„Ratingagenturen sollten objektive Schiedsrichter sein“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandradio

Tobias Armbrüster: Die Entscheidung am Freitag war ein erneuter Paukenschlag in der Eurokrise. Standard & Poor’s, eine der drei großen internationalen Ratingagenturen, stuft Frankreich und achtweitere Länder der Eurozone [Glossar] ab. Nur noch vier Länder, darunter Deutschland, behalten die höchste Bonitätsstufe, das dreifache A. Die Kritik an dieser Entscheidung ließ nicht lange auf sich warten. Von Union bis Linkspartei hieß es übers Wochenende, Standard & Poor’s mische sich in die Politik ein.

Die Agentur habe außerdem die Fortschritte innerhalb der Eurozone völlig missachtet. – Wir können darüber jetzt mit dem Bundesfinanzminister sprechen. Schönen guten Morgen, Wolfgang Schäuble.

Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

Armbrüster: Herr Schäuble, spielen sich die Ratingagenturen hier wieder mal als Politiker auf ?

Schäuble: Na ja, sie üben natürlich politischen Einfluss aus. Ob sie aus politischen Gründen handeln, ist eine ganz andere Frage. Ich habe manchmal mehr den Verdacht, dass die Ratingagenturen, die ja auch in einem Wettbewerb untereinander stehen, natürlich auch um öffentliche Aufmerksamkeit ringen. Das heißt, es ist auch ein Stück weit wahrscheinlich diese Länderbewertung dazu angetan, um ihnen ein hohes Maß an Werbung für die Ratingagenturen zu schaffen. Deswegen halte ich nichts davon, jetzt zu sehr die Aufregung zu machen, es hat ja auch keinen Sinn, bei schlechten Nachrichten den Boten zu erschlagen, sondern wir wissen, dass es eine Verunsicherung bezüglich der Eurozone gibt, wir arbeiten daran, ich glaube auch nicht, dass Standard & Poor’s wirklich begriffen hat, was wir in Europa schon auf den Weg gebracht haben, und im Übrigen machen wirunsere Arbeit weiter und haben ja auch verabredet, dass wir den Einfluss der Ratingagenturenzurückführen wollen.

Armbrüster: Was genau hat Standard & Poor’s denn nicht begriffen?

Schäuble: … , dass wir dabei sind, eine Fiskalunion in Europa zu schaffen, und dass wir dabei sind, Strukturen zu schaffen, dass wir in Zukunft sicherstellen, dass alle Länder sich an die Regeln dergemeinsamen verabredeten Finanzpolitik [Glossar] halten. Darüber hinaus hat Standard & Poor’s vielleicht auch nicht ausreichend bewertet, was alle Länder in Europa, die betroffen sind von den Schwierigkeiten, an Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Defizite in Kraft gesetzt haben.

Man muss nuran Italien denken, oder auch Frankreich selber hat ja bedeutende Maßnahmen zur Reduzierungseiner Staatsverschuldung und seiner Neuverschuldung in Kraft gesetzt. Darüber hinaus argumentiert Standard & Poor’s ja im Wesentlichen auch damit, dass sie sagen, die wirtschaftliche Entwicklung verschlechtere sich allgemein. Dann kann natürlich Standard & Poor’s auch sagen, dass wir generell alle in der Welt ein Stück weit zurückfahren, weil die globale Wirtschaft im Augenblick ein bisschen Sorge macht.

Das macht ja aber für die Anlage entscheidung, welche Anlagen sind sicher und vertrauenswürdig für die Investoren, keinen rechten Sinn. Im Übrigen muss man darauf hinweisen: Europa ist die stärkste Wirtschaftsregion der Welt, wenn man Europa zusammen rechnet. Also wir sollten uns auch nicht zu sehr verrückt machen lassen.

Armbrüster: Herr Schäuble, wenn nun diese Agentur solche wichtigen Zusammenhänge nichtbegreift, wird es dann nicht Zeit, dass die Politiker die Macht dieser Ratingagenturen brechen?

Schäuble: Ich habe nicht gesagt, dass sie das nicht begreifen; sie bewerten es nur anders. Im Übrigen haben wir ja gerade ein paar Tage zuvor von einer anderen der drei großen Agenturen die Erklärung gehört, dass für dieses Jahr keinerlei Gefahr für die Höchstbewertung Frankreichs besteht. Also da gibt es auch unterschiedliche Beurteilungen. Wir bemühen uns in der Tat, den Einfluss der Ratingagenturen zurückzufahren. Wir haben ja als Gesetzgeber zum Teil selbst die Rolle der Ratingagenturen verstärkt, indem wir für bestimmte Anlagen vorschreiben, dass sie ein bestimmtes Rating haben müssen.

Wir müssen in der Banken- und Versicherungsaufsicht darüber nachdenken, wie wir die Rolle der Ratingagenturen auf das beschränken können, was sie tatsächlich sind. Darüber hinaus arbeiten wir in Europa an Regeln, die den Ratingagenturen bestimmteTransparenzverpflichtungen auferlegen, auch sicherstellen, dass die Ratingagenturen nicht noch eigene Geschäftsinteressen haben, denn einige der modernen Finanzprodukte, die die Ursache der Krise 2008 gewesen sind und auch danach, sind ja auch von Ratingagenturen mit entwickelt worden und dann von denen mit der Höchstnote bewertet worden, und dann muss man auch darauf achten, dass natürlich die Ratingagenturen wirklich objektive Schiedsrichter und nicht gleichzeitig Interessenbeteiligte sind.

Armbrüster: Ja, Herr Schäuble. Wir hören diese Vorschläge und auch diese Wünsche von Politikern jetzt schon seit Jahren, geschehen ist allerdings nichts. Können Sie uns sagen, …

Schäuble: Doch! Es gibt Rechtssetzungsvorschläge der Europäischen Kommission, die hat dafür das Monopol [Glossar] in Europa, und die werden intensiv in den zuständigen Gremien des Europäischen Ratsberaten. Nur das geht eben mit solchen Rechtssetzungen niemals über Nacht.

Armbrüster: Was können Sie uns denn sagen, bis wann könnte so etwas unterwegs sein?

Schäuble: Ich glaube, dass solche Entscheidungen, wie wir sie am Freitag erlebt haben, den Prozessbeschleunigen werden, wenn alle sehen, es besteht dringender Handlungsbedarf.

Armbrüster: Das heißt, möglicherweise hat sich Standard & Poor’s hier selbst ein bisschen ins Abseits manövriert?

Schäuble: Das will ich nicht sagen, dass sie im Abseits sind, aber wenn sie dazu beitragen, dass ihre Rolle nicht mehr so überbewertet wird, dann ist das auch gut. Im Übrigen haben wir ja gesehen, die Ratingagenturen haben ja bis zu der großen Finanzkrise alle diese Produkte mit Triple-A bewertet und hinterher waren es Schrottpapiere. Wir haben auch gesehen, dass die Ratingagenturen lange keine Unterschiede gemacht haben in der Bewertung auch europäischer Länder, je nach ganz unterschiedlicher Situation.

Also wir müssen auch da sehen, die kochen auch nur mit Wasser und im Übrigen, sie sind in einem Wettbewerb untereinander. Wir geben natürlich einer negativen Bewertung eine hohe Publizität. Im Übrigen: Vor Kurzem hat ja auch eine Agentur die Vereinigten Staaten von Amerika ein Stück weit mit einem negativen Ausblick bewertet. Wir haben eine schlechtere weltwirtschaftliche Entwicklung und daraus kann man natürlich ableiten, dass alles einbisschen schwieriger wird.

Armbrüster: Herr Schäuble, manche Ökonomen sagen jetzt und man liest das auch so ein bisschenin dem Bericht und in dem Urteil von Standard & Poor’s, wir in Europa, wir setzen zu sehr auf Geldwertstabilität, was wir eigentlich bräuchten, wäre eine Zentralbank, die zur Not einfach die Notenpresse anwirft, ähnlich wie die USA oder Großbritannien.

Schäuble: Ja, aber nun schauen Sie sich mal die Staatsverschuldung in den USA, auch in Großbritannien an – erstens. Und zweitens: …

Armbrüster: Aber Großbritannien hält sein Triple-A!

Schäuble: Ja, aber sie haben halt die höhere Staatsverschuldung. Und im Übrigen: Bisher waren sich eigentlich fast alle Ökonomen einig, dass die Ursachen sowohl der großen Finanzbanken- und Wirtschaftskrise 2008 als auch der Verunsicherung im Euroraum die zu hohe Verschuldung einer Reihe von Staaten ist. Wenn das richtig ist – und das sagen ja wirklich alle Ökonomen -, dann machtes eben nicht Sinn, die Verschuldung weiter zu erhöhen, sondern dann ist der europäische Weg der richtige, zu sagen, wir lösen schrittweise die Probleme, schaffen bessere Strukturen in Europa undkaufen für die Länder, die die Probleme haben, die notwendige Zeit in Solidarität, damit das auch wirtschaftlich und finanzpolitisch tragbar ist.

Das ist die Funktion der Rettungsschirme. Es gibt ja Solidarität, aber die Solidarität in Europa darf nicht dazu führen, dass die Lösung der Probleme auf die lange Bank geschoben wird.

Armbrüster: Herr Schäuble, die Frage, die man sich an diesem Montagmorgen häufig stellt, ist mit Blick auf den Eurorettungsschirm EFSF: Reicht mit dieser Neubewertung von neun Euroländern der deutsche Garantierahmen in Höhe von 211 Milliarden Euro [Glossar] aus, oder müssen die Deutschen noch einmal nachschießen?

Schäuble: Nein, der reicht aus. Schauen Sie, es ist ja so: Die Staats- und Regierungschefs haben schon im vergangenen Jahr beschlossen, dass wir möglichst rasch den EFSF durch eine dauerhafte Finanzinstitution, den europäischen Stabilisierungsmechanismus, ersetzen, ablösen schon in diesem Jahr, und der soll ja auch eingezahltes Kapital haben. Man stützt sich da nicht mehr ausschließlich wie der EFSF auf die Garantien der Mitgliedsstaaten.

Im Übrigen hat der EFSF schon bei den letzten Auktionen etwas höhere Zinsen bezahlen müssen. Das hängt ja nicht unmittelbar nur vom Rating ab.

Und für das, was der EFSF in den nächsten Monaten an Aufgaben hat, reicht die Garantiesumme, die wir haben, bei Weitem aus.

Armbrüster: Dann würde ich noch gerne eine Frage zu Griechenland stellen. Da ist ja an diesem Montagmorgen wieder die sogenannte Troika unterwegs. Was passiert, wenn die enttäuscht werden, wenn sich die Sparanstrengungen in Griechenland nicht als das herausstellen, was sie sein sollten?

Schäuble: Nun gut! Ich meine, wir wissen, dass Griechenland in einer ganz schwierigen Lage ist. Griechenland braucht einen längeren Zeitraum, mindestens bis 2020. So ist das ja auch beim Gipfeltreffen in Europa entschieden worden. Bis dahin muss Griechenland eine Schuldentragfähigkeit erreichen. Das hat man damals definiert, dass die Staatsverschuldung nicht mehr höher als 120 Prozent des griechischen Volkseinkommens sein darf.

Aber das braucht bis 2020, bis das erreicht ist. Dazu muss vor allen Dingen die griechische Wirtschaft wieder wachsen, die geht ja im Augenblick eher zurück. Deswegen geht es nicht nur um finanzpolitische Maßnahmen, sondern auch um Strukturreformen in Griechenland, auch um europäische Investitionsprogramme, um die griechische Wirtschaft wieder zum Wachsen zu bringen.

Und jetzt muss man eben mit den Banken, mit den Gläubigern die Verhandlungen führen. Grundsätzlich besteht Einigung, eine Reduzierung der Verschuldung um 50 Prozent, aber es geht um die Konditionen, weil ja die bisherigen Anleihen umgetauscht werden sollen in solche mit längeren Laufzeiten, und da wird verhandelt, zu welchen Zinsen die neuen Anleihen dann sein sollen.

Das ist klar, dass die Gläubiger höhere Zinsen gerne hätten. Da das aber die anderen europäischen Staaten auch noch ein Stück weit garantieren soll, müssen sie schon darauf achten, müssen wir schon darauf Wert legen, dass das Ziel, nämlich eine Schuldentragfähigkeit Griechenlands ab dem Jahre 2020, nicht durch zu hohe Zinsen bei den umzutauschenden Anleihen gefährdet werden, und darüber sind die Verhandlungen. Man muss auch sehen: wer sich da öffentlich äußert von den Gläubigern, der betreibt natürlich Interessenpolitik.

Armbrüster: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble war das hier bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Schäuble.

Schäuble: Bitte sehr, Herr Armbrüster. Auf Wiederhören.

Armbrüster: Auf Wiederhören!

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