„Eliten dürfen sich nicht so benehmen“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Süddeutschen Zeitung
SZ: Herr Schäuble, bereuen Sie den Wechsel ins Finanzministerium schon?

Schäuble: Nein, warum sollte ich? SZ: Sie haben einen schwierigen gegen einen unmöglichen Job eingetauscht.

Schäuble: Ich wusste vom Moment an, als die Kanzlerin mich fragte, dass das eine riesige Aufgabe ist. Aber irgendeiner muss den Job ja schließlich machen.

SZ: Wo liegen die Unterschiede zwischen Ihrem alten und dem neuen Amt?

Schäuble: Wenn nachts das Telefon klingelt, schreckt ein Innenminister sofort auf, weil er Sorge hat, dass etwas Schlimmes passiert ist. Das ist vielleicht als Finanzminister nicht so – wobei sich das mit der Finanzkrise verändert hat.

SZ: Muss ein Finanzminister vielleicht mehr faule Kompromisse machen – wenn etwa der nächtliche Anrufer Peter Harry Carstensen heißt und einen Ausgleich für sein Ja zu Steuersenkungen verlangt?

Schäuble: Die Haushaltslage in Schleswig-Holstein ist prekär, und deshalb ist es für Peter Harry Carstensen schwierig, weitere Einnahmeausfälle vor den Bürgern zu verantworten. Deshalb suchen wir nach einer Lösung. Wenn Manager Politikern vorwerfen, wir schielten auf Wählerstimmen, ist meine Antwort: Ja, worauf denn sonst? Es kennzeichnet die Demokratie, auch für notwendige, aber unpopuläre Maßnahmen zu werben.

SZ: Ist es womöglich Ihr protestantisches Pflichtbewusstsein, das Ihnen solche Ämter wie das neue aufzwingt?

Schäuble: Ach, ich halte nichts davon, Ministerien nach Schwierigkeitsgraden zu etikettieren. Man wird doch nicht Politiker, um möglichst wenig, sondern um mögliehst viel Verantwortung zu übernehmen. Nur dann kann ich gestalten! SZ: Zumindest beim Haushalt .können Sie doch derzeit gar nichts gestalten.

Schäuble: Manchmal ist es umso leichter zu gestalten, je größer der Druck ist.

SZ: Kommende Woche legen Sie den Haushaltsentwurf 2010 vor, Ihren ersten. Auch wenn Sie nichts dafür können: Ihr Name wird lange Zeit für die höchste Neuverschuldung aller Zeiten stehen.

Schäuble: Titel wie der des “ Schuldenweltmeisters“ sind mir egal. Den trug schon Theo Waigel, wobei unterschlagen wird, dass er die deutsche Einheit finanzieren musste. Bei mir ist es jetzt die schwerste Wirtschaftskrise aller Zeiten. Ich will dafür nicht bemitleidet werden.

SZ: Bislang kalkulieren Sie für 2010 mit einer Nettokreditaufnahme von rund 86 Milliarden Euro. Bleibt es dabei?

Schäuble: Ich habe immer gesagt, dass wir die Grenze, die wir im Juni noch zu Zeiten der großen Koalition gezogen haben, beibehalten werden. Diese Zusage lösen wir ein. Wir werden sogar knapp unter 86 Milliarden Euro liegen.

SZ: Das bedeutet, dass Sie ab 2011 jedes Jahr zehn Milliarden Euro einsparen müssen, wenn Sie die Verfassung einhalten wollen. Stattdessen verschenken Sie eine Milliarde Euro an die Hoteliers.

Schäuble: Das war nicht meine Idee. Politik heißt aber nun einmal, Kompromisse zu schließen. Und für Hotels, die ausländische Wettbewerber haben, ist diese Steuersenkung durchaus wichtig.

SZ: Wo also sollen die zehn Milliarden Euro pro Jahr herkommen?

Schäuble: Diese Frage werden wir bei der Aufstellung des Etats 2011, also im nächsten Juni, beantworten. Um den Aufschwung zu stabilisieren, entlasten wir Bürger und Betriebe 2010 insgesamt um etwa 20 Milliarden Euro und 2011 noch einmal um etwa 19,5 Milliarden Euro im Rahmen einer Steuerstrukturreform. Dafür nehmen wir auch eine höhere Neuverschuldung in Kauf. Sollte die Wirtschaft im übernächsten Jahr dann wieder rund laufen, müssen wir parallel mit der Haushaltskonsondierung beginnen.

SZ: Sie weigern sich, strikt zu sagen, wo genau Sie sparen wollen. Damit verunsichern Sie die Menschen, und deshalb wird auch Ihre Strategie, die Bürger mit Hilfe von Steuersenkungen zum Geldausgeben zu animieren, nicht aufgehen.

Schäuble: Wenn Sie sich die Entwicklung der privaten Nachfrage ansehen, werden Sie feststellen, dass sich die Leute viel klüger verhalten, als man annehmen könnte. Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass wir 2011 darangehen müssen, die Ausgaben zu kürzen.

SZ: Wieso eigentlich? Man könnte ja auch Steuersubventionen streichen.

Schäuble: Ich mag den Begriff Steuersubvention nicht, weil er vorgaukelt, dass das Geld, das der öffentlichen Hand verlorengeht, dem Staat gehört. Es gehört aber den Menschen. Zudem könnte die Abschaffung mancher Sonderregelung gehörigen Schaden anrichten: Würden wir etwa die Absetzbarkeit von Spenden streichen, bräche das Spendenaufkommen garantiert ein. Wollen wir das?

SZ: Wir verstehen Ihre Strategie dennoch nicht— weder ökonomisch noch politisch. Normalerweise begeht eine Regierung am Anfang der Wahlperiode die Grausamkeiten und verteilt am Ende die Wohltaten. Sie gehen umgekehrt vor.

Schäuble: Ich denke, wir können den Menschen die ökonomische Richtigkeit unserer Politik sehr wohl erklären: Während der Krise steuern wir gegen, im Anschluss bauen wir das Defizit wieder ab.

SZ: Was sind die Erfolgskriterien, an denen Sie sich 2013 messen lassen?

Schäuble: Wenn wir die Krise mit geringen Schäden überstehen, wenn wir unsere Position in der Weltwirtschaft halten, wenn wir auf einen nachhaltigen Konsolidierungskurs einschwenken, und wenn wir es dann noch schaffen, unser Steuersystem ein Stück weit gerechter und handhabbarer zu machen, dann würde ich sagen: Wir waren erfolgreich.

SZ: Müsste man nicht einmal grundsätzlich darüber reden, was eine erfolgreiche Finanzpolitik auszeichnet? Alle sind sich schnell einig, wofür mehr Geld ausgegeben werden soll, etwa für die Bildung. Aber keiner sagt, wofür er im Gegenzug weniger aufwenden will. Das führt zwangsläufig in die Schuldenfalle.

Schäuble: Wer Prioritäten setzen will, muss auch Posterioritäten nennen. Vielleicht sollten wir aber zunächst fragen, wie wir die vorhandenen Mittel effizienter einsetzen können. Dann ergäben sich Einsparungen von alleine. Wir müssen auch grundsätzlich die Frage stellen, ob wir die richtigen Anreize setzen: Wenn etwa in bestimmten Gegenden des Landes viele Schüler angeben, ihr Berufsziel sei Hartz IV, dann stimmt doch etwas nicht.

SZ: Und wie sieht es am anderen Ende der sozialen Skala aus?

Schäuble: Eliten dürfen sich nicht so benehmen, als würden für sie überhaupt keine Regeln gelten. Sonst geht der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren. SZ: Sie sprechen von den Bankern. Haben Sie den Eindruck, dass die Manager aus dem Schlamassel gelernt haben, den sie weltweit angerichtet haben?

Schäuble: Auch Banker unterliegen Zwängen, weshalb ich nicht einfach mit dem Finger auf sie zeige. Alle müssen lernen, auch Politiker. Selbst viele Redakteure der Süddeutschen Zeitung würden, wenn sie zwischen zwei Renditen wählen könnten, sich für die höhere entscheiden.

SZ: Heißt das, dass der Schüler mit Beruf sziel Hartz IV und der Top-Banker die gleiche Motivation haben: Beide sind darauf aus, Regeln möglichst weit zu dehnen, um ihren Nutzen zu maximieren?

Schäuble: Ja, aber da gilt der alte Satz: „Quod licet jovi, non licet bovi.“

SZ: Frei übersetzt: Wenn zwei das Gleiche tun, ist das längst nicht dasselbe.

Schäuble: Genau. Wer privilegiert ist, trägt eine größere Verantwortung für das Gemeinwohl als andere. Hier haben viele Eliten in den vergangenen Jahren versagt – auch, aber nicht nur die Banker.

SZ: Werden Sie doch mal konkret: Warum beteiligt man die Banken, die schon wieder Milliarden-Boni verteilen, nicht an den Kosten der von ihnen verursachten Krise? Sie könnten zum Beispiel eine Finanztransaktionsteuer erheben.

Schäuble: Darüber wird ja diskutiert. Eine solche Steuer müsste aber weltweit eingeführt werden, um Wettbewerbsnachteile für Deutschland zu vermeiden.

SZ: Das ist das alte Totschlagargument, über das sich die Banken heimlich ins Fäustchen lachen. Nicolas Sarkozy will, Angela Merkel will, Gordon Brown will: Warum gehen sie den Schritt nicht?

Schäuble: Eine Finanztransaktionsteuer ist eine von mehreren denkbaren Lösungen. Wer aber wirklich etwas erreichen will, sollte sich nicht apodiktisch auf ein einziges Instrument festlegen.

SZ: Ausgerechnet die angeblich so wirtschaftsliberalen Briten wollen Boni demnächst mit 50 Prozent besteuern. Ein Vorbild für die Bundesregierung?

Schäuble: Deutschland wird zunächst die Vergütungstandards zügig und konsequent umsetzen, die die G 20 im Herbst in Pittsburgh vereinbart haben. Ich erwarte von den Akteuren des Finanzsektors aber auch, dass sie selbst etwas tun, um Fehlentwicklungen bei den Vergütungen und den Boni zu verhindern. Die jüngste Selbstverpflichtung von Banken und Versicherungen ist deshalb ein wichtiges Signal der Einsicht. Die G 20 diskutieren außerdem darüber, wie der Finanzsektor einen angemessenen Beitrag zur Bewältigung der Krisenlasten leisten kann. Vor diesem Hintergrund ist jeder Vorschlag eine Bereicherung.

SZ: Deutsche-Bank-Chef Ackermann hat jüngst davon gesprochen, dass in der globalen Finanzwelt noch weitere Zeitbomben tickten. Er meinte offenkundig nicht zuletzt die Pleitekandidaten Griechenland, Lettland und Ukraine.

Schäuble: Es gibt noch jede Menge anderer Gefahren. Richtig aber ist: Die Probleme Griechenlands sind nicht trivial, und sie sind letztlich das Problem der gesamten Europäischen Währungsunion. Deshalb muss die Regierung in Athen ihren Haushalt jetzt in Ordnung bringen.

SZ: Eine Ihrer zentralen Lebenserfahrungen lautet: Es ist, wie es ist. Was bedeutet der Satz vor dem Hintergrund all dessen, was wir jetzt besprochen haben?

Schäuble: Er bedeutet, dass Politik mit der Betrachtung der Realität beginnen muss. Das heißt auch, den Menschen so zu nehmen, wie er ist, und nicht so, wie man ihn sich wünscht. Das ist die Absage an Ideologie, an jede Form überhöhter Politik. Der zweite Schritt ist die Pflicht zur Zuversicht. Von ihr leben wir. Also: Es ist, wie es ist, plus ein wenig Zuversicht – mit diesem Motto ist man doch für Weihnachten ganz gut gewappnet. Interview: Claus Hulverscheidt und Guido Bohsem

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