Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Badischen Zeitung



Wolfgang Schäuble kritisiert die Ökonomen. Kaum einer würde sich mit der Frage beschäftigen, was ein Auseinanderbrechen der Eurozone für die Bundesrepublik bedeute, sagt er im Interview mit der Badischen Zeitung.

Badische Zeitung: Der Eurokurs steigt, bisher muss kein neues Land unter den Rettungsschirm. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Schäuble: Die Lage hat sich ein Stück weit entspannt. In den Finanzmärkten [Glossar] ist die Überzeugung gewachsen, dass die Europäer entschlossen sind, ihre gemeinsame Währung zu verteidigen. Das ist die entscheidende Botschaft, die die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident Sarkozy auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos in aller Klarheit deutlich gemacht haben. Seitdem ist wieder Realismus an den Finanzmärkten eingekehrt. Es war zuvor auch nicht zu begründen, weshalb die Märkte Belgien zeitweise schlechter bewerteten als beispielsweise ein zentralasiatisches Land. Es sind aber noch nicht alle Probleme gelöst. Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Gipfel der europäischen Staatsund Regierungschefs am 24./25. März ein umfassendes Maßnahmenpaket zu verabreden.

Badische Zeitung: Die Eurostaaten, die EU und der Internationale Währungsfonds haben einen Rettungsschirm über 750 Milliarden Euro [Glossar] für die maroden Euroländer eingerichtet. Viele Mitgliedsländer fordern eine Erhöhung. Was sagen Sie?

Schäuble: Es war immer die Position der Bundesregierung, dass die 750 Milliarden Euro ausreichend sind. Es gibt keinen Grund, über eine Erhöhung nachzudenken. Das Problem ist, dass diese 750 Milliarden Euro in der Übergangslösung, dem temporären Rettungsschirm bis 2013, nicht in voller Höhe zur Verfügung gestellt werden können. Das liegt daran, dass die Anleihen, mit denen der Rettungsfonds EFSF am Kapitalmarkt die Mittel für Hilfskredite besorgt, mit dem bestmöglichen Rating unterlegt sind, um günstige Finanzierungskonditionen zu erreichen. Für das gute Rating muss der EFSF aber entsprechende Sicherheiten hinterlegen. Die Frage, wie der EFSF seinen gesamten Anteil von 440 Milliarden Euro am Rettungspaket auch effektiv einsetzen kann, ist ein Teil des Gesamtpakets, das bis Ende März geschnürt werden soll. Im Moment gibt es keinen Handlungsbedarf, denn außer Irland hat kein Land beim Euro-Rettungsschirm um Hilfe nachgesucht. Und Irland nimmt nicht einmal zehn Prozent der Hilfsmittel in Anspruch.

Badische Zeitung: Das heißt, es muss keine Erhöhung des aktuellen Rettungsfonds geben?

Schäuble: Wenn wir eine Gesamtlösung wollen, muss man einen Weg finden, dass die im Mai 2010 verabredete Summe von 750 Milliarden Euro auch tatsächlich abrufbar ist – dies tun wir in der Hoffnung, dass wir nur einen kleinen Teil davon brauchen.

Badische Zeitung: Zur Verunsicherung trägt auch bei, dass Bundesbankchef Axel Weber keine Chancen hatte, an die Spitze der Europäischen Zentralbank [Glossar] (EZB) zu rücken, und das Handtuch warf. Ist eine großzügigere Schuldenpolitik absehbar?

Schäuble: Ganz sicher nicht. Aus meiner Sicht waren die Motive von Herrn Professor Weber andere, doch das ist seine Sache. Herr Weber weiß, dass er gute Chancen gehabt hätte, neuer Präsident der EZB zu werden. Er hat sich anders entschieden. Eine Abkehr von der Stabilitätspolitik ist damit nicht verbunden. Im Gegenteil. Die Bundesregierung wird alles tun, damit diese Politik konsequent fortgesetzt wird.

Badische Zeitung: Die EZB hat Anleihen von finanzschwachen Euroländern im Wert von 80 Milliarden Euro gekauft. Wie lange kann das so weitergehen?

Schäuble: Unser Verständnis von einer unabhängigen Notenbank [Glossar] ist, dass sie der politischen Emflussnahme entzogen ist. Das gebietet, dass die Regierungen die Notenbankpolitik nicht kommentieren. Ich habe großes Vertrauen, dass die EZB, wie die Bundesbank in den Jahrzehnten zuvor, ihrer Verantwortung gerecht wird. Der Euro ist in mehr als zehn Jahren seines Bestehens im woifgang Schäuble inneren und äußeren Wert stabil geblieben.

Badische Zeitung: Ende dieser Woche findet der Gipfel der Staatschefs der Eurozone statt. Was erwarten Sie sich von dem Treffen?

Schäuble: Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone kommen zusammen, um den Europäischen Rat Ende März vorzubereiten. Ziel der Bundesregierung ist, dass am kommenden Freitag die Grundentscheidungen so weit klar sind, dass anschließend die Finanzminister die Einzelheiten ausarbeiten können. Das sind im Wesentlichen drei Punkte: Erstens, wir müssen die Instrumente des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes schärfer und effizienter gestalten. Das gilt sowohl für die Prävention wie in der Reaktion auf Krisen. Die Reform des Stabilitätspaktes muss kommen, da darf es keine Abstriche geben. Außerdem müssen wir die großen Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abbauen. Der Vorschlag der Bundeskanzlerin zielt darauf, mit einem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit diese Probleme anzugehen. Drittens wollen wir einen dauerhaften Rettungsmechanismus in Kraft setzen, um die potenzielle Ansteckungsgefahr in der Eurozone in Krisensituationen frühzeitig einzudämmen.

Badische Zeitung: Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um zu verhindern, dass der dauerhafte Rettungsfonds Anleihen maroder Eurostaaten aufkauft. Ist die Regierung an diese rote Linie gebunden?

Schäuble: An diesem Entwurf der Koalitionsfraktionen hat die Regierung mitgewirkt. Dieser Entwurf, der im Bundestag diskutiert wird, unterstreicht und unterstützt die Position der Regierung in den laufenden europäischen Verhandlungen. Wir wollen nicht die Grenzen zur Transferunion überschreiten. Kein Land darf die Verantwortung für eine unsolide Finanzpolitik[Glossar] auf die übrigen Eurostaaten abwälzen. Deswegen lehnen wir auch Forderungen ab, gemeinsame Eurobonds aufzulegen und damit die Zinsen zu vergemeinschaften. Jeder muss seinen Teil tragen.

Badische Zeitung: Ist das ein striktes Nein zu Anleihekäufen durch den Rettungsschirm?

Schäuble: Der Europäische Rat wird Ende März im Rahmen einer Gesamtstrategie über die Grundzüge und Instrumente des neuen Rettungsschirmes unter Beachtung der rechtlichen Möglichkeiten entscheiden. Klar ist: Die Gemeinschaft der Eurozone kann nicht die Haftung für die Schulden eines Landes übernehmen. Wir leisten Beistand, das ist kein Verstoß gegen die Verträge. Jedes Land muss zunächst seine Schuldenprobleme selbst lösen. Deshalb werden die künftigen Instrumente des Mechanismus nur unter sehr engen Voraussetzungen zum Einsatz kommen. Hierzu gehört die Gefährdung der Eurozone als Ganzes, strenge Auflagen sowie die Gläubigerbeteiligung bei insolventen Staaten. Dies fordert auch der Fraktionsantrag.

Badische Zeitung: Die britische Presse kritisiert den geplanten Pakt für Wettbewerbsfähigkeit als reine Zeitverschwendung. Wäre anstatt neuer Absichtserklärungen nicht ein Stabilitätspakt mit Biss wichtiger?

Schäuble: Das eine schließt das andere nicht aus. Neben einem verschärften Stabilitätspakt brauchen wir Anstrengungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die angelsächsische Presse hat immer Zweifel, ob Europa funktioniert. Wenn sich die europäischen Länder verpflichten, die Reduzierung der Staatsverschuldung ähnlich wie Deutschland mit einer gesetzlichen Vorgabe festzuschreiben, ist das ein Fortschritt. Wenn sich ferner alle Länder verpflichten, die demografische Entwicklung beim Renteneintrittsalter zu berücksichtigen, ist dies ein Beitrag zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die Botschaft des Paktes für Wettbewerbsfähigkeit richtet sich auch an die Finanzmärkte: Damit zeigt Europa, dass es seine Probleme anpackt.

Badische Zeitung: Der Vorschlag für den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit wird verwässert. Eine Verpflichtung zu nationalen Schuldenbremsen wird es nicht geben.

Schäuble: Wenn wir in Europa etwas voranbringen wollen, müssen wir Vorschläge machen. Das haben Berlin und Paris mit dem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit getan. Diesen Vorschlägen werden nicht alle 27 EU-Mitgliedsländer sofort und im vollem Umfang zustimmen. So funktioniert Europa nicht. Trotzdem müssen wir Ideen entwickeln, sonst geht nichts voran. Wenn wir die Vorschläge nicht zu 100 Prozent umsetzen können, weil wir nichts diktieren wollen, heißt es, der Pakt sei verwässert. Was sich bei den Vorbereitungen abzeichnet, ist mehr, als die Skeptiker zuvor für möglich gehalten hätten.

Badische Zeitung: Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hat gesagt, Griechenland, Irland und Portugal kämen um eine Umschuldung mit Schuldenerlass nicht herum.

Schäuble: Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein hoch angesehener Experte wie Professor Rogoff seine Meinung äußert oder ein Finanzminister, auch in der Außenwirkung. Ich will an eines erinnern: Es waren die Kanzlerin und ich, die sich dafür einsetzten, dass es mit dem dauerhaften Krisenmechanismus ab Sommer 2013 auch Regelungen geben muss, welche die Beteiligung der Gläubiger vorsehen. Dies hat der Europäische Rat im Dezember beschlossen. Insofern teile ich Rogoffs Meinung in einem Punkt: Es kann nicht sein, dass die Finanzmärkte Gewinne machen und – wenn es schiefgeht – die Gemeinschaft das Verlustrisiko tragen muss. Deshalb sollen alle Euroanleihen, die ab Mitte 2013 ausgegeben werden, mit einer Klausel versehen werden, die bei Zahlungsproblemen von Staaten die Beteiligung der Gläubiger vorsieht.

Badische Zeitung: Rund 160 deutsche Ökonomen sagen: Griechenland kommt bei einem aktuellen Schuldenstand, der 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, an einer Umschuldung nicht vorbei.

Schäuble: Herr Professor Rogoff hat lange beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gearbeitet. Der IWF hat immer auch Wege gefunden, Probleme so zu lösen, dass sie nicht zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Bei einer gemeinsamen Währung ist das nicht so einfach. Herr Rogoff hat vorgeschlagen, die finanzschwachen Euroländer sollten eine Auszeit aus der Eurozone nehmen. Ich habe gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das funktionieren soll. Bei der Stellungnahme der deutschen Ökonomen vermisse ich eine sorgfältige Befassung mit der Frage, was es für Deutschland bedeutete, wenn der Euro auseinanderbrechen würde. Die meisten Ökonomen stellen sich dieser Frage nicht. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone käme einem Scheitern des Euro gleich. Dies hätte unabsehbare Folgen.

Badische Zeitung: Irland will niedrigere Zinsen für die Hilfskredite verhandeln.

Schäuble: Klar ist: Die Länder müssen die Sparauflagen erfüllen. Bevor Irland zusätzliche Erwartungen formuliert, wird man Irland auch die Frage stellen müssen, ob es dabei bleiben kann, dass der irische Körperschaftsteuersatz signifikant niedriger ist als in anderen Euroländern. Die niedrigen Steuersätze waren ein Anreiz dafür, dass der irische Bankensektor eine Dimension angenommen hat, die dem Land jetzt Probleme bereitet.

Das Interview führte Roland Pichler.

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