtung über nationale Grenzen hinweg wird getragen von den technologischen Entwicklungen, vor allem in den Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch in der Verkehrstechnologie. Auch hiermit ist ein Freiheitsgewinn verbunden. Das Internet gewährleistet heute fast überall auf der Welt einen unmittelbaren Informationszugang. Es mutet heute fast bizarr an, dass es in den 1980er Jahren Juristen und Politiker gab, die es ausländischen Fernsehstationen verbieten wollten, ihr Programm über Satellit nach Deutschland einzustrahlen. Vieles, was uns heute an realer Freiheit selbstverständlich ist, musste mühsam im politischen Diskurs erkämpft werden. Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion der 1980er Jahre über die ?Verkabelung? und der 1990er Jahre über Online-Dienste, bei der in Deutschland wie fast nirgendwo sonst die Gefahren neuer Technologien heraufbeschworen wurden.

In diesem Prozess ist der Staat aktiver Gestalter. Nicht anders als bei der Durchsetzung bürgerlicher Rechte im 19. Jahrhundert verkürzt es die Rolle des demokratischen Rechtsstaats, wenn er reflexhaft als Bedroher individueller Freiheit verstanden wird. Die offene Gesellschaft, deren Vision heute in weiten Teilen auf einer globalen Ebene wahr geworden ist, steht nicht in einem Gegensatz zum demokratischen Rechtsstaat, sondern wird von ihm gefördert und fortentwickelt. Viele Freiräume, die uns heute selbstverständlich sind, sind Ergebnis zielgerichteten staatlichen Handelns. Sie mussten ? ich habe es am Beispiel der damals ?Neuen Medien? angedeutet ? im politischen Prozess von den Kräften der Freiheit erkämpft werden, sie wurden das aber auch.

In Deutschland genießen wir heute nicht nur Freiheit und Wohlstand, sondern auch Sicherheit in einem Maß wie wohl nur wenige der 6 ½ Milliarden Menschen auf dieser Welt. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist das aus, und demoskopische Befunde belegen, dass die Bevölkerung das auch so sieht. Mit dem technologischen Fortschritt, dem gesellschaftlichen Wandel und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen verändern sich aber auch die Bedingungen für die Gewährleistung der Sicherheit.

Der Rückgang sozialer Kontrolle in unserer vielfältigeren, heterogenen und individualisierten Gesellschaft mag die gefühlte Freiheit vergrößern, er bedeutet aber auch einen Verlust an Schutzmechanismen. Die Gegenden werden selten, in denen die Wohnungstür tagsüber nicht verschlossen ist. Potentielle Täter fallen nicht mehr auf. Je anonymer das Umfeld wird, umso weniger fühlen sich die Menschen für Nachbarn verantwortlich. Dort, wo die Sicherheit der Menschen bedroht ist, müssen wir versuchen, diesen Verlust an sozialer Kontrolle auszugleichen. Der Staat muss das in seiner Macht Stehende tun, damit es in Deutschland keine Gegenden gibt, die einzelne Menschen ? etwa Menschen dunkler Hautfarbe ? besser meiden sollten. Eine stärkere Polizeipräsenz, aber auch technische Mittel wie Videokameras an öffentlichen Plätzen können uns dabei helfen. Es geht um die Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols, das gerade dem Schutz der Schwächeren in unserer Gesellschaft dient. Mit Überwachungsstaat und Orwell hat das nicht das Geringste zu tun.

Der technologische Fortschritt, die kommunikative Vernetzung und offene Grenzen verändern unsere Gesellschaft insgesamt ? auch die Vorgehensweise, die Strukturen und das Bedrohungspotential von Kriminellen. Wie die Wirtschaft agieren auch Kriminelle zunehmend grenzüberschreitend, global vernetzt. Die strukturierte Arbeitsteilung organisierter Kriminalität erinnert gelegentlich an multinationale Konzerne. Die Tücke terroristischer Netzwerke liegt dagegen gerade in ihrem geringen Organisationsgrad: unabhängige Zellen, die für sich genommen sogar harmlos sein können. Verknüpft werden sie zu einem lebensgefährlichen Sicherheitsrisiko. In beiden Fällen bietet das Internet einen idealen Kommunikationsraum, in dem Informationen ebenso gezielt wie zufällig, simultan wie zeitverzögert abgerufen, ausgetauscht und verknüpft werden können.

Die Veränderungen erfassen die gesamte Wirklichkeit, von der einfachen Alltagskriminalität ? der Handtaschendiebstahl ist inzwischen weitgehend überholt ? bis hin zu globalen Entwicklungen: An die Stelle der bipolaren Ordnung, deren Abschreckungspotential ja auch eine gewisse Sicherheit gewährleistet hat, ist ein eher unübersichtliches Geflecht von Konflikten getreten. Über Europa hinaus kennzeichnen staatlicher Souveränitätsverlust, failing states und asymmetrische Kriegsführung den Wandel der sicherheitspolitischen Herausforderungen. Das Konfliktgeschehen wird heute auch von Bürgerkriegen, von selbsternannten Warlords, Guerilla-Kämpfern, regionalen und privaten Kriegsherren bestimmt. Die daraus resultierenden Bedrohungen sind schwerer berechen- und kontrollierbar, und sie sind der Nährboden für terroristische Entwicklungen, die uns bedrohen.

Nach dem Europol Terrorism Situation and Trend Report 2008, den Europol im März vorgestellt hat, wurden allein im vergangenen Jahr 200 islamistische Terrorverdächtige in der Europäischen Union festgenommen, darunter die im Sauerland Verhafteten. Das zeigt die globale Reichweite des Terrorismus.

Der internationale Terrorismus durchbricht die alte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Die Entscheidung des Weltsicherheitsrats vom 12. September 2001, den Anschlag auf das World Trade Center als Angriff nach Art. 51 der VN-Charta zu werten mit dem Recht auf Verteidigung belegt das, und die anschließende Erklärung des Bündnisfalls nach Art. 5 Nato-Vertrag auch, erstmalig in der Geschichte des Bündnisses und noch immer Rechtsgrundlage für die Operation enduring freedom.

Die Asymmetrie in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus beschränkt sich übrigens nicht auf Kampfgeschehen, unterschiedliche militärische Stärke und Legitimation. Die neuen Waffentechnologien mit network centered warfare bedeuten Asymmetrie. Und das vollzieht sich zunehmend auch in der Öffentlichkeit. Das war schon im Vietnamkrieg so. Mehr noch als um militärische Überlegenheit geht es um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Die selbstbewussten Internetauftritte der Al-Qaida-Führung in den ersten Monaten dieses Jahres passen in dieses Bild.

III. Zusammenarbeit in Europa und weltweit

Mit zunehmender Durchlässigkeit von Grenzen brauchen wir engere internationale Zusammenarbeit. Wir müssen ebenso grenzüberschreitend agieren wie Kriminelle, und wir müssen ebenso vernetzt sein ? national wie international. Das gilt weltweit, aber ganz besonders innerhalb Europas. Denn wo es keine kontrollierten Grenzen gibt, können wir nur gemeinsam und integriert handeln.

Zwischenstaatliche Kooperation in der Sicherheit ist nicht neu ? Interpol wurde 1923 gegründet. Die Zusammenarbeit in der Europäischen Union ist jedoch relativ jung. Bekanntlich gehörte die Innere Sicherheit nicht zu den Themen, die Gegenstand der Römischen Verträge waren.

Erst in den 1990er Jahren ? im Maastrichter Vertrag über die Europäische Union und weitergehend noch im Vertrag von Amsterdam ? wurde die Innere Sicherheit institutioneller Teil der Europäischen Union und damit über die Stufe der bi- und multilateralen Zusammenarbeit hinaus verstetigt. Seither ist es das Ziel der Europäischen Union, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Auf dieser Grundlage hat der Rat einen Grundbestand gemeinsamer Rechtsgrundlagen für die europäische Zusammenarbeit geschaffen, etwa durch den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl oder den Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung.

Eine neue Zäsur wird der Vertrag von Lissabon bringen, der hoffentlich am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Gerade im innenpolitischen Bereich sieht der Vertrag weit reichende inhaltliche Änderungen vor: Die polizeiliche Zusammenarbeit wird von ihrem Sonderdasein in der Dritten Säule in die Unions-Normalität überführt: Verordnungen und Richtlinien, die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Initiativrecht der Kommission und Mitentscheidungsverfahren werden zum Regelfall. Europol, dessen Bedienstete in Absprache mit den Mitgliedstaaten dann auch operativ tätig werden können, wird noch einmal erheblich gestärkt.

Wenn wir die Binnengrenzen in Europa nicht mehr kontrollieren, heißt das, dass wir Informationen, die wir früher an der nationalen Grenze brauchten, heute europaweit austauschen müssen, wenn wir nicht wollen, dass der Gewinn an Freiheit mit einem Verlust an Sicherheit einhergeht.

So ist das gemeinsame Schengener Informations- und Fahndungssystem (SIS) ein notwendiger Ausgleich für die Abschaffung der Personenkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen. Es erlaubt den Polizeibehörden beispielsweise, per Haftbefehl gesuchte oder einer Einreiseverweigerung unterliegende Personen sowie gestohlene Fahrzeuge europaweit zu identifizieren.

Ein weiterer Baustein des europäischen Informationsverbundes wird das Visa-Informationssystem (VIS) sein, das voraussichtlich im nächsten Jahr in Betrieb geht und Daten über erteilte, abgelehnte und widerrufene Visa in einer zentralen Datenbank enthält. Auf diese Weise können die nationalen Behörden erkennen, ob eine Person aus einem Drittstaat zeitgleich ein Visum in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union beantragt hat, das so genannte ?Visashopping?. Identitätstäuschungen können schon bei der Beantragung eines Visums sowie an der Grenze leichter aufgedeckt werden. Die Polizei- und Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten werden ebenso wie Europol zur Verhütung und Verfolgung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten auf diese Datenbank zugreifen können.

Im vergangenen Jahr hatte Deutschland die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne. In dieser Zeit haben wir einen weiteren Fortschritt für die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit erreicht: Die Mitgliedstaaten haben sich geeinigt, den ?Vertrag von Prüm?, den sieben Einzelstaaten, darunter Deutschland, zuvor auf völkerrechtlicher Basis geschlossenen hatten, in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu überführen.

Dieser Vertrag ermöglicht erstmals den automatisierten Abgleich von DNA- und Fingerabdruckdaten sowie von Daten aus Kraftfahrzeugregistern. Daneben regelt er den Informationsaustausch über Terrorverdächtige sowie Hooligans und sieht verschiedene Formen der polizeilichen Kooperation wie beispielsweise gemeinsame Streifen vor.

Der Vertrag von Prüm vereinfacht die polizeiliche Zusammenarbeit erheblich. Insbesondere der automatisierte Datenabgleich bedeutet einen Gewinn für die tägliche Arbeit der Polizei. Wir haben in Deutschland Ende 2006 mit dem Datenabgleich auf der Grundlage des Prümer Vertrages begonnen. Seither haben wir bereits rund 3.500 Treffer für DNA-Daten erzielt, davon 50 im Zusammenhang mit Tötungsdelikten und 20 im Zusammenhang mit Sexualdelikten. Gerade bei grenzüberschreitend agierenden Mehrfachtätern trägt der Datenaustausch dazu bei, dass offene Spuren einem Täter zugeordnet werden können. Dies hat bereits zur Aufklärung schwerer Straftaten geführt.

Alles in allem haben wir in diesem zusammenwachsenden Europa eine neue Qualität der Zusammenarbeit erreicht. Und dies in einem Maße, wie wir es uns vor 20 Jahren nicht vorgestellt haben. Ich war 1989 bis 1991 schon einmal Innenminister. Damals konnte ein Innenminister sich weitgehend auf Dinge beschränken, die sich innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland taten. Das ist heute anders.

Heute verbringe ich wahrscheinlich mehr als ein Drittel meiner Arbeitszeit mit europäischen und internationalen Themen und Terminen. Es geht übrigens allen meinen Kabinettskollegen so. Die Zeiten, in denen allein der Außenminister für die Vermittlung und Verhandlung der Fachpolitiken im Ausland zuständig war, sind längst vorbei. Auch dies zeigt, dass die Unterscheidung von innen und außen uns in einer globalisierten, digitalisierten, mobilen Welt nicht mehr wirklich weiterbringt.

Die europäische Einigung bietet uns bessere Chancen, für Freiheit und Sicherheit zu arbeiten. Damit ist ein teilweiser Souveränitätsverlust verbunden, aber das Regelungsmonopol der Nationalstaaten ist schon durch die tatsächliche Entwicklung im 20. Jahrhundert eingeschränkt worden ? auch das Monopol, Krieg zu führen, gilt weltweit nicht uneingeschränkt. Und da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Europäische Union als ein Gebilde sui generis beschrieben hat, müsste konsequenterweise auch die Souveränität der Mitgliedstaaten mit dem Zusatz ?sui generis? ergänzt, also eingeschränkt werden.

Wir haben im Übrigen in Deutschland mit unserer föderalen Sicherheitsarchitektur gute Erfahrung und können dies in die europäische Entwicklung einbringen.

Der Gesamtverantwortung für Freiheit und Sicherheit werden wir jedenfalls durch eine europäische und weltweite Zusammenarbeit eher gerecht. Und eine stärker institutionalisierte Kooperation unter dem Dach der Europäischen Union ist besser als eine lose völkerrechtliche Zusammenarbeit, wie etwa die schrittweise Überführung des Schengen Acquis in die Europäische Union zeigt.

Die sich herausbildende Architektur einer gemeinsamen inneren Sicherheit reicht über die europäische Union hinaus. Das gilt nicht nur für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, sondern etwa auch für die Zusammenarbeit gegen Geldwäsche, Bekämpfung von Korruption und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität.

Neben multilaterale Kooperationsinstrumente unter dem Dach der Vereinten Nationen treten ? gerade im transatlantischen Raum ? bilaterale Rechtsinstrumente. Das Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten (PNR) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika erleichtert die Reisen und stärkt somit die persönliche Freiheit durch mehr Mobilität und weniger, vor allem weniger belastende Kontrollen. Es verwundert schon, wenn das als Freiheitsbedrohung und nicht als Stärkung von Freiheitsvoraussetzungen interpretiert wird.

Gerade für die Terrorismusbekämpfung brauchen wir eine über die Europäische Union hinausgehende internationale Kooperation ? vor allem mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Im März dieses Jahres haben meine Kollegin Frau Zypries und ich sowie unsere amerikanischen Amtskollegen Michael Chertoff und Michael Bernard Mukasey daher ein bilaterales Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit paraphiert. Das Abkommen sieht vor, dass im Zusammenhang mit dem Verdacht terroristischer Straftaten nach Maßgabe des jeweils geltenden nationalen Rechts personenbezogene Daten ? z.B. Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit ? und Informationen der Verdachtsumstände übermittelt werden können. Das Abkommen schafft auch die Grundlage für einen automatisierten Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten im Hit/No-Hit-Verfahren nach Vorbild des Vertrags von Prüm.

Ebenso wie im eigentlichen Vertrag von Prüm, werden die Vereinbarungen zum Informationsaustausch von detaillierten Datenschutzregelungen flankiert.

Über den Informationsaustausch hinaus müssen wir uns abstimmen und gemeinsam handeln. In einer globalisierten Welt tragen unilaterale Entscheidungen nicht mehr weit. Wenn aber unilaterale Entscheidungen nicht tragen, dann müssen wir uns einbringen und uns auch multilateral engagieren. Schließlich können wir nicht multilateral entscheiden, was andere unilateral zu tun haben. Und wir müssen verlässliche Partner sein, wenn es darum geht, die gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Das gilt nicht nur für gemeinsame Auslandseinsätze. Die Auflösung von innen und außen, die neuen Bedrohungen durch failing states und asymmetrische Konflikte bringen eine Reihe von schwierigen Fragen mit sich, die wir national, aber eben auch international debattieren sollten. Denn wir müssen unsere Antworten auf die sich verändernde Realität in der Debatte finden.

Beispielsweise entspricht die strikte Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg den neuen Bedrohungen nicht mehr. Und auch die Einordnung von Terroristen in das System des humanitären Völkerrechts, das von der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten ausgeht, bereitet Schwierigkeiten.

Mit der Erkenntnis, dass Guantanamo nicht die richtige Antwort ist, haben wir das Problem nicht gelöst. Natürlich ist es leichter, sich damit zufrieden zu geben, dass Guantanamo in Europa nicht denkbar ist. Aber wenn man nicht bereit ist, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen und darüber auch mit unseren amerikanischen Partnern zu diskutieren, dann trägt man die Verantwortung mit, dass unilateral entschieden wird. Deswegen müssen wir gemeinsam nach Lösungen suchen.

Ich komme gerade aus Jerusalem, wo sich die Innenminister der größten europäischen Staaten sowie der amerikanische Secretary Michael Chertoff und der kanadische Minister für Homeland-Security auf Einladung des israelischen Innenministers Avi Dichter in den letzten zwei Tagen getroffen haben. Dabei ging es um einen Vergleich zwischen den verschiedenen Ansätzen bei der Terrorismusbekämpfung und eine engere Zusammenarbeit, insbesondere den Aufbau eines Netzwerkes zwischen den beteiligten Staaten.

IV. Bedeutung von Information

Der Informationsaustausch in Europa und darüber hinaus ist notwendig für die Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit. Rechtstaatliche Handlungsfähigkeit basiert mehr und mehr auf Informationen. Das gilt für alle Bereiche, aber besonders auch im Sicherheitsbereich: Das wichtigste Element im Kampf gegen den Terrorismus ist intelligence.

Nur mit Informationen haben wir eine Chance, Bedrohungen abzuwehren, bevor Schaden entstanden ist. Und es gehört zum Rechtsstaat, dass wir Bedingungen schaffen, um Straftaten zu verhindern und ihnen schon im Vorfeld vorbeugen. Prävention hat im Rechtsstaat bei Straftaten keinen niedrigeren Rang als nachträgliche Verfolgung. Deswegen können wir nicht darauf verzichten, Informationen zu erheben und zu vernetzen. Dafür brauchen wir effektive Ermittlungsinstrumente sowie die nationale wie internationale Kooperation der Behörden.

Bei der Erlangung von sicherheitsrelevanten Informationen spielen die Nachrichtendienste eine wichtige Rolle, weswegen wir ihre Arbeit nicht schwächen sollten. Nicht zuletzt sind auch sie Teil eines internationalen Netzwerks gemeinsamer Sicherheit ? die Aufspürung der Sauerland-Gruppe ist ein Beispiel hierfür ?, das wir nicht durch nationale Sonderwege bedrohen sollten.

Parlamentarische Kontrolle heißt Transparenz ? nachrichtendienstliche Zusammenarbeit braucht verlässliche Geheimhaltung. Und beide Gesichtspunkte müssen verantwortlich so verbunden werden, dass Leistungsfähigkeit und Partnerschaftsfähigkeit der Nachrichtendienste gewährleistet bleiben und ihre Bindung an Verfassung und Gesetz auch.

V. Innere / äußere Sicherheit

Die Auflösung von innen und außen erfordert auch, dass wir manche nationale Aufgabenverteilung überdenken müssen. Das gilt für die Verantwortungsteilung zwischen Polizei und Militär. Es ist richtig, dass es unterschiedliche Gefahren gibt: Manchen Gefahren kann man nur mit polizeilichen Mitteln begegnen, anderen nur mit militärischen Mitteln. Es ist aber nicht mehr richtig, dass die Grenze zwischen den unterschiedlichen Gefahren an der Landesgrenze verläuft.

Die Entwicklung hat gezeigt, dass die Polizei mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bestimmte Bedrohungen im Inland nicht bewältigen kann. Der Anschlag auf das World Trade Center ist nur eins von vielen vorstellbaren Szenarien für den Angriff auf die Zivilbevölkerung mit der Intention massenhafter Tötung. Solchen Situationen, mit denen der Gesetzgeber nur im klassischen Verteidigungsfall gerechnet hat, mit denen er ansonsten auch nicht rechnen konnte, lässt sich auf der Grundlage unseres geltenden Verfassungsrechts nicht zuverlässig begegnen. Der klassische Verteidigungsbegriff wird den heutigen Bedrohungen des internationalen Terrorismus nicht gerecht.

Hier sehe ich eine Verantwortung des Gesetzgebers, auch des Verfassungsgesetzgebers, der die staatliche Aufgabenverteilung immer wieder neu prüfen muss. Denn es kann nicht sein, dass Gefahren, die nur mit militärischen Mitteln abzuwehren sind, deswegen nicht abgewehrt werden können, weil nicht zweifelsfrei feststeht, dass der Angriff von außen kommt.

Mit überzogener Kasuistik, das war ein Fehler des rot-grünen Ansatzes, kann man das nicht lösen, aber mit der Inkaufnahme verfassungsrechtlicher Grauzonen eben auch nicht. Deswegen sind Nachdenken und Diskussion darüber nicht zu beenden.

Ich beschäftige mich schon seit langem mit diesem Thema: Wir hatten 1985 einen G 7-Gipfel in Deutschland. Ich war damals Chef des Kanzleramtes und war damit befasst, was man alles für die Vorbereitung eines sicheren G 7-Gipfels tun muss. Und am Ende, nachdem wir alle möglichen Bedrohungen und Risiken durchgesprochen hatten, habe ich die versammelten Staatssekretäre gefragt, was wir denn machen, wenn etwas aus der Luft kommt: ein bemanntes oder unbemanntes Flugobjekt. Man sagte mir, dass wir den Luftraum sperren würden. Ich fragte daraufhin, was das heißt. Das sei eine Rechtsverordnung. Ja, sagte ich, und wenn sich einer nicht daran hält? Dann kriegt er ein Bußgeld.

Um es kurz zu machen: Die Polizei kann es nicht, die Bundeswehr darf es nicht. Es hilft nur beten. Damals hat es geholfen. Mein Verständnis als Protestant ist allerdings, dass man sich nicht zu oft aufs Beten verlassen darf, solange man als politisch Verantwortlicher selbst etwas tun kann.

Dass die Grenzen zwischen der inneren und der äußeren Sicherheit seit langem obsolet geworden sind, heißt auf der anderen Seite auch, dass wir die Sicherheit Deutschlands auch im Ausland verteidigen müssen. Der Zusammenhang ist evident. In Afghanistan werden Terroristen ausgebildet, die auch unsere Sicherheit bedrohen. Deswegen leisten Bundeswehrsoldaten und Bundespolizisten in Afghanistan einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes.

Zugleich ist aber auch klar, dass wir diese Konflikte nicht allein mit Waffengewalt lösen können. Denn asymmetrische Konflikte werden nicht nur auf militärischem, sondern auch auf wirtschaftlichem, sozialem, politischem und kulturellem Gebiet entschieden. Einsätze wie in Afghanistan sind notwendig, um ein Mindestmaß an Sicherheit und Ordnung herzustellen als Grundvoraussetzung für Stabilität und gesellschaftlichen Aufbau. Wir müssen aber darauf achten, dass wir durch militärische Einsätze nicht mehr Provokation erzielen als in der Sache voranzukommen. Letztlich geht es darum, die Menschen von unseren Werten einer freien Gesellschaft zu überzeugen. Nur so können wir Krisenregionen auf Dauer stabilisieren. Hard Power allein reicht nicht, wir brauchen auch Soft Power. Und mit ?wir? müssen wir dabei heute vor allem Europa und die westliche Wertegemeinschaft meinen.

Wir werden vielleicht nicht alle Menschen zu überzeugten Anhängern unserer westlichen Lebensweise machen können, aber es muss uns gelingen, dass sie sich gegen den Terror wenden und den Terroristen ihre Unterstützung entziehen. Langfristig angelegte Entwicklungsprogramme und Programme zur Etablierung stabiler ziviler Strukturen müssen Teil dieser Bemühungen sein.

Das gilt für Krisenregionen. Aber auch bei uns müssen wir uns bemühen, extremistischen Tendenzen mit aller Entschiedenheit entgegen zu treten und die Menschen von den Werten unserer freiheitlichen Gesellschaft zu überzeugen. Weltweite Mobilität und Migration, aber auch zunehmender Individualismus, der Verlust von Traditionen und Bindungen lassen unsere Gesellschaften heterogener werden. Eine der wichtigsten Aufgaben in unserer globalisierten Welt ist daher, dass unsere Gesellschaften nicht auseinanderdriften, sondern ein Gemeinschaftsgefühl erhalten bleibt. Deswegen müssen wir uns um Integration bemühen. Denn das ist die Voraussetzung, um miteinander und nicht nebeneinanderher zu leben.

Um hierfür im eigenen Land einen Beitrag zu leisten, habe ich die Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen. In Deutschland leben zwischen drei und dreieinhalb Millionen Muslime. Wenn wir nicht abgeschottet voneinander leben wollen, sondern ein Gefühl von Gemeinschaft innerhalb Deutschlands erhalten wollen, brauchen wir einen intensiveren Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Letztlich werden wir auf solchen Wegen am meisten nachhaltig für die Friedlichkeit und Stabilität unserer Gesellschaften erreichen.

Nur durch Offenheit und im Dialog können wir die Menschen von unseren Werten und von der Ernsthaftigkeit unserer Unterstützung überzeugen. Dabei sollten wir selbstbewusst für unsere Vorstellungen eintreten. Unser offenes, freiheitliches System mag uns vielleicht verwundbarer machen als andere. Die weltweite Attraktivität unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung ist aber zugleich unsere größte Stärke.

Sicherheit zu gewährleisten, ist und bleibt eine Kernaufgabe des Staates. Das entspricht der Idee des Rechtsstaates und dem staatlichen Gewaltmonopol. Die Bedingungen für die Wahrnehmung dieser Aufgabe verändern sich, und sie verändern sich im Zuge der technologischen Entwicklung und der damit zusammenhängenden Globalisierung schneller als das früher der Fall war.

Dieser Erkenntnis dürfen wir uns nicht verweigern und deshalb müssen wir im demokratischen Streit, aber ohne Tabuisierung und verleumderische Diffamierung des freiheitlich verfassten Rechtsstaats und seiner Institutionen um die richtigen Antworten ringen. Wieder und wieder ? und wer das verweigert schwächt Freiheit und Sicherheit so sehr wie Demokratie und Rechtsstaat.