Verleihung des Abraham-Geiger-Preises an Prinz El Hassan bin Talal von Jordanien



Laudatio von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Verleihung des Abraham-Geiger-Preises an Prinz El Hassan bin Talal von Jordanien in Berlin

?Heureka!?, auf Deutsch: ?Ich hab?s!?, soll Archimedes gerufen haben, als er ein schwieriges physikalisches Problem lösen konnte. Den Menschen ist es gegeben, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Fragen zu stellen und wissbegierig nach Antworten zu suchen.

Manche dieser Fragen sind so alt wie die Menschheit selbst. Sie bewegen Menschen aller Völker, Kulturen und Religionen immer wieder aufs Neue. Es sind die großen Fragen nach dem Göttlichen und den letzten Dingen, aber auch die Fragen nach der eigenen Herkunft und Zukunft und dem menschlichen Zusammenleben.

Die Antworten auf diese Fragen können mal mehr, mal weniger brisant sein. Die Antwort, die Douglas Adams in seinem Science Fiction-Klassiker The Hitchhiker?s Guide to the Galaxy gibt, mag allerdings den einen oder anderen ernüchtern. In seinem Buch errechnet ein eigens dafür gebauter Hochleistungscomputer namens Deep Thought die Antwort auf die Frage aller Fragen, nämlich die ? ich zitiere ? ?nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest?. Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren gibt der Computer tatsächlich sein mit Spannung erwartetes Ergebnis bekannt, nämlich: ?Zweiundvierzig?.

Das ist wenig befriedigend, aber doch immerhin recht harmlos. Die Zahl 42 taugt nicht als Grundlage für militante, nationalistische oder extremistische Gruppierungen, um sich anderen überlegen zu fühlen, um Menschen zu unterdrücken, Kulturdenkmale zu zerstören oder um Krieg und Gewalt zu säen. Dagegen wird es bedrohlich, wenn Menschen glauben, letzte Antworten gefunden zu haben, die andere Menschen mit anderen Überzeugungen aus der Gemeinschaft ausschließen. Dann sind Freiheit und Vielfalt, und damit die Fundamente unseres Miteinanders, in Gefahr.

Mit den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 ist vielen Menschen bewusst geworden, dass weltweit eine neue Bedrohung für unser friedliches Zusammenleben erwachsen ist. Sie, Königliche Hoheit, haben kurz nach den Anschlägen in einem Zeitungsartikel die Richtung gewiesen, in die die Weltgemeinschaft nun steuern muss: ?Ohne Bedauern?, so schreiben Sie, ?müssen wir jene geschlossenen Gesellschaften hinter uns lassen, die ihr Verständnis auf den Grundsätzen der Überlegenheit und der ideologischen Vorherrschaft aufgebaut haben.? Ihr Wort hat Gewicht. Kaum einer kennt sich mit dem Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden in Theorie und Praxis so gut aus wie Sie.

Sie befürworten nachdrücklich den Vorschlag von Yehudi Menuhin, ein Parlament der Kulturen aufzubauen, das eine Plattform für den weltweiten Dialog werden könnte und ein Forum, auf dem wir Werte, Ziele und Visionen umreißen, die wir teilen. Solche Diskussion sind manchmal mühsam, aber wichtig. Wir müssen global ebenso wie national und auch lokal nach Gemeinsamkeiten suchen und uns von Vorurteilen und Feindbildern verabschieden.

Sie, Königliche Hoheit, haben sich in Ihrem Wirken den großen Fragen des Lebens gewidmet, der Frage etwa nach Gerechtigkeit, Toleranz, Nachhaltigkeit, globaler Verantwortung. Von Ihnen kommen nicht nur wichtige Impulse für den Dialog der Kulturen, sondern auch neue Ideen beispielsweise für eine nachhaltige Energiepolitik. Auch auf diesem Feld könnte Ihnen schon das eine oder andere Mal ein ?Heureka!? über die Lippen gegangen sein.

Sie setzen sich im Rahmen des Projekts DESERTEC für eine weit reichende Energiepartnerschaft zwischen Europa, Afrika und dem Nahen Osten ein. Wir könnten, so Ihr Plan, in den Wüsten Solarstrom erzeugen, und schon ein Bruchteil der Fläche der Sahara würde reichen, um den Energiehunger Europas zu stillen. Ist Ihnen hier vielleicht die Phantasie ein wenig durchgegangen? Zwei Studien, die das Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben hat, bescheinigen dem Konzept Machbarkeit.

Ihre inspirierende Weltläufigkeit, ihre intellektuelle Aufgeschlossenheit und ihre gewinnende persönliche Art haben Sie zu einem allseits geschätzten Gesprächspartner für die drängenden globalen Fragen werden lassen. Sie haben Ihren akademischen Weg in Christ Church begonnen, einer weltweit einzigartigen Einrichtung in Oxford. Christ Church ist sowohl College als auch Kathedrale und seit Jahrhunderten Ort des Dialogs zwischen Wissenschaft und Religion. Sie haben dort gelernt, Traditionsverbundenheit und die Faszination für das Neue in Einklang zu bringen. Und Sie wären kein echter Oxford Undergraduate gewesen, wenn Sie nicht auch schon als Student über den Tellerrand Ihres Faches hinausgesehen hätten, was auf seine Art übrigens auch den erwähnten Douglas Adams gekennzeichnet hat, der an einem College in Cambridge studierte.

Ihr Element ist das Denken in großen Zusammenhängen. Sie waren bis vor kurzem Präsident des Club of Rome, in dem das nachhaltige Denken im globalen Maßstab ein Zuhause gefunden hat. Als Board Member der Foundation for Interreligious and Intercultural Dialogue, als Gründer der International Cultures Foundation und auch als Mitglied der World Conference of Religions for Peace stellen Sie das Gemeinsame der Kulturen und Religionen in den Mittelpunkt und nicht, wie leider immer noch so viele andere, das Trennende.

Sie haben nicht weniger als sieben Bücher geschrieben, was für einen homo politicus nicht der Normalfall ist. Nun ist es aber für den Spross eines haschemitischen Königshauses auch nicht der Normalfall, neben vielen anderen Sprachen das biblische Hebräisch zu beherrschen, die Lesefähigkeit im Deutschen zu besitzen und neben vielen akademischen Ehrengraden einen Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen innezuhaben. Übrigens, auch eine Helikopterflugerlaubnis und ein 7. Dan Schwarzgurt in Taekwondo sind in jedem Fall alles andere als Durchschnitt.

Im Andenken an den großen liberalen jüdischen Denker Abraham Geiger würdigen wir heute Prinz Hassan als ?eine Stimme für globale Nachhaltigkeit, Versöhnung und interreligiösen Dialog?. Abraham Geiger ist es gelungen, Glaubensstärke mit Toleranz und wissenschaftlicher Freiheit zu verbinden. Er wurde damit nicht zufällig zum Begründer der modernen Koranstudien. Ein moderner Mann des Glaubens war Geiger auch darin, dass er keiner Religion eine besondere Auserwähltheit zubilligte. Und er unterschied klug zwischen den universalen religiösen Werten und den konkreten Geboten und Gesetzen der eigenen Religion.

Persönlichkeiten wie Abraham Geiger und Prinz El Hassan bin Talal machen uns vor, wie ein fruchtbarer Dialog zwischen Islam, Judentum und Christentum aussehen kann. Nur wenn uns dieser Austausch gelingt, werden unsere Gesellschaften offen sein für Zuwanderer anderer Religionen, Kulturen und Ethnien.

Der libanesische Autor Amin Maalouf hat einmal gesagt: ?Das Aufnahmeland ist weder eine unbeschriebene noch eine vollendete Seite, sondern eine Seite, die im Begriff ist, beschrieben zu werden.? Das bringt eine wichtige Erkenntnis auf den Punkt: Zuwanderung verändert auch die Aufnahmeländer; Zuwanderer schreiben mit am Drehbuch der zukünftigen Entwicklung der Aufnahmeländer. Und wenn es gut läuft, bereichern sie ihre neue Heimat mit den Fähigkeiten, die sie mitbringen.

Um den Boden dafür zu bereiten, brauchen wir Persönlichkeiten wie Seine Königliche Hoheit Prinz El Hassan bin Talal. Möge uns Ihre Arbeit auch weiterhin Inspiration sein.