„Wir investieren in unsere eigene Zukunft“



Die Eurozone [Glossar] werde über die Schuldenkrise hinwegkommen, sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Interview. Die Politik müsse „den Spielraum für spekulative Manöver der Märkte verengen“

Hannes Koch: Herr Schäuble, Ihre Stellung in Regierung und Öffentlichkeit ist viel besser als vor einem Jahr. Woran liegt das?

Wolfgang Schäuble: Natürlich freut man sich mehr über gute Umfragewerte als über schlechte. Aber das darf man alles nicht allzu ernst nehmen. Sicher ist, dass die große Mehrheit der Deutschen ein Bedürfnis nach Solidität hat, dementsprechend unsere Schulden für zu hoch hält und sie zu reduzieren wünscht. Denn was passiert, wenn das nicht geschieht, kann man in anderen Ländern sehen. Da sind sich die Mehrheit der Deutschen und ich völlig einig. Vielleicht liegt es ein wenig daran.

Koch: Ihr Vorgänger Peer Steinbrück sagte über die Finanzkrise 2008: „Wir haben in den Abgrund geschaut“. Nun wird auch Italien in den Strudel hineingerissen. Geht es Ihnen jetzt ähnlich wie Steinbrück?

Schäuble: Italien ist in einer ordentlichen Verfassung und gar nicht zu vergleichen mit Griechenland. Die italienische Gesamtverschuldung entspricht sicherlich nicht den europäischen Vorgaben, auf der anderen Seite ist die Neuverschuldung aber auch nicht wirklich besorgniserregend und wird schnell zurückgeführt werden. Jedoch gab es in Italien in den letzten Tagen eine zumindest missverständliche innerstaatliche Debatte. Es entstand der Eindruck, der Regierungschef unterstütze seinen Finanzminister nicht vollkommen. Nun hat dieser am Montag in Brüssel die Finanzminister der Eurozone davon informiert, dass Italien beabsichtigt, den Sparhaushalt bis zum Wochenende im Parlament zu beschließen. Dieses Sparpaket sieht 2014 eine Null bei der Neuverschuldung vor. Ich gehe davon aus, dass dies die Zweifel der Märkte beseitigen wird.

Koch: Umso beängstigender ist es, dass die Investoren mit Italien ein weiteres Land auf´s Korn nehmen. Die Märkte treiben die Politik vor sich her. Und auch die Bundesregierung findet keine Lösung, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Schäuble: Das Problem zu hoher Verschuldung haben einige Staaten und wir werden es nicht von heute auf morgen gelöst bekommen. Wichtig ist, dass wir in Europa die richtigen Lehren gezogen haben. Wir haben die finanzpolitische Koordinierung verstärkt, einen starken Akzent auf die Solidität der Haushalte [Glossar] gelegt und die Finanzmärkte [Glossar] neuer Aufsicht und Transparenz unterworfen. Und wir bleiben nicht dabei stehen, sondern überlegen darüber hinaus, welche zusätzlichen Instrumente man braucht, um den Spielraum für spekulative Manöver der Märkte zu verengen. Allerdings vergeht normalerweise einige Zeit, bis die Märkte diese Maßnahmen registrieren und vor allem auch daran glauben.

Koch: Die Ratingagenturen stufen die Bonität von Staaten herab – teilweise ohne plausiblen Grund. Dadurch steigen die Kosten der Verschuldung, der Staatsbankrott rückt näher. Gilt Ihre Ansage auch für die Agenturen?

Schäuble: Die Ratingagentur Moody´s hat portugiesische Staatsanleihen in der vergangenen Woche herabgestuft. Und das, obwohl Portugal jetzt eine frisch gewählte Regierung mit einer soliden Mehrheit für die nächsten vier Jahre hat, die zudem mehr macht als das portugiesische Programm verlangt, und mit diesem Programm Portugal auf die nächste Zeit durchfinanziert ist. Lauter Verbesserungen. Daher ist die Herabstufung unverständlich. Wir müssen überlegen, ob die Regeln, die wir haben, ausreichen.

Koch: Darüber reden wir seit zwei Jahren. Aber es passiert nichts.

Schäuble: Diesen Eindruck teile ich nicht. Die Politik hat die Allmacht der Agenturen durch die Unteraufsichtstellung unter die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA schon etwas eingeschränkt. Und es gibt Bestrebungen, über die Gründung einer neuen europäischen Agentur als Gegengewicht zu den drei marktbeherrschenden angelsächsischen Firmen nachzudenken. Diesen durch die Privatwirtschaft angestoßenen Prozess unterstützen wir, wo es geht. Außerdem habe ich die EU-Kommission gebeten zu prüfen, ob man den Einfluss der Agenturen und die Abhängigkeit von ihnen auch mit den Mitteln des Aufsichtsrechts begrenzen kann.

Koch: Die Investoren auf den Finanzmärkten verlangen höhere Anleihezinsen für ein Euroland nach dem anderen. Wäre es nicht sinnvoll, ihnen den Weg zum nächsten Opfer zu versperren, indem die EU-Staaten gemeinsame Anleihen herausgeben?

Schäuble: Nein, das wäre ein Fehler. Die sogenannten Eurobonds würden bedeuten, dass für diese Schuldscheine nicht mehr allein die einzelnen Staaten haften und auch keine Konsequenzen in Form von höheren Zinsen für unsolide Haushaltspolitik befürchten müssten. Damit aber setzten wir die Grundstruktur der Europäischen Währungsunion außer Kraft. Denn die Staaten brauchen einen Anreiz, der solides Wirtschaften erzwingt. Dieser besteht heute in den hohen Zinsen, die man zahlt, wenn man sich zu stark verschuldet. Wenn keiner mehr einen Anreiz hätte, ordentlich zu haushalten, würde das Vertrauen in den Euro [Glossar]schwinden und er wäre keine stabile Währung mehr. Das kann nicht die Lösung sein.

Koch: Lange Zeit haben Sie es abgelehnt, einen Teil der griechischen Schulden zu annullieren. Ändern Sie unter dem Druck der Krise nun Ihre Haltung?

Schäuble: Wir müssen sicherstellen, dass Griechenland seine Schulden tragen und finanzieren kann. Daran, dass das möglich ist, hegen die Märkte zur Zeit Zweifel. Diese von Griechenland ausgelöste Vertrauenskrise gefährdet inzwischen den Euro als Ganzes. Deshalb müssen wir dieses Problem überzeugend angehen. Darüber, wie das sein wird, will ich jetzt aber nicht spekulieren. Wir haben in der Eurogruppe [Glossar] vereinbart, dass wir zügig Lösungen erörtern werden, die jetzt die Euroarbeitsgruppe erarbeiten soll. Und dann sehen wir, welche Optionen sich anbieten.

Koch: Beschleichen Sie manchmal Zweifel, dass die Operation gelingt?

Schäuble: Die Märkte verhalten sich teilweise sehr irrational. Deshalb müssen alle Beteiligten vermeiden, Anlass für Überreaktionen zu geben. Aber wir haben die Lage im Griff und werden auch über diese kritische Situation hinwegkommen.

Koch: Griechenland, Irland und Portugal sind überschaubare Volkswirtschaften. Wäre Europa überfordert, sollte auch Italien Finanzhilfe benötigen?

Schäuble: Wenn der Himmel einstürzt, sind alle Katzen tot. Italien hat einen guten Finanzminister und steht insgesamt auf festem Boden.

Koch: Die Hilfen für Griechenland belaufen sich bald auf etwa 100 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung. Im Falle Italiens müsste ein solches Rettungspaket fast zwei Billionen Euro umfassen. Wäre die Eurozone in der Lage, eine so riesige Summe zu stemmen?

Schäuble: Schauen Sie, diese Art von Fragen führt zu Spekulationen, die eigentlich nur zerstörerische Wirkungen haben können. Ich sage Ihnen: Dafür gibt es nicht den geringsten Anlass.

Koch: Viele Bürger fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. Sie haben das Gefühl, man lasse sie im Unklaren über die Kosten der gegenwärtigen Krise. Warum erklären Sie nicht offen: Ja, Europa wird künftig teurer als bisher.

Schäuble: Weil ich es anders einschätze. Ich sehe, dass die Einigung Europas unglaubliche Vorteile für alle bringt, ob Griechen oder Portugiesen, Deutsche oder Spanier, Franzosen oder Finnen. Wir Deutschen sollten nicht unterschätzen, wie sehr wir von Europa und unserer Gemeinschaftswährung profitieren. Über 60 Prozent unserer Exporte gehen in die EU. Darum sind wir so schnell aus der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Aber wir haben es hier mit einem menschlichen Phänomen zu tun: Etwas, das man schon besitzt, schätzt man oft nicht so sehr, wie unerfüllte Wünsche. Europa ist für viele selbstverständlich. Wir sollten nicht so dumm sein, Europa auf´s Spiel zu setzen. Sondern uns dafür engagieren.

Koch: In Deutschland gibt es den Länderfinanzausgleich zwischen reichen und armen Ländern. Sind die Deutschen empfänglich für die Botschaft, dass wir einen derartigen Mechanismus der Solidarität auch auf europäischer Ebene brauchen?

Schäuble: Diese Botschaft wäre falsch. Sie muss lauten: Wir wollen ein gemeinsames starkes Europa. Dazu muss jeder seinen Beitrag leisten. Wir zahlen nicht für andere, sondern wir investieren in unsere eigene Zukunft.

Das Interview führte Hannes Koch.

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