Dr. Wolfgang Schäuble zur Einigung auf schärfere Bankregeln auf dem G-20-Gipfel in Seoul



Interview mit dem Deutschlandfunk

Wolfgang Schäuble: Guten Tag, Herr Heinemann.

Heinemann: Herr Schäuble, es wird keine Obergrenzen für Handelsbilanzüberschüsse geben, ein erster Erfolg der Bundesregierung, aber die USA fordern einen Ausgleich zwischen erfolgreichen Exportnationen und hoch verschuldeten Importländern. Ist die Bundesregierung zu Zugeständnissen bereit?

Schäuble: Das war ja im Prinzip nie streitig. Es war immer klar, wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die globalen Ungleichgewichte zu reduzieren. Wir haben uns immer nur dagegen gewehrt, dass man gewissermaßen einen Begriff alleine verabsolutet, und die deutschen Exportüberschüsse sind ja Ausdruck von Wettbewerbsfähigkeit. Deswegen haben wir immer dafür geworben, man muss eine Reihe von Kriterien entwickeln, um festzustellen, was können wir tun, jeder an seinem Platz, jeder für sich, um die globalen Ungleichgewichte zu bekämpfen, und da haben wir jetzt eine gute gemeinsame Lösung gefunden.

Heinemann: Werden die Handelsbilanzen künftig staatlich reguliert?

Schäuble: Nein, genau das werden sie nicht, sondern es werden eben Maßnahmen abgestimmt, die zu einer nachhaltigen und stärker gleichgewichtigen Entwicklung in allen Teilen der Welt führen, um den ganz unterschiedlichen Gegebenheiten und Strukturen von Entwicklungsländern, von Schwellenländern und von Industrieländern Rechnung zu tragen.

Heinemann: Herr Schäuble, Sie haben eben gesagt, Exportstärke ist eben auch Ausdruck von Leistungen. Die Klassenbesten, das weiß man noch aus der Schule, sind selten beliebt. Sind das Neidreflexe, die da über den Atlantik schwappen?

Schäuble: Nein, das glaube ich nicht. Im Übrigen haben wir ja immer darauf hingewiesen, die Euro [Glossar]-Zone als ganzes – und wir sind ja eine Währung; deswegen müssen wir ja zunehmend als Einheit begriffen und verstanden werden – hat kein Ungleichgewicht, sondern sie ist ziemlich genau balanciert, und ohne den deutschen Beitrag zum europäischen Wachstum wäre die Euro-Zone defizitär.

Heinemann: Präsident Obama verteidigt die US-Notenbank [Glossar], die zurzeit gewaltige Milliardenbeträge in die Wirtschaft pumpt. Für wie gefährlich halten Sie diese Politik?

Schäuble: Die Amerikaner haben sehr klar gemacht, der Präsident hat das gesagt in dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin und auch der amerikanische Finanzminister hat das gesagt, die amerikanische Notenbank wolle nicht einen schwachen Dollar, sie sei an einem starken Dollar interessiert, und sie wolle alles tun, um Stabilität und nachhaltiges Wachstum zu garantieren, und das ist genau das, wofür wir auch eintreten.

Heinemann: Das heißt, Währungen werden nicht weiterhin als Kampf um Exportmärkte eingesetzt?

Schäuble: Die Besorgnis, dass das der Fall sein könnte, ist jedenfalls ausgeräumt.

Heinemann: Gibt es denn Zusagen, wann das Geld wieder eingesammelt wird, was jetzt so großzügig ausgeteilt wurde?

Schäuble: Nein! Es ist ja auch so: Die Notenbanken – das ist ja auch etwas, was wir in Deutschland immer mit großem Nachdruck vertreten haben – sind unabhängig und die Notenbanken sind hier bei diesem Gipfel gar nicht vertreten. Deswegen wird hier nicht über die Politik von Notenbanken geredet.

Heinemann: Das hieße, dass Sie langfristig oder mittelfristig nicht mit Inflation [Glossar]rechnen?

Schäuble: Jedenfalls ist von allen Beteiligten versichert worden, dass dies nicht der Fall ist. Im Übrigen haben wir ja auch wenig Anzeichen dafür aktuell, dass Inflationsgefahr droht.

Heinemann: Herr Schäuble, müssen die USA sparen und wir das Geld ausgeben lernen?

Schäuble: Jeder muss seine Aufgaben bewältigen und wir haben ja nun auch noch große Herausforderungen zu bewältigen, denn entgegen manchen öffentlichen Debatten haben wir ja in Deutschland mit einem Rekorddefizit in den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden zu tun, wir haben eine Schuldenbremse [Glossar] im Grundgesetz, aber um die zu erfüllen, bedarf es einer Fortsetzung des ehrgeizigen Konsolidierungskurses.

Heinemann: Michael Kemmer, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken, warnte gestern in dieser Sendung vor Wettbewerbsnachteilen, wenn deutsche und europäische Banken früher als andere zusätzliches Geld auf die hohe Kante lägen, also die Eigenkapitalquote, wie im sogenannten Basel-III-Paket gefordert, zügiger verwirklichen als Konkurrenten. Ist gewährleistet, dass der Finanzmarkt [Glossar] im Gleichschritt Richtung Basel III [Glossar] marschieren wird?

Schäuble: Ja, gut, das sind ja Absprachen im Basel III, das wird ja hier vermutlich auch so von den Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten beschlossen werden, sieht ja vor, dass das gleichmäßig implementiert, also in Kraft gesetzt werden soll.

Heinemann: Also da drohen keine Wettbewerbsnachteile für deutsche Banken?

Schäuble: Das ist ja genau der Sinn der Koordinierung, dass wir das abgestimmt machen und im gleichen Tempo in Kraft setzen.

Heinemann: Herr Schäuble, Medien berichten heute, eine Anekdote vielleicht am Rande des Gipfels, über einen Brief von US-Präsident Obama, den er an alle Teilnehmer des G-20-Gipfels geschrieben haben soll, in dem er seine Position noch mal beschrieben hat, der irgendwo im Kanzleramt verloren gegangen sein muss, sodass Angela Merkel sich aus den Medien informieren musste über die US-amerikanische Position. Ist das Schreiben inzwischen wieder aufgetaucht? Wissen Sie das?

Schäuble: Also die ganze Geschichte kenne ich nicht, aber es gibt immer solche Anekdoten. Das macht ja auch die Berichterstattung über solche Ereignisse ein bisschen amüsant. Meistens ist in der Realität nicht sehr viel dran.

Heinemann: Aber das Schreiben ist jetzt expressis verbis noch nicht wieder aufgetaucht?

Schäuble: Ach, wir sind doch zusammen gewesen. Da brauchen wir doch nicht Briefe suchen. Also das ist eine anekdotische Berichterstattung. Die Bundeskanzlerin hat ein sehr intensives und sehr freundschaftliches Gespräch mit Barack Obama gehabt.

Heinemann: Herr Schäuble, ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen. Die Nation rieb sich in den vergangenen Tagen verwundert die Augen, als ausgerechnet der disziplinierteste, erfahrenste und einer der kompetentesten Bundesminister Nerven gezeigt hat und seinen Sprecher öffentlich scharf kritisierte. Wie konnte ausgerechnet Ihnen so etwas passieren?

Schäuble: Ich habe ja gesagt, ich hatte Grund zur Verärgerung, aber ich habe überreagiert, das ist wahr, das habe ich ja auch öffentlich gesagt. Aber auch ein Bundesfinanzminister hat Nerven und ist manchmal sehr belastet. Im Übrigen will ich dann doch auch sagen, bei diesem Gipfel hier geht es um den Gesundheitszustand der Weltwirtschaft und nicht um den Gesundheitszustand des Bundesfinanzministers.

Heinemann: Ist das ein Kommentar zu dem, was über mögliche Rücktrittsspekulationen zu lesen war?

Schäuble: Dazu hat ja die Bundeskanzlerin gesagt, das sei frei erfunden.

Heinemann: Ist der Druck, der auf Politikern allgemein, auf Ihnen persönlich lastet, zu hoch?

Schäuble: Nein! Das weiß man, das muss man wissen. Aber wir sind alle Menschen.

Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in der Presse solche Spekulationen lesen über einen möglichen Rücktritt?

Schäuble: Wenig. Ich habe so viele Aufgaben und so viel große Verantwortung, dass ich mich darauf konzentriere.

Heinemann: Wäre das Wort „Entschuldigung!“ vielleicht angemessen gewesen?

Schäuble: Ich glaube, es ist dazu jetzt alles gesagt.

Heinemann: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vom G-20-Gipfel in Seoul. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

Schäuble: Bitte sehr. Auf Wiederhören, Herr Heinemann!.

© 2010 Deutschlandradio