Der Unbeugsame



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Focus

Focus: Im Zuge der Euro [Glossar]-Krise sind viele Regierungen gescheitert. Steht jetzt auch die Euro-Rettung auf der Kippe?

Schäuble: Die Ergebnisse von demokratischen Wahlen sind immer zu respektieren. Das hat nichts mit Scheitern zu tun. Die neuen Regierungen in Irland, Spanien und Portugal haben ein klares Reformmandat und setzen dies überzeugend um. Reformprogramme wirken nicht über Nacht, sondern verlangen Geduld und Entschlossenheit. Und die Regierungen handeln mit großer Entschlossenheit.

Focus: Neben dem Dauerproblem Griechenland heißt das neue Sorgenkind Spanien. Muss Spanien unter den Rettungsschirm flüchten, und ist der dafür nicht zu klein?

Schäuble: Sie können die Probleme von Griechenland nun wirklich nicht mit den Herausforderungen in Spanien vergleichen. Für mich gibt es keinen Zweifel, dass Spanien die richtigen Maßnahmen ergreift und diese Schritt für Schritt umsetzt. Spanien ist auf dem richtigen Weg. Das hat auch die EU-Kommission bestätigt. Die Spanier sagen, wir schaffen es allein, und ich glaube ihnen das.

Focus: Sparen war gestern – stattdessen redet man in Europa jetzt wieder über Wachstumsprogramme. Setzt Deutschland mit dem strikten Sparkurs die falschen Akzente?

Schäuble: Die Analyse ist klar – es gibt zwei Gründe für die Schuldenkrise: die zu hohe Staatsverschuldung einzelner Mitglieder der Euro-Zone und der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit, der das Wachstum behindert. Die Hilfsprogramme setzen genau hier an und beinhalten immer zwei Komponenten: zum einen die Reduzierung des Defizits und zum anderen immer auch Strukturreformen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumskräfte. Das alles ist also nicht neu.

Focus: Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass manche Länder wieder schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme in Erwägung ziehen.

Schäuble: Das sehe ich nicht so und darf auch nicht passieren. Darauf müssen wir achten, auch wenn man sich dafür gelegentlich den Vorwurf einer gewissen Hartnäckigkeit zuzieht. In der Analyse, dass zu hohe Schulden eine der wesentlichen, wenn nicht die Ursache der Krise waren, sind sich alle einig. Dann könnte man doch jetzt nicht ernsthaft fordern, zur Lösung der Krise noch mehr Schulden zu machen. Das wäre so wie ein Schwur, sich bessern zu wollen, aber vorher noch etwas zu sündigen. Wir stehen kurz vor dem Inkrafttreten des Fiskalpakts, in dem sich alle Länder zu Haushaltsdisziplin verpflichten – in etwa so, wie wir es hier mit der deutschen Schuldenbremse [Glossar] machen.

Focus: Der Stabilitätspakt ist 68-mal verletzt worden.

Schäuble: Wissen Sie, die Menschen hadern oft mit ihren guten Vorsätzen. Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe fast 50 Jahre lang geraucht und mir x-mal vorgenommen, damit aufzuhören. Aber ich habe mehrere Anläufe gebraucht, bis es wirklich geschafft war. Mit dem Fiskalpakt geben wir dem Stabilitätspakt jetzt scharfe Zähne.

Focus: Kann ein Land sparen, wenn es kein Wachstum gibt?

Schäuble: Es gibt keine Wahl: entweder Sparen oder Wachstum. Es geht nur mit beidem. Die Konsolidierung der Finanzen ist die notwendige Voraussetzung für ein gesundes Wachstum. Sie können Wachstumskräfte freisetzen, ohne neue Schulden aufzunehmen. In Spanien beispielsweise wird das verkrustete Arbeitsrecht gelockert, um auch jungen Menschen wieder eine Chance zu geben. In Griechenland werden geschlossene Berufe geöffnet – mit allen positiven Effekten, was Kosten und Wettbewerb betrifft. Für Strukturreformen brauchen Sie kein Konjunkturprogramm. Auch in Deutschland hat das wachstumsfreundliche Sparen funktioniert. Ich habe mehr gespart als jeder Finanzminister zuvor, und dennoch sind wir die europäische Wachstumslokomotive.

Focus: Uns geht es vergleichsweise gut. Gehört es da nicht zur Wahrheit, den Deutschen ehrlich zu sagen, was sie für die Rettung Europas bezahlen müssen?

Schäuble: Es wäre zu einfach, wenn ich sagen würde: Europa kostet uns nichts. Natürlich stellen wir umfassende Garantien bereit. Natürlich zahlen wir in den ESM ein. Andererseits müssen wir momentan nur extrem niedrige Zinsen für Staatsanleihen zahlen. Und natürlich ist Europa weiterhin der wichtigste Exportmarkt für uns. Was wir leisten, sind Investitionen[Glossar] in die europäische und damit unsere eigene Zukunft. Die Stabilität der Euro-Zone ist in unserem ureigensten Interesse. Die Sorgen mancher sind wirklich nicht begründet. Es stimmt zwar, dass die Finanzmärkte [Glossar] immer noch Fragen haben und Vertrauen nur langsam zurückkehrt. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg.

Focus: Wie lange dauert die Krise noch?

Schäuble: Es gilt Mark Twain: Vorhersagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Wir sind noch nicht über den Berg. Aber die Richtung stimmt. Wir arbeiten uns Schritt für Schritt heraus. Die Bundeskanzlerin hat 2009 gesagt: „Wenn wir Ende der Legislaturperiode da sind, wo wir vor der Krise waren, dann wäre es gut.“ Dieses Ziel haben wir schon 2011 erreicht. Wir finden schneller aus der Krise heraus, und wir kommen mit der Senkung unserer zu hohen Neuverschuldung besser voran als gedacht.

Focus: Sie haben aber auch sehr viel Glück gehabt: sprudelnde Steuereinnahmen und historisch niedrige Zinsen.

Schäuble: Na ja. Klar haben wir auch Glück gehabt. Dafür müssen wir uns auch nicht entschuldigen. Aber man muss auch die Bedingungen dafür schaffen, dass man Glück haben kann.

Focus: Aber Sie haben sich beim Sparen nicht besonders angestrengt. Die Steuereinnahmen liegen zehn Prozent über dem Niveau von 2009.

Schäuble: Wir erfüllen die Vorgaben des Stabilitätspakts: Unser gesamtstaatliches Defizit[Glossar] wird in diesem Jahr unter 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Auch die Anforderungen der Schuldenbremse erreichen wir schon 2014 – zwei Jahre früher als verlangt. Aber wir dürfen uns im globalen Wettbewerb nicht auf diesem Erfolg ausruhen: Wer rastet, der rostet.

Focus: Wir hätten erwartet, dass in guten Zeiten mehr gespart wird.

Schäuble: Es geht nicht nur ums Sparen. Wir haben auch versprochen, die Mittel für Bildung und Forschung um zwölf Milliarden Euro zu erhöhen. Das sind jetzt 13 Milliarden geworden. Auch unsere Infrastruktur verschlingt viel Geld.

Focus: Gelten Parolen wie „Gürtel enger schnallen“ nicht mehr für Deutschland?

Schäuble: Wir haben viele Jahre der Reformen hinter uns. Man verlässt sich in Europa und in den G2O darauf, dass wir Wachstumslokomotive bleiben. Wir müssen alert bleiben, auch wir müssen immer an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten, aber doch nicht wie die Krisenstaaten. Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern. Diese Lohnsteigerungen tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht übertreiben. Das rechte Maß müssen wir wahren.

Focus: Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker hat kritisiert, dass sich die Deutschen als Musterschüler in der EU inszenieren Dabei sind beim Sparen sieben von 17 Ländern besser als wir. Sollten wir als Vorbild nicht mehr tun?

Schäuble: Also, Moment. Wir inszenieren uns nicht. Das wird uns vielleicht von anderen angedichtet. Aber es stimmt nicht.

Focus: Also hat Juncker Recht?

Schäuble: Andere sparen aktuell anteilig am Bruttoinlandsprodukt [Glossar] tatsächlich mehr. Da hat er Recht. Aber noch einmal: Wir treten als Deutsche nicht arrogant gegenüber anderen auf. Das haben wir eigentlich mit dem Start der jetzigen Bundesregierung abgelegt.

Focus: Sie wollen sich damit abheben von Peer Steinbrück und Gerhard Schröder, die lautstark deutsche Interessen formuliert haben?

Schäuble: Diese Art von Politik und Auftreten hat das Ansehen Deutschlands in Europa nicht gemehrt, sondern im Gegenteil Vorurteile gestärkt. Das dient nicht unseren Interessen, sondern schadet uns massiv.

Focus: Sind die Ressentiments gegen Deutschland wirklich so groß?

Schäuble: Unsere Nachbarn beobachten sehr genau, wie wir Deutsche mit anderen Ländern – gerade den kleineren umgehen. Wir vertreten unsere Interessen und auch unseren Standpunkt. Das ist gar keine Frage. Aber wir tun es nicht arrogant. Wir schicken nicht die Kavallerie irgendwo hin. Wir sind nicht überheblich. Willy Brandt hat das richtig ausgedrückt: „Wir wollen gute Nachbarn sein in Europa.“ Das steht uns Deutschen besser.

Focus: Sie erhalten nächste Woche den Karispreis in Aachen. Einer der bisherigen Preisträger, Jean-Claude Juncker, sähe Sie auch gern als seinen Nachfolger an der Spitze der Euro-Gruppe. Wollen Sie?

Schäuble: Ich kenne Jean-Claude Juncker schon lange. Wir schätzen uns sehr. Und er sagt es, wie es ist: „Der Wolfgang will, dass ich es bleibe. Und ich will, dass er es wird.“

Focus: Ist das für Sie als überzeugter Europäer ein Traumjob oder wegen der Euro-Krise eher ein Albtraum?

Schäuble: Es ist nicht mein Traum. Aber es wäre auch kein Albtraum. Wenn wir unsere Verantwortung für unser Land und Europa wahrnehmen, dann muss Deutschland in politischen Gremien immer eine gewisse Führungsverantwortung tragen. Ich bin nicht der Oberaufseher oder der beste Experte. Ich diene Deutschland. Aber ich muss mich zugleich darum kümmern, dass europäische Lösungen zu Stande kommen. Sonst bewegt sich gar nichts. Deutschland muss zum Ausgleich in Europa beitragen. Das ist eine Verantwortung aus der Geschichte, aus unserer Geografie, aus unserer Größe.

Focus: Der Sie sich nicht verweigern?

Schäuble: Wenn ein Politiker wie Jean-Claude Juncker sagt, ich wäre für solch ein vermittelndes Amt geeignet, dann ist das keine Beleidigung. Wichtig ist, dass die Euro-Gruppe ihre Aufgabe gut wahrnimmt. Das hat sie mit dem Vorsitzenden Juncker gut getan. Und das muss auch für die Zukunft gesichert sein. Und den Rest warten wir mal ab.

Focus: Nach bisheriger Lesart der EU sollte ein Vorsitzender bevorzugt aus einem kleinen Land kommen, um die Gewichte besser austarieren zu können. Ist das kein Argument mehr?

Schäuble: Das ist ein völlig legitimes Argument. Andererseits: Wenn ich vorhin gesagt habe, dass wir uns in Europa alle respektieren sollten – Kleine wie Große -, dann gilt das auch umgekehrt. Ich bin außerdem dafür, dass der Vorsitzende der Euro-Gruppe nicht gerade aus einem Land kommt, das unter den Rettungsschirm geschlüpft ist. Das wäre schwer zu vermitteln, obwohl – um nur eines von mehreren möglichen Beispielen zu nennen – Portugals Finanzminister Vitor Gaspar ein von allen geschätzter Kollege ist und persönlich für ein solches Amt durchaus in Frage käme.

Focus: Was machen Sie nach der nächsten Bundestagswahl?

Schäuble: Das entscheiden die Wähler. Bis dahin ist noch lange Zeit. Mit den nächsten Wahlen beschäftige ich mich ziemlich wenig. Da habe ich eine sehr altmodische Auffassung. Für mich ist die letzte Wahl die wichtigste. Aus der leitet sich meine Verantwortung ab. Dafür habe ich mich beworben. Und diese Aufgabe füllt mich sehr gut aus.

Das Interview führten Daniel Goffart, Hans-Jürgen Moritz und Frank Thewes.

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