Rede des Bundesfinanzministers zum Euro-Rettungsschirm im Bundesrat



Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich bedanke mich für die Bundesregierung dafür, dass der Bundesrat heute zu dieser Sondersitzung zusammenkommt. Es ist gut und wichtig, dass das Stabilisierungsmechanismusgesetz in seiner geänderten Form möglichst rasch von den  deutschen gesetzgebenden Körperschaften beschlossen wird. Ich bedanke mich deswegen  ausdrücklich dafür, dass der Bundesrat diese Sondersitzung durchführt.

Wir haben in dem vom Bundestag gestern beschlossenen Gesetz vorgesehen, dass der Bundesrat zu unterrichten ist und dass wir darüber eine Bund-Länder-Vereinbarung treffen werden. Die Bundesregierung wird den Bundesrat fortlaufend und zeitnah unterrichten. Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam – die Bundesregierung ist entschlossen, ihren Beitrag dazu zu leisten – die im Gesetz vorgesehene Bund-Länder-Vereinbarung in den nächsten Wochen sehr zügig erarbeiten und  auf dieser Grundlage die fortlaufende Information durchführen.

Die Ergänzung des Rahmenvertrags für die vorläufige Finanzierungsfazilität, die wir im Mai vergangenen Jahres beschlossen haben, ist aus zwei Gründen notwendig geworden.

Zum ersten Grund! Eigenart der vorübergehenden Finanzierungsfazilität – die wir brauchen, bis wir einen dauerhaften Stabilisierungsmechanismus zur Verfügung haben; hoffentlich ab dem Jahre 2013 – ist: Sie besorgt sich die Kredite, die sie an Länder gibt, die unter einem Programm stehen und Finanzierungshilfen brauchen, bis sie sich aus eigener Kraft an den  Märkten wieder finanzieren können, auf den Anleihemärkten. Sie sollen, wie alle europäischen Institutionen, mit dem höchstmöglichen Rating AAA aufgenommen werden können. Dazu braucht die Finanzierungsfazilität die Garantien der Mitgliedsländer der Euro-Zone. Berücksichtigt werden nur Länder, die im Ergebnis über AAA verfügen; das sind von den 17 Ländern der Euro-Zone derzeit nur sechs.

Daraus hat sich ergeben: Um die im Mai vergangenen Jahres beschlossene Obergrenze – 440 Milliarden Euro stehen als Finanzierungsmittel zur Verfügung – tatsächlich herstellen zu können, ist eine Ausweitung des Garantierahmens notwendig. Genau genommen geht es also nicht um eine Aufstockung der Mittel für den  EFSF, sondern darum, die ursprünglich ins Auge gefassten 440 Milliarden Euro tatsächlich zur Verfügung zu haben.

Ich will die Gelegenheit nutzen, auch vor dem Bundesrat mitzuteilen, dass von den 440 Milliarden Euro bisher durch Programme für Irland und  Portugal – diese beiden Länder stehen unter einem Programm – 26 Milliarden und  17,7 Milliarden Euro belegt sind. Das heißt: Die Gesamtsumme von 440 Milliarden Euro ist durch die beiden Länder, die derzeit unter einem Programm stehen, in einer Größenordnung von 10 % belegt. Angesichts mancher öffentlicher Debatte ist es von gewisser Bedeutung, dies ins Gedächtnis zurückzurufen.

Dies ist der eine Punkt, den wir mit der Änderung des Rahmenvertrags geregelt haben, den wir in unserer nationalen Gesetzgebung umsetzen müssen.

Der andere Punkt ist, dass wir die Instrumente der Finanzierungsfazilität erweitern.

Nach bisherigem Vertrag hatte die  Finanzierungsfazilität ausschließlich die Aufgabe und  die Möglichkeit, bedürftigen Ländern auf der Grundlage eines mit dem Internationalen  Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Kommission der Europäischen Union vereinbarten Anpassungsprogramms Finanzierungshilfen zu gewähren. Wegen der Ansteckungsgefahren in den Finanzmärkten soll sie in der  Zukunft unter vereinfachten Voraussetzungen auch in der Lage sein, mit im Wesentlichen drei Instrumenten vorsorglich zu operieren.

Voraussetzung für alle drei Instrumente ist eine Vereinbarung mit der Finanzierungsfazilität unter Einschaltung der drei genannten Institutionen – Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank, EU-Kommission – über einen Anpassungskurs des Landes; ein „memorandum of understanding“ ist in jedem Fall Voraussetzung.

Zur Vermeidung von Ansteckungsgefahren und zur Sicherung der Stabilität der Euro-Zone als Ganzes soll es dann möglich sein, am Sekundärmarkt unter engen Voraussetzungen zu intervenieren, wenn die Europäische Zentralbank es für notwendig erklärt, Mitgliedstaaten bei der Rekapitalisierung ihrer Banken zu helfen, falls sie Hilfe benötigen. Es besteht aber nicht die Möglichkeit, dass die EFSF unmittelbar Banken mit Kapital ausstattet; sie kann allenfalls Mitgliedstaaten, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können, Mittel zur Verfügung stellen.

Die EFSF soll darüber hinaus die Möglichkeit erhalten – analog, parallel zu dem  Instrumentarium, das der Internationale Währungsfonds als Vorsorgemaßnahme hat  –, Mitgliedstaaten, die insgesamt in einer guten, nachhaltigen wirtschaftlichen Verfassung sind, vorsorglich einen Überziehungskredit einzuräumen; „precautional flexible credit line“. Im Sinne dieser Änderungen des Rahmenvertrags passen wir  unser nationales Stabilisierungsmechanismusgesetz an.

Dies ist Inhalt des Gesetzes, das der Bundestag gestern beschlossen hat.

Meine Damen und  Herren, ich darf eine Bemerkung hinzufügen: Die Lage an den  internationalen Finanzmärkten ist nach wie vor besorgniserregend. Das kann man jeden Tag  sehen, wenn man die Entwicklung der Kurse für Anleihen und für Kreditversicherungsverträge verfolgt, die von Nervosität in den Wertpapiermärkten geprägt   sind. Die Stimmung auch auf der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem  Währungsfonds in Washington D.C. in der vergangenen Woche war davon getragen, dass es auf Grund der nervösen Lage auf den Finanzmärkten sehr rasch zu einer deutlichen Belastung sowohl der Entwicklung der Weltwirtschaft als auch der konjunkturellen Entwicklung in Europa – auch in der Bundesrepublik Deutschland – kommen könnte. Wir sehen in der Tat eine gewisse Abkühlung der wirtschaftlichen Entwicklung in diesen Monaten. Das gilt auch für die Prognosen aller nationalen und internationalen Institute.

Die eigentliche Sorge ist, dass die Lage an den Finanzmärkten, gerade die nach wie vor  besorgniserregend hohe Verschuldungzahlreicher Staaten nicht nur innerhalb, sondern  auch   außerhalb der Euro-Zone dazu  führt, dass es zu einer Krise im Finanz-  und Bankensektor kommt, wo die Ansteckungsgefahren besonders groß sind. Deswegen ist es dringlich, die  zusätzlichen Instrumente bald  zur Verfügung zu haben.

Die Länder auf anderen Kontinenten – Schwellenländer wie Entwicklungsländer –  erwarten von den entwickelten Ländern, den Industrieländern – also den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihre spezifischen Probleme haben, der Europäischen Union, in Sonderheit von der Euro-Zone –, dass diese sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Wir  müssen die richtigen Lehren aus den Erfahrungen des Jahres 2008 ziehen und rechtzeitig zielgerichtet darauf vorbereitet sein, eine Eskalation zu verhindern.

Ich darf daran erinnern, dass wir durch rasches koordiniertes Handeln eine dramatische  Zuspitzung der Krise des Jahres 2008 vermeiden konnten. Aber auch die Bundesrepublik  Deutschland hatte im Jahr 2009 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts nach der bereinigten gesamtwirtschaftlichen Rechnung von 5,1 % zu verzeichnen.

Das ist keine Kleinigkeit, und die Besorgnis unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist riesengroß. Das Verständnis dieser komplizierten Abhängigkeiten ist außerordentlich  schwierig zu vermitteln. Man muss die  Sorgen der Bevölkerung empfinden und darf sich Entscheidungen nicht leicht machen. Aber unsere Verantwortung gebietet es, im eigenen Interesse das Menschenmögliche zu tun.

Wir sind das größte und wirtschaftlich erfolgreichste Land in der europäischen  Währungsunion. Wir haben die stärkste Position auf  den Weltmärkten und  sind  entscheidend auf die Stabilität, die Nachhaltigkeit unserer  gemeinsamen Währung angewiesen. Wir haben unendlich viele Vorteile aus der wirtschaftlichen Integration und der gemeinsamen Währung. Wir würden uns unendlich schaden, wir würden unserer Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht, wenn wir nicht das Menschenmögliche un- ternähmen, um die gemeinsame europäische Währung stabil zu halten. Das erfordert diese Anstrengung.

Eine letzte Bemerkung! Ich bin sehr froh darüber, dass die Kommission der Europäischen  Union im Europäischen Parlament vorgestern angekündigt hat, endlich – so sage ich – eine Initiative zur Einführung einer  Finanztransaktionssteuer vorzuschlagen. Darauf drängt die Bundesregierung seit zwei Jahren nachhaltig. Nach den europäischen Verträgen hat die

Kommission das Initiativmonopol; nur sie kann eine Initiative starten. Wir werden alles in unserer Kraft Stehende tun, um ihr so bald wie möglich zum Erfolg zu verhelfen. Wir in Deutschland haben mit dem Restrukturierungsgesetz im vergangenen Jahr und mit dem Verbot ungedeckter Leerverkäufe den Spielraum für nationale Gesetzgebung zur Regulierung zu innovativer Produkte auf den Finanzmärkten ausgeschöpft. Wir sind jetzt darauf  angewiesen, durch europäische Regelungen und durch Absprachen im globalen Rahmen – insbesondere IWF und G 20 – weitere Fortschritte zu erzielen.

Die Aufgabe, die Finanzmärkte strengeren Regeln zu unterwerfen, um Übertreibungen durch hochnervöse Finanzmärkte zu begrenzen und sicherzustellen, dass daraus nicht Schaden für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung entsteht, ist von zentraler Bedeutung.

Im Übrigen wird es eine Grundsatzfrage der demokratischen Legitimation unserer freiheitlichen verfassungsrechtlich gebundenen Ordnungen sein, dass wir in der Lage sind, die Herrschaft nicht den Finanzmärkten zu überlassen, sondern es durchzusetzen, dass demokratisch legitimierte Politik die entscheidenden Regeln setzt und umsetzt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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