Rede im Deutschen Bundestag in der Schlussberatung des Haushaltsgesetzes 2016



Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gegen Ende dieser Haushaltswoche möchte ich mich für das Bundesfinanzministerium und für die Bundesregierung zunächst einmal beim Haushaltsausschuss – bei seiner Vorsitzenden und bei allen Kolleginnen und Kollegen sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – auch in der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums – für deren Arbeit herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann will ich Sie, Herr Kollege Kahrs, weil wir ja so eine gute Zusammenarbeit in der Großen Koalition haben,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

vor etwas bewahren, indem ich es direkt in Ordnung bringe. Die Bundesregierung hat nicht Dublin gebrochen;

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): So ist es!)

was Sie sagen, ist nicht richtig. Ich kenne das Dublin-System ziemlich gut; schließlich war ich einmal Innenminister. Das Dublin-System besagt, dass eigentlich das Land, das Außengrenzen hat – da liegt Deutschland ziemlich günstig, weil wir uns mitten in Europa befinden -, die Flüchtlinge aufnehmen muss. Es fordert allerdings sowohl Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen als auch Hilfe bei der Kontrolle der Außengrenzen.

Das Dublin-System ist substanziell beschädigt worden, weil sich die Verfassungsgerichte – das gilt für Deutschland, aber auch für andere europäische Länder – vor Jahren genötigt gesehen haben, den Mitgliedstaaten zu verbieten, Flüchtlinge, die zuerst in einem bestimmten Mitgliedsland der Europäischen Union und auch der Euro-Zone aufgenommen worden waren, an dieses Land zurückzuüberstellen, weil die Behandlung in diesem Land den europäischen Mindeststandard an Schutz von Menschenrechten nicht gewährleistet hat. Das war die eigentliche substanzielle Beschädigung des Dublin-Systems. Ich sage jetzt gar nicht, um welches Land es da ging; Sie können sich das selbst überlegen. Wir haben uns in diesem Jahr schon gelegentlich damit beschäftigt.

Wir sollten jetzt nicht selber falsche Legenden nähren; das ist wirklich nicht angemessen.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Richtig!)

Wenn man uns in dieser Frage etwas nicht vorwerfen kann, ist es ein Mangel an Solidarität innerhalb Europas. Wir haben nun wirklich viel für Europa getan und das europäische Ansehen ein ganzes Stück weit verteidigt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Weil ich gerade dabei bin, aufzuarbeiten, was in der Debatte gesagt worden ist: Frau Kollegin Özoğuz – –

(Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deligöz!)

– Deligöz; ich bitte um Entschuldigung.

(Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Özoğuz sitzt auf der Regierungsbank! – Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber ich tausche gern mit ihr!)

– Darüber kann ich nicht entscheiden.

(Heiterkeit)

Tut mir leid; das müssen wir bei anderer Gelegenheit klären.

Frau Kollegin Deligöz, ist es schön, dass Sie meine Aussage in der Stuttgarter Zeitung gelesen und sie in Ihrer Rede zitiert haben; ich hoffe, dass die Stuttgarter Zeitung sie auch richtig wiedergegeben hat. Ich habe darin etwas zu dem Argument für die Einführung der Abgeltungsteuer gesagt. Sie werden sich erinnern, dass mein geschätzter Vorgänger, Herr Steinbrück, gesagt hat: 25 Prozent von X ist besser als 42 Prozent von nix. – Das ist die Kurzfassung der Beschreibung des Problems und zeigt, dass, solange es keinen automatischen Informationsaustausch gibt – den wir hoffentlich ab 1. Januar 2017 haben werden -, die Einführung der Abgeltungsteuer richtig war. Deswegen habe ich gesagt: Wenn wir einen automatischen Informationsaustausch haben, kann man über dieses Thema nachdenken. Das müssen wir dann aber erst in der Koalition klären.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und dann kann man es auch machen?)

– Bitte?

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir das haben, dann kann man es auch machen?)

– Ja, klar. Dann muss ich allerdings erst mit der Koalition und mit den Bundesländern sprechen. Es ist nun einmal so, Frau Hajduk: Gesetze entstehen in Deutschland, indem die Mehrheit des Bundestages – und bei Steuergesetzen auch die Mehrheit des Bundesrates – zustimmt. Das wird noch eine schwierige Diskussion werden; denn es gibt eine Menge Argumente dagegen. Die Abgeltungsteuer jetzt einfach wieder abzuschaffen, wäre aber falsch. Man muss das schon im richtigen systematischen Zusammenhang sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist natürlich wahr, dass die Haushaltsberatungen in dieser Woche ganz stark im Schatten der aktuellen Ereignisse standen. Allerdings denke ich, dass wir über unsere Solidarität mit Frankreich – dabei geht es auch um europäische Solidarität, Frau Kollegin Lötzsch – und darüber, welche Reaktion wir zeigen müssen, in der kommenden Woche ausführlich und gründlich im Bundestag diskutieren werden. Deswegen will ich auf das, was Sie dazu gesagt haben, jetzt nicht eingehen; darüber werden wir nächste Woche sicherlich mit allem gebotenen Ernst sprechen. Aber ich glaube schon, dass wir um diese Entscheidung gar nicht herumkommen können. Denn Solidarität ist eine Voraussetzung dafür, mit diesen großen Herausforderungen überhaupt fertigzuwerden.

Wir haben gesehen – vielleicht ist das für unsere Gesellschaft insgesamt die eigentliche Erfahrung dieser Wochen und Monate, die uns in einem ungewohnten Tempo mit ganz neuen Entwicklungen konfrontieren -, dass die Globalisierung nichts Abstraktes mehr ist: von der UN-Klimakonferenz in Paris über die Flüchtlingsfrage bis hin zur Terrorismusbedrohung und zu asymmetrischer Gewaltausübung. All diese Dinge, über die wir in den entsprechenden Analysen immer gelesen haben, sind jetzt plötzlich konkret. Sie werden unsere Diskussionen, unsere politischen Entscheidungsprozesse, unsere Prioritäten ein gutes Stück verändern. Es schadet nicht, wenn wir uns darüber am Ende dieser Haushaltswoche eindeutig im Klaren sind.

Trotzdem bleibt es natürlich richtig, dass eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik die Grundlage dafür ist, dass wir die großen Herausforderungen auch in Zukunft meistern können. Da der Vorsitzende der Fraktion Die Linke dankenswerterweise eingeführt hat, dass wir alle bibelfest sein müssen und auch entsprechend zitieren sollten,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Jedenfalls in dieser Haushaltswoche!)

will ich, da ich auch auf dem Kirchentag schon über diese Bibelstelle diskutiert habe, daran erinnern, dass es in Lukas 16, Vers 11 heißt:

Wenn ihr also im Umgang mit dem leidigen Geld nicht zuverlässig seid, wird euch niemand das wirklich Wertvolle anvertrauen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die großen Aufgaben werden wir also nur lösen können, wenn wir auch eine solide Finanzpolitik betreiben. Herr Kollege Bartsch, es macht ja auch Sinn – er verlässt gerade den Saal; deswegen winke ich ihm zu -, wenn wir am Ende der Debatte wieder ein Stück weit an den Anfang anknüpfen bzw. darauf zurückkommen.

Ich will darauf hinweisen, dass es nicht nur unsere Finanzpolitik ist, die uns in die Lage versetzt, diese großen, so nicht erwarteten Herausforderungen im kommenden Jahr zu bewältigen. Es ist richtig, dass wir in diesem Jahr Überschüsse erzielt haben. Das ist ein großes Glück, macht vieles sehr viel leichter und zeigt, dass diese Politik richtig ist. Aber dass wir auf die Herausforderungen reagieren können, verdanken wir auch der guten Lage in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Auch dies hat natürlich mit einer nachhaltigen Finanzpolitik zu tun, welche gerade in einer Zeit wachsender Verunsicherung dafür sorgt, dass das Vertrauen aller Beteiligten – der Wirtschaft, der Investoren, der Unternehmer, der Arbeitnehmer, der Konsumenten – gestärkt bleibt. Wir dürfen diese stabile Grundlage für dauerhaftes Vertrauen nicht verlieren.

Zugleich setzen wir die richtigen Schwerpunkte. Wenn wir die Ausgaben im Einzelplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über einen Zeitraum von zehn Jahren sehen, dann erkennen wir, dass wir sie bereits am Ende des kommenden Jahres verdoppelt haben werden. Unsere Priorität Numero eins in unserem Haushalt heißt Bildung, Forschung, Innovation.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist in der Debatte gesagt worden – ich glaube, es war gestern Herr Gabriel: Wir stehen mit unserer Forschungsquote in Europa an der Spitze. Aber andere Länder sind da noch stärker. Daher müssen wir noch besser werden. Wir werden uns also darauf konzentrieren müssen, auf diesem Gebiet noch besser zu werden; denn nur wenn wir genauso wie alle anderen Europäer auf die Stärkung unserer Innovationskräfte setzen, werden wir in diesem globalen Wettbewerb weiterhin die Grundlagen für unseren wirtschaftlichen Lebensstandard und für unsere soziale Sicherheit erwirtschaften.

Billiger als andere werden wir nicht produzieren können. Wir werden aufgrund unseres Lebensstandards immer teurer sein. Der Anteil der Sozialausgaben an unserem Haushalt ist so hoch, dass wir immer darauf achten müssen, dass er mit einer nachhaltigen finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung einigermaßen in Übereinstimmung steht. Und deswegen müssen wir entschieden auf Innovationen, auf Bildung und Forschung setzen.

Wir haben aber auch die Ausgaben für die Infrastruktur deutlich erhöht. Wir haben in den ersten Stunden dieser Sitzung den Verkehrshaushalt debattiert. Wir werden die Verkehrsinvestitionen bis 2018 um annähernd 40 Prozent erhöhen. Wir werden auch die digitale Infrastruktur stärken, was für die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft natürlich von entscheidender Bedeutung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will eine weitere Bemerkung machen. Natürlich sind die Wünsche und Ansprüche an den Bund immer unbegrenzt. Natürlich gilt die Erfahrung, die ich schon in meiner Familie erlebt habe. Mein Bruder war ein paar Jahre Mitglied der Landesregierung eines großen Bundeslandes. Wenn es darum ging, den Bund für Probleme, die man selber nicht lösen konnte, verantwortlich zu machen, dann gab es weder familiäre noch parteipolitische Rücksichtnahme.

Nicht anders ist es beim Verhältnis zwischen Kommunal- und Landespolitikern. Die Klagen der Kommunen sind durchaus verständlich. Allerdings wissen auch die Kommunalpolitiker – das sollten sie nur öfter sagen: Der Bund unterstützt mit seiner Politik die Kommunen wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben die Leistungen für die Kommunen in einem Maße erhöht, wie das die kommunalen Spitzenverbände überhaupt nicht erwartet haben; ich will das jetzt nicht mehr alles darstellen, aber wenigstens erwähnen.

Ein Wort zu den Leistungen. Wir als Bund haben die Kosten für die Flüchtlinge, die zu uns kommen, vom ersten Tag der Registrierung an bis zur Entscheidung durch das BAMF voll übernommen. Wir können das Geld dafür den Kommunen nicht auszahlen. Dafür müsste man das Grundgesetz ändern, wofür man die Zustimmung des Bundesrates brauchte. Die Vertreter des Bundesrates haben gesagt, das sei Zeitverschwendung, sie würden dem nicht zustimmen. Im Rahmen des Grundgesetzes können wir das Geld nur den Ländern zukommen lassen. Also müssen die Forderungen der Kommunen an die verantwortlichen Landesregierungen gerichtet werden, und zwar wieder und wieder. Dort, wo es nicht funktioniert, muss es eingefordert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD))

Wenn ich sehe, dass wir die Investitionen in einem erheblichen Maße erhöhen, auf Bildung, Forschung und Innovation setzen und zugleich einen sozialen Leistungsstandard haben, der in der Welt nur von wenigen überboten werden kann, dann finde ich, dass es eine große Leistung ist, dass wir eine gute wirtschaftliche Lage haben und im Vergleich zu vielen anderen Ländern in Europa am Arbeitsmarkt wenig Probleme, insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit, haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte am Ende dieser Haushaltsberatungen an Sie appellieren, dass wir in den kommenden Jahren alle Kraft dafür einsetzen, unseren Weg konsequent fortzusetzen. Wir stärken damit Europa. Wir dienen den Jüngeren in unserem Lande, und wir dienen künftigen Generationen.

Wir können nicht alle Probleme direkt lösen. Die Herausforderungen sind groß geworden. Wenn wir mit diesen Herausforderungen fertig werden wollen – ich bin mir sehr sicher, dass wir das schaffen, auch wenn es eine Skepsis vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit europäischer Institutionen gibt -, muss Europa stärker werden. Deutschland muss hier seine Rolle weiterhin wahrnehmen und alles tun, damit Europa möglichst stark wird und seine Verantwortung in der globalen Welt gerecht werden kann. Diese Aufgabe ist groß. Unsere Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt; aber das, was wir tun können, sollten wir tun.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)