Einweihung der Ehrenwand



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Einweihung der Gedenkwand für im Dienst ums Leben gekommene Angehörige des Geschäftsbereiches in Berlin

Die Gedenkwand, die wir heute einweihen, erinnert an 66 hilfsbereite und mutige, meist noch junge Männer und Frauen. Sie alle waren für eine Behörde tätig, die zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gehört: der Bundespolizei, dem Technischen Hilfswerk, dem Bundeskriminalamt. Sie alle haben bei ihrem Dienst besondere Gefahren auf sich genommen. Und für diese 66 Menschen sind die Gefahren leider tödlich gewesen. Die Bundesregierung, der Bundesinnenminister, die Präsidenten der Bundespolizei, des Technischen Hilfswerks und des Bundeskriminalamts, alle früheren Kolleginnen und Kollegen gedenken der Verstorbenen in Dankbarkeit und voller Respekt, und wir ehren sie für ihren Einsatz für unser Gemeinwesen.

Der Tod eines Menschen bringt für die Angehörigen – für Eltern, Ehepartner, Geschwister, Kinder und Enkel -, immer einen unwiederbringlichen Verlust. Ich danke Ihnen, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Ich weiß, dass bei vielen von Ihnen die Erinnerung noch frisch ist. Und ich weiß auch, dass das Geschehene nicht wenige an den Rand dessen geführt hat, was Menschen ertragen können. Die Mutter eines ums Leben gekommenen Helfers hat mir einmal geschrieben: „Ich komme mir vor wie ein entgleister Zug, immer noch auf der Suche, wieder auf die richtige Spur zu kommen.“

Die Lücke, die Ihre Angehörigen hinterlassen haben, ist nicht zu schließen. Niemand kann Ihren Verlust verringern und Ihnen die Trauer abnehmen. Aber wir können Ihnen zeigen, dass wir die Aufgabe ernst nehmen, die Leistungen Ihrer Angehörigen zu würdigen, und dass wir willens sind, die Opfer im Gedächtnis zu halten.

Mancher wird fragen: Warum erst jetzt? Eine Ehrung wäre eigentlich schon lange geboten. Dass wir jetzt endlich den Anfang setzen, liegt vielleicht daran, dass das Jahr 2009 uns viel Anlass zum Rückblick gegeben hat. 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 20 Jahre Friedliche Revolution in der DDR waren Gründe, das Geschehene zu prüfen und uns auch selbst zu prüfen.

Da tritt dann auch Versäumtes oder auch Verdrängtes klarer in den Vordergrund. Wir verdanken es dem tagtäglichen Einsatz vieler Menschen, dass wir in Deutschland in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben. Dieser Einsatz für die Gemeinschaft birgt immer auch Gefahren und – bei aller Vorsicht – fordert er Opfer.

Wir wollen die Erinnerung an die verstorbenen Kollegen mit zwei Gedenkstellen wachhalten. Die eine soll ein Denkmal auf dem Freigelände des Ministeriums sein, zu dem auch die Öffentlichkeit Zugang hat. Aber dieses Ministerium wird erst gebaut. Dieses Denkmal soll aus drei hohen Metallstelen bestehen, die in den Zaun des Ministeriums eingefügt sind. Das Bundesinnenministerium ist in dem jetzigen Gebäude nur vorläufig untergebracht. Ein Neubau ist in Vorbereitung und vom Parlament beschlossen. Es soll 2015 bezogen werden und dann werden die drei Stelen dem Publikum zugewandt sein, das wir ansprechen wollen. Es wird die Inschrift eingraviert sein: „Sie starben im Dienst für unser Land“ und darunter werden die Namen mit Geburts- und Todesjahr stehen. Dieser Entwurf ist aus einem Künstlerwettbewerb hervorgegangen; er stammt von Professor Christian Höpfner aus Berlin, den ich heute auch als Gast begrüße. Sie sehen ein Modell des Denkmals in diesem Raum ausgestellt.

Die andere Gedenkstelle lässt sich schneller realisieren und ist in erster Linie für die Mitarbeiter und Besucher im Bundesinnenministerium gedacht. Das ist die Gedenkwand, die wir heute einweihen. Sie enthält 66 Tafeln, jeweils mit Namen, Lebensdaten, Todesumständen und, soweit ermittelbar, Foto des Verstorbenen. Als Ort haben wir das Foyer unseres Konferenzzentrums im ersten Stock gewählt. Dort ist kein ständiger Dienstbetrieb und es gibt Möglichkeiten, sich in Ruhe mit den Tafeln auseinanderzusetzen. Es ist zugleich ein Ort, wo Mitarbeiter des Hauses und auch Gäste häufiger zu tun haben. Auch im künftigen Ministerium wird die Gedenkwand einen würdigen Ort erhalten.

Ich will hinzufügen, dass unsere Gedenktafel vermutlich unvollständig ist. Das hat damit zu tun, dass Personalakten nur eine bestimmte Zeit aufbewahrt werden. So waren bei der Erarbeitung der Gedenkwand zum Teil recht umfangreiche Recherchen nötig für die länger zurückliegenden Zeiten. Aber vermutlich haben wir aus den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland kein vollständiges Bild gewinnen können. Wenn sich entsprechende Informationen ergeben sollten, werden wir die Gedenkwand ergänzen.

Ich bitte die Beamten der Bundespolizei, die Gedenkwand zu enthüllen. Lassen Sie mich einige Einzelne herausgreifen, die im Einsatz für Andere und im Dienst der Humanität gestorben sind. Wir wollen Ihr Andenken lebendig halten. Da ist der 27-Jährige Alexander Birnstiel, Polizeiobermeister beim Bundesgrenzschutz. Bei der Heimfahrt nach Feierabend kommt er im Januar vor fünf Jahren auf der Autobahn an einem Unfall vorbei. Er hält an und hilft dem Unfallfahrer, die Unfallstelle abzusichern und den Wagen aus der Gefahrenzone zu schieben. Während sie das tun, rast ein LKW in die Unfallstelle und tötet beide. Auch der THW-Helfer Michele Agosti ist in noch jungen Jahren bei Sicherungsarbeiten auf der Autobahn gestorben.

Wer anderen hilft und Menschen schützt, geht häufig auch ein Risiko für sich selbst ein. Das macht auch das Schicksal von Polizeihauptmeister Rainer Bott vom Bundesgrenzschutz deutlich. Er ist im Februar vor 14 Jahren einen Rettungshubschrauber geflogen, um einen Skiläufer zu bergen, der nach einem Unfall bewusstlos auf der Langlaufloipe lag. Die Sicht war schlecht, und so konnte er die Seile einer Materialseilbahn nicht erkennen, der Hubschrauber kollidierte damit und Rainer Bott stürzte mit der Maschine ab. Auch Jürgen Schauf, Kriminaloberkommissar beim Bundeskriminalamt, als Personenschützer in Bosnien eingesetzt, ist mit dem Hubschrauber verunglückt, fast genau vor 12 Jahren, ebenso wie Peter Hippert und Klaus-Dieter Reitz, deren Maschine im Dezember 1991 in der Nähe von Braunschweig abstürzte. Ähnlich wie Rainer Bott, Jürgen Schauf, Peter Hippert und Klaus-Dieter Reitz starben acht weitere Bundespolizisten infolge von Hubschrauberabstürzen.

Bei einem Sprengstoffanschlag in Kabul starben im August vor zwei Jahren Alexander Stoffels vom Bundesgrenzschutz, der aus dem Landesdienst abgeordnete Mario Keller und Jörg Ringel vom Bundeskriminalamt, die zum Schutz der deutschen Botschaft eingesetzt waren. Alle Maßnahmen für ihre eigene Sicherheit waren letztlich vergebens gewesen. Die Bundespolizisten Tobias Retterath und Thomas Hafenecker kamen ums Leben, als ein von ihnen begleiteter Konvoi im Irak vor fünf Jahren auf der Fahrt nach Bagdad in der Nähe von Fallujah überfallen wurde. In Bad Kleinen wurde im Juni 1993 der GSG 9-Beamte Michael Newrzella von einem mutmaßlichen Terroristen erschossen, den er festnehmen wollte. Der BKA-Kriminaloberkommissar Hans-Jürgen Sonntag ermittelte 1989 gegen palästinensische Terroristen und untersuchte einen sprengstoffverdächtigen Gegenstand. Die Bombe explodierte bei der Untersuchung und tötete ihn.

Vier BGS-Beamte begleiteten im März 1993 20 Ausländer nach Mazedonien. Das Flugzeug stürzte ab; 97 Menschen starben, unter ihnen auch Rudolf Alt und Hermann Bräuning. Auf dem Weg zu einer Übung erlitt ein BGS-Mannschaftstransportwagen mit 16 Dienstanfängern im Dezember 1974 einen schweren Unfall; 12 Insassen wurden verletzt; Uwe Bartholmai, Harald Fischer, Klaus-Rudolf Gerlach und Dietmar Kaiser starben.

Der THW-Helfer Franz Novotny leistete 1967 Hilfe bei Baumfällarbeiten und stürzte dabei ab. Der THW-Helfer Kai Böge versuchte zusammen mit anderen, ein Hochregal in einer Lagerhalle zu stabilisieren. Dabei brach das Regal zusammen und begrub vier Menschen unter sich; zwei von ihnen konnten nach 12 Stunden nur noch tot geborgen werden. Das war im Januar vor einem Jahr.

Der achtzehnjährige BGS-Beamte Hans-Joachim Behne war auf einer Streifenfahrt während des Baader-Meinhof-Prozesses. Versehentlich löste sich aus seiner Waffe ein Schuss und tötete ihn. Auch der wenige Jahre ältere Otto Wachendorf starb durch einen Unfall mit der Schusswaffe. Die Bundespolizistin Ute Radmer verfolgte illegal eingereiste Personen auf einer Bahnstrecke und wurde dabei von einem Zug erfasst. Ebenso starben die Bundespolizisten Tobias Brettschneider und Christian Lang, die bei ihrer Tätigkeit auf einem Bahngelände von Zügen erfasst wurden.

Alle diese Schicksale zeigen die Breite der Einsatzfelder, auf denen unsere Kollegen tätig waren und die Breite des Gefahrenspektrums, dem sie ausgesetzt waren und denen ihre Kollegen ausgesetzt sind. Bei aller Verschiedenheit war ihnen gemeinsam, dass sie sich eingesetzt haben, um zu schützen und zu helfen.

Jede Gemeinschaft, die wirklich eine solche ist, basiert darauf, dass Menschen einander helfen. Ohne Menschen mit der Haltung und Einstellung derer, die wir heute ehren, wäre unsere Gesellschaft kalt und nicht lebenswert. Eine Gesellschaft hält nicht deshalb zusammen, weil Menschen mit Waren und Dienstleistungen handeln. Sie hält zusammen, weil Menschen die gleichen Werte teilen, weil sie einander beistehen und sich so für das Gemeinwohl einsetzen, die Gemeinschaft tragen. Das haben alle diese 66 Frauen und Männer an ihrem Platz getan. Ihre Verantwortungsbereitschaft, ihr Mut und ihr Engagement können uns bei aller Trauer auch ein Stück weit stolz machen. Sie starben im Dienst für unser Land und in der Fürsorge für andere Menschen. So ist ihre Haltung Ausdruck gelebter Humanität. Deswegen halten wir die Erinnerung an sie lebendig – voller Dank und Anerkennung.