„19 Milliarden“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Wirtschaftswoche

Herr Schäuble, sind Sie als Finanzminister die Spaßbremse der bürgerlichen Koalition?

Als Finanzminister macht man sich in den seltensten Fällen beliebt, aber ich sehe mich nicht als Bremse.

Das sehen einige Ihrer liberalen Koalitionspartner aber anders, die sich mit Ihnen über das Volumen der Steuerreform streiten.

Ich wüsste nicht, mit wem ich gestritten haben soll. Mit meinem liberalen Amtskollegen Rainer Brüderle aus dem Wirtschaftsressort, der mein wichtigster Ansprechpartner in der Koalitionsregierung ist, habe ich ein ausgesprochen freundschaftliches und einvernehmliches Verhältnis.

Sie haben aber gesagt, dass Sie in dieser Legislaturperiode keinen Spielraum für eine große Steuerreform sehen. Warum provozieren Sie die FDP, für die der Umbau des Steuersystems ein Kernanliegen ist?

Das ist doch keine Absage an den Koalitionsvertrag! Darin steht auch keine große Steuerreform geschrieben. Für eine große Steuerreform brauchen wir nach meinem Verständnis ein großes Entlastungsvolumen, weit mehr als die im Koalitionsvertrag definierten 24 Milliarden Euro. Wir können in dieser Legislaturperiode nur einen ersten Schritt in Richtung einer großen Steuerreform machen.

Aber für die 24 Milliarden Euro Entlastung stehen Sie ein?

Selbstverständlich. Wir beginnen schon jetzt mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das wir zum l.Januar 2010 in Kraft setzen wollen. Damit entlasten wir die Familien sofort um 4,5 Milliarden Euro…

…und die Wirtschaft um vier Milliarden Euro durch Korrekturen bei der Unternehmenssteuer- und Erbschaftsteuerreform und bei der Mehrwertsteuer zugunsten der Hotellerie.

Korrekt. Aber ich berücksichtige nur die 4,5 Milliarden bei dem im Koalitionsvertrag versprochenen steuerlichen Entlastungsvolumen von 24 Milliarden Euro. Damit ist aber auch klar, dass es bei der am l.Januar 2011 in Kraft tretenden Steuerreform keine 24 Milliarden Euro Entlastung mehr gibt, sondern nur noch etwa 19 Milliarden. Ich sage das, damit sich später niemand enttäuscht fühlt. Wenn jemand etwas anderes sagt, ist das für mich Unkenntnis über den Koalitionsvertrag, aber kein Streit mit dem Finanzminister.

Sie wollen die Steuerreform erst im Mai 2010 anpacken, um die Frühjahrsprognose der Steuerschätzer abzuwarten…

…habe ich das gesagt?

Die Kanzlerin hat es angekündigt.

So ist es. Ich habe dazu gar nichts gesagt, aber ich nehme die Auflage mit Respekt zur Kenntnis.Jeder Bundesminister leistet seine Arbeit innerhalb der Richtlinien der Bundeskanzlerin.

Das klingt bei ihr nach Schnellstart und dann Winterschlaf, bis die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vorüber ist.

Hier fällt niemand in den Winterschlaf. Wir gehen Schritt für Schritt voran. Jetzt das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, dann wollen wir bis Weihnachten den Entwurf des Bundeshaushalts für 2010 im Kabinett verabschieden. Das ist ehrgeizig genug. Aber dann arbeiten wir zügig daran, die Steuerreform mit einer Abflachung des Mittelstandsbauchs, einer Entlastung der mittleren und unteren Einkommensgruppen mit einem einfacheren Stufentarif vorzubereiten.

Sollte sich bei der Steuerschätzung im Mai zeigen, dass die Konjunktur wieder stärker als erwartet Tritt fasst und die Steuereinnahmen kräftiger sprudeln, können Sie sich dann eine höhere Entlastung als die 24 Milliarden Euro vorstellen?

Das klingt nach meinem Metzger, bei dem ich früher Wurst einkaufte: Darfes ein bisschen mehr sein? Dass wir höhere Steuereinnahmen bekommen, halte ich für ein nicht realistisches Szenario.

Und wenn doch?

Die Entlastung der Bürger zum 1. Januar 2011 geschieht unabhängig vom konjunkturellen Verlauf. Und sollte sich die Konjunktur wider Erwarten schlechter entwickeln, ändert das an der Reform auch nichts. Im Gegenteil, dann brauchen wir die Entlastung erst recht, um die Binnenkonjunktur zu stärken und so die Wirtschaft zu stabilisieren.

Sehen Sie noch Rückschlagsgefahren für die Konjunktur?

Es gibt Licht am Ende des Tunnels, aber es ist noch zu früh für einen Ausstieg. Wir werden die Wachstumsstimulierung noch eine Weile brauchen. Das hat die Kanzlerin ganz klar gesagt: Im Jahr 2010 steht noch Wachstumsbeschleunigung im Vordergrund. Erst danach kommt die Konsolidierung.

Wie können und wollen Sie gegen die Kreditklemme im Aufschwung gegensteuern?

Wir haben den Banken geholfen, ihre Eigenkapitalausstattung zu verbessern. In den nächsten Wochen wird es weitere Gespräche geben, was wir zusätzlich tun können. Aber die Banken müssen auch selbst mehr tun. Es ist doch sehr die Frage, ob die Banken ihre aktuellen Überschüsse als Boni an die Manager ausschütten müssen. Die sollten damit lieber ihr Eigenkapital stärken. Da werden ja nicht einmal die Anteilseigner bedient, da bedienen sich die Manager selbst.

Wollen Sie das gesetzlich strenger regeln?

Es gibt die Empfehlungen des Finanzmarkt-Stabilisierangsrates. Die werden wir im kommenden Jahr ins Gesetz übernehmen. Aber ich appelliere an die Banken, diese Vorschriften sofort freiwillig anzuwenden.

Und die Landesbanken? Ihr Vorgänger Peer Steinbrück hatte gesagt: Bundeshilfe nur, wenn Institute zusammengelegt werden. Die Ministerpräsidenten haben genickt – und ihr Versprechen dann sofort vergessen.

Es haben ja schon Institute fusioniert…

Das war vor der Krise. Erhöhen Sie jetzt den Druck?

Mehr Druck ist doch gar nicht nötig. Ich bin schon zufrieden, wenn wir mit dem vorhandenen Druck zurande kommen. Der Markt und die Finanzlage der Länderhaushalte werden eine Neuordnung erzwingen, Schritt für Schritt.

Warum sollte sich der Bund – direkt oder über den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung Soffin – an der WestLB oder anderen Landesbanken beteiligen?

Das alleinige Ziel aus unserer Sicht ist die Sicherung der Finanzmarktstabilität Das haben wir international auch zugesagt. Dazu stehen die Instrumente des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes zur Verfügung, das bedeutet, eine mögliche Kapitalisierung erfolgt über den Soffin.

Die Länder haben sich schon engagiert. Haben auch die anderen Eigentümer – vor allem die Sparkassen – genügend getan?

Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist hier ganz eindeutig: Alle Eigentümer müssen sich entsprechend ihrer quotalen Beteiligung an den Lasten beteiligen. Die Beteiligung an den Lasten kann nach dem Gesetz nur durch die Grenze der Leistungsfähigkeit der Eigentümer beschränkt werden.

Brauchen wir die Landesbanken überhaupt noch?

Man sollte nicht alle Landesbanken über einen Kamm scheren. Entscheidend ist ein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell, das gilt für alle Banken und damit auch für die Landesbanken. Wir brauchen in Deutschland Banken, die unsere Unternehmen und deren Aktivitäten finanzieren. Da ist Platz für öffentlich-rechtliche Banken, die solche Kunden übernehmen, deren Finanzierungserfordernisse nicht mehr von Sparkassen gedeckt werden können. Eine vergleichbare Arbeitsteilung gibt es im genossenschaftlichen Sektor mit den örtlichen Volksbanken und der DZ Bank.

Wäre eine geordnete Abwicklung nicht besser?

Ohne Zweifel wird es, schon durch die EU-Auflagen gefordert, bei denjenigen Banken, die staatliche Beihilfen erhalten haben, einen erheblichen Kapazitätsabbau geben.

Und Opel wollen Sie auch schon wieder retten?

Wir warten ab, was der Eigentümer vorschlägt. Das ist doch Sache von General Motors!

Ein Teil der Bundesregierung erweckt den Eindruck, als könne sie es gar nicht abwarten, die Steuermilliarden nach Magna nun dem Nächsten aufzudrängen.

General Motors hat nicht nur eine Verantwortung für seine Aktionäre. General Motors hat auch eine Verantwortung für seine Werke, für die Standorte, für seine Mitarbeiter, für die Lieferanten. Ein Unternehmen ist eine soziale Einrichtung. Aber wir können andererseits doch nicht sagen: Für Magna hätten wir alles Mögliche getan, weil wir auch eine Verantwortung für die Menschen und die Standorte spüren, und jetzt kommt das bei einem anderen Eigentümer überhaupt nicht infrage.

Damals hieß die Alternative: schließen oder verkaufen. Jetzt ist GM erstarkt, das steht doch heute so gar nicht mehr zur Debatte.

Deshalb warten wir ab und drängen GM zur Klärung, damit die Menschen nicht im Unklaxen gelassen werden. Aber wir drängen uns nicht auf.

Haben Sie das Geld, das für Magna vorgesehen war, inzwischen schon wieder für Ihren Gesamtetat eingeplant?

Och, ich hatte es noch gar nicht für Magna verbucht.

Wann werden Sie darangehen, den Bundeshaushalt zu stabilisieren?

Ab 2011 müssen wir die Ausgaben drosseln.

Und wie?

Damit müssen wir uns im Laufe des nächsten Jahres näher beschäftigen, wenn die Krise abflaut und sich der Staat als Konjunkturstabilisator wieder zurücknehmen muss. Klar ist aber, dass es schon sehr schwer wird, bis zum Ende der Legislaturperiode imjahr 2013 überhaupt wieder unter das Maastrichter Defizitkriterium von drei Prozent Haushaltsdefizit, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, zu kommen.

Sie scheinen auch dieser Frage auszuweichen.

Dieser Staat gibt ungefähr 750 Milliarden Euro jährlich für Soziales aus, direkt oder über die einzelnen Sozialsysteme. Das betrifft jeden Menschen. Sie können das leicht im Kopf ausrechnen: Wenn man dies durch 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger teilen würde, entfielen theoretisch auf jeden fast 10 000 Euro. Damit ist auch das Dilemma der Politiker umrissen. Abstrakt ist fast jeder für Ausgabenkürzungen, aber die konkrete Betroffenheit löst Widerstände aus. Es geht um die richtige Balance von Leistung und Gegenleistung.

Also: Mehr fordern und fördern?

Ja klar, aber das darf man nicht ankündigen mit der Rute vom Knecht Ruprecht, als Bedrohung. Da muss auch eine Verheißung dabei sein. Das ist die Kunst der politischen Kommunikation. Man sagt mir ja nach, dass ich nicht übertriebene Nachsicht übe mit jenen, die vielleicht nicht so lange nachgedacht haben wie ich. Und trotzdem bewahre ich mir den Respekt vor anderen Meinungen.

Was heißt das konkret für den Finanzminister? Weniger Steuern oder weniger Sozialabgaben?

Einfache Alternativen sind journalistisch interessant, aber für mich nicht zielführend. Wir bekommen grundlegende Debatten, beispielsweise in der Gesundheitspolitik. All diejenigen, die in den vergangenen Jahren geradezu ideologisch für die Kapitaldeckung eingetreten sind, mögen sich doch bitte mal genau anschauen, was jetzt durch die Krise in den USA aus den kapitalgedeckten Sicherungssystemen geworden ist. Da ist unser System der solidarischen Finanzierung gar nicht so schlecht. Bei uns geht es um die richtige Balance, Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, in der Pflegeversicherung ein zusätzliches Element der Kapitaldeckung einzuführen.

Das heißt: In jede Sozialversicherung ein Element der Kapitaldeckung einbauen, damit alles auf zwei Säulen ruht.

Das stößt natürlich an Grenzen. Der Bundeszuschuss zur Rente ist schon der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Aber wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, die krisenbedingten Mindereinnahmen bei der Bundesanstalt für Arbeit wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Steuerzahler finanzieren zu lassen, nicht nur durch die Beitragszahler. Wenn wir den Banken helfen, darf das ja wohl auch für die Sozialversicherten gelten. In der Arbeitslosenversicherung ist man sich ja einig, dass man eigentlich ohne Bundeszuschuss auskommen muss. Aber für die nächste Zeit, jetzt in der Krise, ist es richtig, nicht bloß staatliche Darlehen zu geben. Das war doch ohnehin unrealistisch. Das wandeln wir in einen Zuschuss um – aber eben nur für die Zeit der Krise.

Krisenbedingte Löcher gibt es auch in der Krankenversicherung.

Da ist es noch etwas komplizierter. Wir haben einen Solidarausgleich schon in der Grundkonstruktion. Das wollen wir weiterentwickeln, da wird der Kollege Rösler hart dran arbeiten müssen. Da wird er mit dem Finanzminister reden müssen. Und er wird mit mir reden müssen über die Finanzierung der krisenbedingten Defizite. Da werden wir sicher nicht sofort dieselben Zahlen haben.

Sie zweifeln die 7,5 Milliarden Defizit für das nächste Jahr bei den Krankenkassen an?

Die behauptet Herr Rösler selbst nicht, das kommt von dem Schätzerkreis. Ich zweifle nicht, dass den Kassen am Ende vielleicht 7,5 Milliarden Euro fehlen. Aber ob das alles nur aus der Krise herrührt? Man muss halt ausrechnen, wie hoch die Beitragseinnahmen ohne Krise gewesen wären, wenn sich die Löhne normal weiterentwickelt hätten. Diese Mindereinnahmen sollen ersetzt werden. Wieviele Milliarden das sind, wird man am Ende sehen. Für Löcher durch schlechtes Management ist der Steuerzahler aber nicht zuständig. Da werde ich mit dem Kollegen Rösler sicher schnell einig sein.

Aber Sie sind sicher, dass die Gesundheitsversorgung für den Steuerzahler nicht so ein Fass ohne Boden wird wie die Rentenkasse?

Fässer ohne Böden sind ja per definitionem keine Fässer mehr. Das sind Röhren. Da ich aus einer Weingegend stamme, mag ich solche Fässer nicht.

Am Ende müssen Sie Ihren Partner FDP vor die Wahl stellen: Steuerentlastung oder Gesundheitsprämie. Denn 24 Milliarden Euro für die Steuer und 20 bis 40 Milliarden für den Sozialausgleich im Gesundheitswesen werden die Staatsfinanzen nun wirklich nicht hergeben.

Das behauptet ja auch niemand. Ich habe eine andere Betrachtungsweise: Ich bin nicht der Zuchtmeister dieser Regierung, sondern ein Teil von ihr. Ich habe ein großes Grundvertrauen in meine Kolleginnen und Kollegen. Wir sind darauf angewiesen, zu vernünftigen, gemeinsamen Lösungen zu kommen. Das geht. Da muss man nicht am Anfang schon alles fürvierjahre fertig haben. Der große Vorzug dieser Koalition ist: Beide Partner haben sie gewollt. Da können wir den Wählern jetzt nicht sagen: Leider geht es nicht wegen unseres Partners.

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