Freedom vs. Security: Guaranteeing Civil Liberties in a World of Terrorist Threats



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Rahmen der Bucerius Summer School on Global Governance

Kaum etwas treibt Menschen mehr an als die Hoffnung auf ein freies, selbst bestimmtes Leben. Das lässt uns Neues wagen, Hindernisse überwinden. Aber solange Freiheit allein formal besteht, ist sie nicht viel wert. Ebenso wichtig ist, dass sie nicht ins Grenzenlose geht. Sie muss gelebt werden können. Dazu braucht es Regeln und einen Ordnungsrahmen. Manche mögen die völlige Abwesenheit von beschränkenden Regeln, einer ordnenden Gewalt als Zustand vollkommener Freiheit ansehen. Aber demokratisch gedacht ist das nicht. Dann wären nur die Starken, die sich aus eigener Kraft Durchsetzenden frei. Persönliche Freiheit ist, soll sie von jedermann genossen werden können, ein schutzbedürftiges Gut. Freiheit ohne Regeln ist immer in der Gefahr, sich selbst zu zerstören. Die internationale Finanzkrise hat das wieder in Erinnerung gerufen.

Die Freiheit auch der Schwächeren zu schützen, ist Kernaufgabe des Staates und wesentliche Rechtfertigung seines Gewaltmonopols. Schon Thomas Hobbes sah im 17. Jahrhundert die Rechtfertigung für einen freiwilligen Freiheitsverzicht aller Bürger zugunsten staatlicher Gewalt darin, dass erst das Gewaltmonopol des Staates den Frieden und damit die Freiheit seiner Bürger zu garantieren vermag. Wir sehen das sehr deutlich an failed states: Niemand wird behaupten wollen, dass etwa in Somalia ein Leben in nennenswerter Freiheit möglich ist.

In Deutschland haben wir die bitteren Erfahrungen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats gemacht. Das hat uns die Garantie fundamentaler Freiheitsrechte des Einzelnen an den Anfang unserer Verfassung setzen lassen. Wir verstehen diese Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, sondern entnehmen ihnen auch Schutzpflichten des Staates für die in der Verfassung garantierten Rechte. Nur wenn der Staat ausreichend für Sicherheit sorgt, können die Menschen ihre Chancen in einer offenen Gesellschaft wirklich wahrnehmen. Freiheit und Sicherheit sind also keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille.

Den Schutz persönlicher Freiheit muss der Staat unter sich immer wieder wandelnden Bedingungen gewährleisten. Wir leben heute in einer hochgradig vernetzten, globalisierten Welt. Ich nenne nur als Stichworte die Allverfügbarkeit von Informationen durch das Internet, offene Märkte, weltweite Kommunikation und grenzüberschreitende Mobilität der Menschen.

Diese Entwicklungen bedeuten einen ungeheuren Zugewinn an Handlungsspielräumen und damit mehr persönliche Freiheit. Dazu hat auch staatliches Handeln beigetragen. Ein erleichterter Personen- und Warenverkehr über Ländergrenzen hinweg bis hin zum völligen Wegfall von Personenkontrollen im Schengen-Raum erfordert entsprechende rechtliche, meist internationale Regelungen. Und auch das Internet ging aus einem staatlichen Projekt in den USA hervor.

Mit geänderten Lebensumständen ändern sich auch die Gefahren, vor denen wir stehen: Auch kriminelle Vereinigungen machen sich erleichterte Kommunikation und offene Grenzen zunutze. Noch während des Kalten Krieges war ein Angriff durch einen fremden Staat die größte Gefahr für die Sicherheit eines Landes. Heute stellen uns terroristische Bedrohungen und asymmetrische Formen der Kriegsführung vor neue Herausforderungen.

Nach dem EU Terrorism Situation and Trend Report 2009, den Europol im Frühjahr vorgestellt hat, wurden im vergangenen Jahr allein in der Europäischen Union 187 islamistische Terrorverdächtige festgenommen. Auch Deutschland ist ins Visier der Täter gerückt. Im Juli 2006 hatten wir Glück, dass zwei Kofferbomben, mit denen Anschläge auf Eisenbahnzüge verübt werden sollten, nicht explodierten. Im letzten Jahr konnten die Sicherheitsbehörden die Anschlagspläne der so genannten „Sauerland-Gruppe“ vereiteln. Sie hatte mit zwölf 60 Liter-Fässern Wasserstoffperoxid Anschläge auf amerikanische Staatsbürger in Deutschland verüben wollen. Derzeit stehen sie vor Gericht. Ihre umfangreichen Geständnisse geben tiefe Einblicke in Strukturen und Arbeitsweise des islamistischen Terrorismus.

Das Ziel terroristischer Gewaltakte erschöpft sich nicht im konkret messbaren Schaden, sondern geht weit darüber hinaus. Terroristen geht es nicht um die Menschen, die sie zu Opfern machen. Die Opfer sind ihnen Mittel zum Zweck. Ihr konkretes Leid, ihre vorgeführte Hilflosigkeit dient dem Ziel, den Staat – der eigentlich gemeint ist – als ohnmächtig vorzuführen, ihn zu destabilisieren und ein Klima der Angst zu verbreiten. Deshalb bringt es auch nichts, die Opferzahlen mit der Zahl von Menschen zu vergleichen, die durch Verkehrsunfälle oder durch das Rauchen umkommen. Der Terrorismus hat in seiner Schädlichkeit für unsere Freiheitsordnung eine andere Qualität.

Durch das, was wir chilling effect nennen, beeinträchtigt die terroristische Bedrohung die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Bevölkerung unmittelbar. Wenn etwa in der Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Räume die Verkürzung der individuellen Freiheit geltend gemacht wird, so ist ebenso an die Verkürzung individueller Freiräume zu erinnern, die aus unsicherer und bedrohter persönlicher Sicherheit im öffentlichen Raum erwächst. Wer ist unfreier: der Bürger, der bestimmte Räume meidet, weil sie videoüberwacht sind, oder derjenige, der sich aus Angst vor Kriminalität oder Anschlägen zu bestimmten Zeiten nicht mehr an bestimmte Orte wagt?

Das Ziel des islamistischen Terrorismus ist die Schwächung des liberalen Rechtsstaates und die Verkürzung der von ihm garantierten Freiheitsräume. Schon das geschlossene islamistische Weltbild steht in krasser Ablehnung zur offenen Gesellschaft mit ihren liberalen Werten und rechtsstaatlichen Prinzipien, wie sie heute das Leitbild westlich geprägter Demokratien sind.

Um die Errungenschaften der offenen Gesellschaft in der globalisierten Welt zu bewahren, in der vielfältige Lebensentwürfe in Freiheit gelebt werden können, müssen wir verhindern, dass ein Klima der Angst entsteht. Denn dann würden die Menschen Vielfalt nicht mehr als Bereicherung, sondern als Bedrohung empfinden. Dazu muss der Staat zum Schutz seiner Bürger angemessen auf die neuen Gefahren reagieren, auf der Höhe der Aufgaben und auf der Höhe der technischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit.

Wir müssen sehen, dass die herkömmliche Abschreckung durch Strafandrohung bei Selbstmordattentätern versagt. Wenn aber Abschreckung keine ausreichende Wirkung entfaltet, bekommt die Prävention der Tat besonderes Gewicht. Erfolgreiche Prävention setzt vor allem Information voraus. Nur ausreichend informiert haben wir die Chance, Bedrohungen abzuwehren, ehe ein Schaden entstanden ist.

Zur Verhinderung terroristischer Anschläge ist vor allem die Arbeit leistungsfähiger Nachrichtendienste unverzichtbar. Nur mit ihrer Hilfe verfügen wir frühzeitig über die Informationen, die wir brauchen. Auch die Anschlagpläne der „Sauerland-Gruppe“ konnten wir nur verhindern, weil wir frühzeitig geheimdienstliche Informationen aus den USA bekommen hatten.

Natürlich dürfen die Sicherheitsbehörden nur im Rahmen von Recht und Gesetz handeln und Informationen gewinnen. Also muss der Staat die notwendigen rechtlichen Grundlagen für ihre Arbeit schaffen, wie gesagt, auf der Höhe der technischen Entwicklungen unserer Zeit: Wenn Absprachen zur Vorbereitung von Straftaten nicht mehr nur mündlich, brieflich oder telefonisch getroffen werden, sondern zunehmend unter Nutzung elektronischer Medien, müssen die Sicherheitsbehörden in der Lage sein, diese Kommunikation ebenso nachzuverfolgen, wie es für andere Formen der Kommunikation schon der Fall ist.

Im Zeitalter der Globalisierung ist die internationale Vernetzung der Sicherheitsbehörden unerlässlich. Sie müssen mit dem erweiterten räumlichen Aktionsradius der Täter Schritt halten können. Solange eine Tat im gleichen Land vorbereitet wird, in dem sie ausgeführt wird, reicht es aus, wenn entsprechende Informationen allein den Behörden dieses Landes vorliegen. Aber die Möglichkeiten des Nationalstaats, Terrorismus im Alleingang wirksam zu bekämpfen, schwinden in dem Maße, wie terroristische Netzwerke grenzüberschreitend handeln.

Die jetzt in Düsseldorf angeklagte „Sauerland-Gruppe“ ist hierfür geradezu ein Musterbeispiel mit ihren aus Deutschland stammenden Mitgliedern, die sich in Pakistan für einen Kampf gegen die USA in Afghanistan ausbilden ließen – wo sie sich letztlich doch entschlossen, lieber Anschläge auf Amerikaner in Deutschland zu verüben.

Also brauchen wir eine enge internationale Zusammenarbeit der Polizeien und Nachrichtendienste, auch und gerade zum Austausch von Informationen. Das ist nicht staatlicher Datensammelwut geschuldet, sondern der Verantwortung für die Menschen in einer Welt mit hoher Mobilität.

In dieser Welt wirken sich Probleme in anderen Teilen der Erde unmittelbar oder mittelbar auch vor der eigenen Haustür aus. Globalisierung und offene Grenzen bedeuten, dass wir gemeinsam und integriert handeln müssen. Das schließt ein, dass wir internationale Terrornetzwerke dort bekämpfen müssen, wo sie ihre Ausbildungslager haben und damit Gefahren auch für andere Länder ihren Ausgang nehmen. Dabei sind wir auf multilaterale Entscheidungen und multilaterales Engagement angewiesen. Es geht nicht, dass wir multilateral diskutieren, was die Vereinigten Staaten unilateral ausführen sollen.

Also muss ein leistungsfähiges Land wie Deutschland bereit sein, sich auch an Krisenherden im Ausland zu engagieren – durch humanitäre Einsätze, aber auch durch polizeiliche und notfalls militärische Interventionen, um ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten als Grundvoraussetzung für Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Natürlich müssen wir auch im eigenen Land Radikalisierung verhindern. Insbesondere die Integration von Muslimen ist eine zentrale Aufgabe. Wir müssen die Menschen vom Wert und von den Vorteilen einer freien Gesellschaft überzeugen, um gewaltbereiten Extremisten dauerhaft den Boden zu entziehen.

Was die richtigen Wege sind, um Terrorismus zu bekämpfen, darüber müssen wir diskutieren. Wichtig scheint mir, dass wir bei der Debatte den Blick für die eigentliche Bedrohung nicht verlieren. Es ist nicht der Staat, der die Freiheit bedroht, sondern es sind weltweit agierende, zur Gewalt entschlossene Terrornetzwerke.

In der aktuellen Diskussion wird bisweilen der Eindruck erweckt, als ziehe die Schaffung neuer staatlicher Befugnisse und die stärkere Vernetzung der Sicherheitsbehörden zwangsläufig nach und nach den Verlust bürgerlicher Freiheit nach sich. Als seien wir auf dem Weg in den Polizeistaat. Ich halte diese Argumentation für falsch. Keineswegs werden seit jeher bestehende Freiheiten mehr und mehr einschränkt. Es gilt vielmehr, staatliche Handlungsmöglichkeiten an neue Freiheitsräume anzupassen, damit der Staat seine Kernaufgabe, die Sicherheit und damit mittelbar auch die Handlungsfreiheit seiner Bürger zu gewährleisten, weiterhin effektiv erfüllen kann.

Dabei müssen die Werte unserer freiheitlichen Verfassung, die es zu schützen und zu verteidigen gilt, weiterhin Leitlinien staatlichen Handelns sein. In genau definierten Fällen hat der Staat, um seinen Schutzpflichten nachzukommen, die Freiheitsrechte des Einzelnen schon immer einschränken müssen.

Es ist für staatliche Organe eine große Aufgabe, die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu ergreifen und dafür so wenig wie möglich in Freiheitsrechte einzugreifen. Diese Aufgabe ist weder neu noch unlösbar. Im Laufe der Zeit wurde ein abgestuftes Instrumentarium entwickelt, um die Balance von Sicherheit und Freiheit zu bewahren.

Im Rechtsstaat ist staatliches Handeln immer an Recht und Gesetz gebunden. In Deutschland müssen Eingriffe in verfassungsmäßig garantierte Grundrechte ausdrücklich durch ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz erlaubt werden. Dies gilt etwa für das Brief- und Fernmeldegeheimnis. Nur der vom Volk gewählte Gesetzgeber kann die Voraussetzungen festlegen, unter denen eine Telekommunikationsüberwachung zulässig ist.

Bei sensiblen Eingriffen in ein Freiheitsrecht muss das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen durch eine unabhängige Stelle, in der Regel ein Richter, festgestellt werden. So sieht das Grundgesetz den Richtervorbehalt etwa für Wohnungsdurchsuchungen vor. Auch die nachrichtendienstliche Telekommunikationsüberwachung ist von der Billigung einer unabhängigen Kommission abhängig. Neben diesen formalen Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs gebietet unsere Verfassung, dass das ermächtigende Gesetz und auch die konkrete Einzelmaßnahme selbst verhältnismäßig sein müssen. Nicht-juristisch ausgerückt heißt das: Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Mit diesen Instrumentarien lässt sich auch beim Schutz vor terroristischen Bedrohungen eine angemessene Balance finden zwischen dem Schutzauftrag des Staates und dem Gebot staatlicher Zurückhaltung.

Die Praxis zeigt, dass die Sicherheitsbehörden von den eingeräumten Kompetenzen maßvoll Gebrauch machen. So gab es im Jahr 2007 in Deutschland insgesamt fünf Millionen strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Dabei setzten die Sicherheitsbehörden nur in ganzen zehn Verfahren das Instrument der akustischen Wohnraumüberwachung ein. Noch niedriger war die Zahl von Auskunftsverlangen gegenüber Finanzdienstleistern zur Aufdeckung von Geldströmen im internationalen Terrorismus. Dieses Instrument, das zum Beispiel wichtige Erkenntnisse im Verbotsverfahren gegen den Verein Al Aqsa e.V. lieferte, wurde 2007 nur fünfmal in Anspruch genommen. Wir sollten uns davor hüten, den maßvoll und verantwortungsbewusst handelnden Staat zu diffamieren und unter einen falschen Generalverdacht zu stellen. Es unterminiert das Vertrauen in staatliches Handeln, wenn der Staat in der Wahrnehmung seiner Schutzfunktion nicht als Wahrer der Freiheit, sondern als deren Feind wahrgenommen wird.

In unserer freiheitlich verfassten Ordnung gibt es keinen Gegensatz zwischen dem Staat, der die Freiheit und Autonomie seiner Bürger achtet und dem Staat, der Sicherheit schafft. Im Rechtsstaat sind beide vereint. Und so bringt es nach meiner Überzeugung wenig, wenn in den Diskussionen, die wir führen müssen, eine Seite sich ausschließlich als Anwalt der Freiheit begreift und stillschweigend davon ausgeht, der Staat werde schon irgendwie für Sicherheit sorgen.

Es kann uns vor unglaublich schwierige Aufgaben stellen, die angemessenen Lösungen in neuen Bedrohungslagen zu finden. Es ist inzwischen weit verbreiteter Konsens, dass Guantanamo geschlossen werden muss. Was aber soll nun mit den noch Inhaftierten geschehen? Selbstverständlich bleibt die Sicherheit unserer Bürger weiterhin unser Auftrag, der die vorschnelle Aufnahme möglicherweise gefährlicher Häftlinge ausschließt. Gleichwohl sind wir bereit, den Vereinigten Staaten bei der Lösung dieses Problems zu helfen. Wichtig ist, sich diesen Fragen zu stellen, sie nicht durch Denkverbote zu tabuisieren. Nur so werden wir den Aufgaben unserer Zeit gewachsen bleiben. Nur so werden wir die Bedingungen erhalten, unter denen unsere offene Gesellschaft existieren kann.