Sport als Integrationsmotor



Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble beim Festakt „Integration durch Sport“

Kaum etwas begeistert Menschen so sehr wie der Sport. So weit wir in der Menschheitsgeschichte zurückblicken können, gab es sportlichen Wettstreit. Das gehört offenbar zur menschlichen Natur.

Für die Politik hat Sport eine besondere Bedeutung, weil er wichtige Funktionen für unsere freiheitliche Ordnung erfüllt. So motiviert Sport zu Leistung und Wettbewerb. Das gilt für den Spitzensport, aber natürlich auch für den Breitensport. Er spornt Menschen an, die eigenen Fähigkeiten und Chancen zu verbessern, und er zeigt, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten erfolgreich sein kann. Das ist ein unschätzbar hohes Gut in unserer freiheitlichen Ordnung und eine entscheidende Antriebsfeder für Innovation und Wohlstand.

Wettbewerb kann aber nur positiv wirken, wenn alle sich an gewisse Regeln halten. Jede Ordnung ist auf einen vernünftigen Rahmen, auf Regeln und Begrenzungen angewiesen, wenn sie sich nicht selbst zerstören will. Wir sehen das in der gegenwärtigen Bankenkrise. Im Sport weiß man auch, dass es Spielregeln gibt, die für ein gerechtes Kräftemessen unverzichtbar sind. Sie müssen manchmal angepasst, vor allem aber müssen sie eingehalten, durchgesetzt und vermittelt werden. Erst recht braucht es für das gesellschaftliche Miteinander die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten und Regeln durchzusetzen. All das kann man im Sport lernen.

Der Sport lebt vor und vermittelt, dass ein Sieg nur dann etwas wert ist, wenn er unter der Voraussetzung von Respekt und Fair Play erzielt wird. Das entspricht und stärkt unser Gerechtigkeitsempfinden, fördert Verantwortungsbereitschaft und Toleranz. Diese Funktion des Sports ist ganz elementar für das Miteinander in unserem Land.

Sportler und Fans erleben Gemeinschaft ganz unmittelbar, gehen bei einem umkämpften Match zusammen durch dick und dünn. Im Großen und im Kleinen, bei Massenveranstaltungen und mehr noch im sportlichen Vereinsleben erleben Sportler und Fans Gemeinschaft. Wer das ausgelassene Feiern von Fans aller Nationalitäten, Kulturen und Religionen bei unserer WM 2006 erlebt hat, der hat gemerkt: Es gibt so etwas wie eine Völkergemeinschaft, und wir Deutschen gehören selbstverständlich dazu. Vielleicht war Deutschland auch deshalb so ein guter Gastgeber.

Leistung, Regeln, Fairness, Zusammenhalt – unsere Gesellschaft braucht den Sport und seine positiven Wirkungen. Das gilt umso mehr, als unsere Gesellschaft durch Wandel von innen und durch Zuwanderung von außen zunehmend vielfältiger wird. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Der Sport kann helfen, sie zu bewältigen.

Der Spitzensport kann Identifikationsmöglichkeiten schaffen – mit Athleten, die anderswo geboren sind ebenso wie mit erfolgreichen deutschen Mannschaften. Und im Breiten- und Vereinssport können alle Menschen erleben, dass sie willkommen sind, gebraucht werden, einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten können. Das schafft Zugehörigkeit und fördert Integration.

Programme wie „Integration durch Sport“ sind ebenso wertvoll wie notwendig, damit wir die Chancen der Vielfalt in unserem Land wirklich nutzen können. Das geht nur, wenn wir eine Grundlage für ein friedliches Miteinander haben. Dazu kann der Sport mit seiner Kraft ganz entscheidend beitragen. „Integration durch Sport“ zeigt übrigens, dass Integration alles andere als eine Einbahnstraße ist. Die Einführung bisher in Deutschland unbekannter Sportarten wie Gorodki bedeutet auch, dass die Einheimischen von den Zuwanderern lernen und sich von ihrer Kultur bereichern lassen.

Der Start des Programms fällt in meine erste Amtszeit als Innenminister. Damals hieß es „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“. Über 100.000 Aussiedler waren damals zu uns nach Deutschland gekommen. Sie mussten anfangs in Turnhallen untergebracht werden. Diese Menschen zu integrieren, war eine Herausforderung, die wir, glaube ich, sehr gut gemeistert haben. Verlässlicher Partner der Politik war damals schon der Deutsche Sportbund, begonnen hat die Zusammenarbeit im Integrationsbereich mit dem 2007 verstorbenen Hans Hansen. Seit vielen Jahren gehört nun der aus dem DSB hervorgegangene DOSB mit seinem jetzigen Präsidenten Thomas Bach zu den wichtigsten Akteuren in der Integrationspolitik. Dafür gebühren dem DOSB besonderer Dank und Anerkennung.

Als Geburtshelfer habe ich die weitere Entwicklung des Programms, auch als ich nicht mehr Innenminister war, mit Interesse verfolgt. Zunächst als Integrationsmaßnahme für Aussiedler in 4 Bundesländern gestartet, wurde das Programm ab 1990 flächendeckend in der alten Bundesrepublik fortgesetzt und nach der Wiedervereinigung 1991 auf die neuen Bundesländer übertragen – immer in guter Zusammenarbeit mit den Sportorganisationen. Bereits 2001 wurde das Programm für alle Zuwanderergruppen geöffnet und erhielt seinen jetzigen Namen. Aus integrativen und – angesichts vorhandener Fremdenfeindlichkeit – auch präventiven Gründen öffnete es sich auch für benachteiligte deutsche Jugendliche.

Über die Jahre gelang es, die Bundeszuwendung in etwa gleicher Höhe zu halten. Damit hat sich das Bundesministerium des Innern als verlässlicher Partner erwiesen. Bei Mehrforderungen – wer wünscht nicht mehr Geld? – bitte ich anbetrachts knapper Kassen zu bedenken: Die pro Jahr zur Verfügung gestellten 5,4 Millionen Euro machen immerhin fast 39 Prozent der Fördersumme für alle gemeinwesenorientierten Integrationsprojekte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus.

Die Bundesregierung wird auch weiterhin ein verlässlicher Partner sein. Die von DOSB und Landessportbünden favorisierte Umstellung der Finanzierungsart von einer Fehlbedarfs- auf eine Festbetragsfinanzierung ist hierfür ein Beispiel: Sie wird zum Jahreswechsel umgesetzt und bedeutet für alle Beteiligten mehr Flexibilität und weniger Bürokratie. Wir sollten uns aber keiner Illusion hingeben: Die staatlichen Fördermittel werden auch in Zukunft begrenzt sein. Ich rufe deshalb dazu auf, nichts unversucht zu lassen, um Sponsoren zu gewinnen. Viele Unternehmen haben noch nicht wahrgenommen, welch gutes Werbeumfeld der Integrationssport ist, und möglicherweise findet der eine oder andere Unternehmer ganz nebenbei noch seinen Traumazubi unter den jungen Sportlern mit Migrationshintergrund.

Der Ansatz des Programms hat sich bewährt, und es ist folgerichtig, dass es im Nationalen Integrationsplan ein eigenes Themenfeld „Integration durch Sport“ gibt. Der Integrationsplan enthält eine Reihe sportpolitischer Ziele und Selbstverpflichtungen. So wird das BAMF eine Informationsplattform einrichten, um für mehr Transparenz in der Förderlandschaft und für einen verbesserten Austausch der Sportvereine untereinander zu sorgen, auch für den Austausch über best-practice-Beispiele.

Noch mehr in den Mittelpunkt rücken muss die Förderung der Sportinteressen von Zuwanderinnen. Zwar ist die Dominanz männlicher Teilnehmer charakteristisch für den gesamten vereinsorganisierten Sport, dennoch besteht hier weiterer Handlungsbedarf. Die Entwicklung zielgruppenspezifischer Angebote für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund ist deshalb auch eines der Schwerpunktthemen der ständigen Arbeitsgruppe „Integration und Sport“, die unter Federführung meines Hauses seit Juni 2008 den Dialog mit Vertretern von Bund, Ländern, Kommunen, Sportverbänden, Wissenschaft und Migrantenorganisationen führt. Darum müssen wir uns weiter prioritär kümmern. 

Nach 20 Jahren „Integration durch Sport“ war es an der Zeit, sich genauer zu fragen: Wo stehen wir und wo wollen wir in Zukunft hin? Dazu hat die Uni Potsdam die im Zeitraum 2007/2008 geförderten Maßnahmen programmbegleitend evaluiert. Die Ergebnisse liegen seit kurzem vor. Eine Auswertung der Hinweise und Anregungen des Abschlussberichtes erfolgt gegenwärtig und ist bereits in Empfehlungen für die weitere Arbeit eingeflossen.

Was die Evaluation nicht leisten kann, ist eine umfassende Gesamtbilanz. Das beginnt schon bei der Frage, wie viele Teilnehmer das Programm in den letzten 20 Jahren erreicht hat. Um ehrlich zu sein: wir wissen es nicht genau, zumal der Bund Vereine vor Ort nicht dauerhaft fördert, sondern die Mittel möglichst breit streut, damit wechselnde Vereine für einen begrenzten Zeitraum in den Genuss einer Förderung kommen.

Auch die über den Sport hinausgehenden integrativen Aktivitäten der Stützpunktvereine sind schwer zu messen. Fast alle bieten Hausaufgabenhilfe, Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und beim Ausfüllen von Formularen an. Nicht zu vergessen sind die geselligen Aktivitäten, die von mehr als 80 Prozent der Sportgruppen in Form von Vereinsfesten, Ausflügen und dergleichen mehr durchgeführt werden und die Begegnung von Einheimischen und Zuwanderern fördern. Erfreulich ist die zunehmende Kooperation der Stützpunktvereine mit anderen Trägern der Integrationsarbeit vor Ort und ihre Mitwirkung an Runden Tischen bzw. Netzwerken. Das alles sind gute Ansätze für gesellschaftliche Integration.

Derzeit werden durch das Programm bundesweit knapp 500 Stützpunktvereine gefördert. Nahezu 1.200 Übungsleiter betreuen fast 2.000 überwiegend breitensportlich orientierte Sportgruppen. Rund ein Viertel der Ansprechpartner des Programms und fast die Hälfte der ehrenamtlichen Übungsleiter, Trainer und Betreuer haben einen Migrationshintergrund. 55 Prozent der rund 38.000 Sporttreibenden in diesen Sportgruppen sind Zuwanderer. Das heißt auch, dass 45 Prozent einheimische Teilnehmer sind.

Unter den dort Sporttreibenden sind vor allem Zuwanderer aus der ehemaligen UdSSR (in 80 Prozent der Gruppen), danach mit ziemlichem Abstand türkischstämmige Zuwanderer (in 45 Prozent der Gruppen) sowie Zugewanderte polnischer und ex-jugoslawischer Herkunft (in jeweils 30 Prozent der Gruppen). Trotz der Öffnung von „Integration durch Sport“ seit 2001 haben andere Zuwanderergruppen ihren Rückstand zu den Spätaussiedlern noch nicht annähernd aufgeholt.

Verbesserungsfähig ist die Teilnahme muslimischer Frauen und Mädchen, deren Sportbiografien im Bericht sogar als „äußerst prekär“ bezeichnet werden. Von den Teilnehmern mit Migrationshintergrund sind nur ein Drittel Frauen. Hier besteht mit Blick auf die Weiterentwicklung des Programms und die Verbesserung seiner Breitenwirkung weiterer Handlungsbedarf. So werden mehr Dialogbeauftragte und Übungsleiterinnen aus dem muslimischen Kulturkreis als Vertrauenspersonen gebraucht, die den Zugang zum Sport erleichtern, Hemmschwellen abbauen und klar machen, dass Sport im Verein mit hergebrachten Traditionen und Normen durchaus vereinbar ist.

Wie die Befragung gezeigt hat, werden auch ältere Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe für das Programm „Integration durch Sport“ bislang kaum beachtet. Deshalb ist meine Bitte an die Verantwortlichen: Entwickeln und bewerben Sie auch auf Senioren zugeschnittene Angebote.

Wir sprechen so selbstverständlich von Integration durch Sport, aber Integration durch Sport vollzieht sich nicht automatisch. Vielmehr müssen Integrationsprozesse gezielt angeregt, unterstützt und gefördert werden. Notwendig sind auch ein strategisches Herangehen, eine klare Zielgruppenorientierung und ein einheitliches und verbindliches Integrationskonzept mit mehr Transparenz nach innen und außen.

Die Arbeit in den Stützpunktvereinen lebt aber nicht nur von Konzepten, sondern ganz stark auch von Personen. In der Praxis zeigt sich, wie sehr vor allem von den Übungsleitern die Zusammensetzung der Sportgruppen abhängt. Hat der Übungsleiter einen Migrationshintergrund, machen deutlich mehr Zuwanderer mit. Eine Übungsleiterin mit Migrationshintergrund zieht Zuwanderinnen fast magnetisch an. In ihren Gruppen beträgt der Frauenanteil fast 60 Prozent. Übungsleiter und Übungsleiterinnen mit Migrationshintergrund sind damit wichtige „Türöffner“. Wir sollten sie deshalb noch gezielter ansprechen und ihre große Bedeutung für den Integrationsprozess würdigen.

Unsere Herausforderung heißt nicht nur Integration in den Sport – da haben wir schon einiges erreicht -, sondern auch Integration durch den Sport – hier müssen wir dem Namen unseres Programms noch mehr gerecht werden. Ich würde mir wünschen, dass sich hier auch die Länder noch mehr der gemeinsamen Verantwortung stellen.

Sport war und bleibt ein wichtiger Baustein gesellschaftlicher Integration. Dank der Evaluation sehen wir klarer, wie wir das Programm erfolgreich weiterentwickeln können. Bei aller Freude haben wir weiteren Handlungsbedarf.

Die Evaluation hat aber auch bestätigt: die Bereitschaft zum freiwilligen bürgerschaftlichen Engagement in den Stützpunktvereinen ist beeindruckend hoch. Ohne dieses Engagement hätten wir die bisherigen Erfolge nicht erzielen können. Deshalb gilt mein Dank für 20 Jahre erfolgreiche Integrationspolitik im Sport allen Mitstreitern und insbesondere den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den Vereinen und Verbänden. Machen Sie so weiter. Erfüllen Sie unsere freiheitliche Ordnung mit Leben!