>>NachToronto geht’s los!<<



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Wirtschaftswoche

 

Herr Minister Schäuble, wird es die schwarz-gelbe Koalition am 1. Juli noch geben?

Ja sicher.

Sie zerbricht nicht an der Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni?

Nein. CDU, CSU und FDP haben mit Christian Wulff einen sehr guten Kandidaten. Niemand bestreitet, dass Joachim Gauck eine respektable Person ist. Aber die große Unterstützung für Gauck aus dem Lager von SPD und Grünen hängt doch weniger mit der Deckungsgleichheit in den politischen Grundüberzeugungen zusammen, sondern es handelt sich um ein Machtspiel. Das ist legitim. Aber es ist auch legitim, dass CDU, CSU und FDP sagen: Wir haben einen wirklich guten Kandidaten und den wählen wir. Also, ich bin da völlig entspannt Diese Koalition ist robust und reift mit dem Sparpaket.

Das sagen ausgerechnet Sie? Sie haben doch die FDP mit ständigen Verweisen auf die knappen Kassen um ihr Steuersenkungsversprechen gebracht und so zu ihrem Absturz beigetragen.

Manchmal tut die Wahrheit weh. Aber ich bin nicht schuld an der Wahrheit. Im Übrigen halte ich mich für einen fairen Partner in der Koalition. Das sagt auch Herr Westerwelle.

Welches Projekt kann diese bürgerliche Koalition überhaupt noch befeuern?

Na hören Sie mal! Solide Staatsfinanzen, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, eine vernünftige, sozial ausgewogene Politik in einer schwierigen Zeit – das ist eine große Aufgabe für eine bürgerliche Koalition. Die allergrößte Sorge unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist doch, ob die exorbitanten öffentlichen Defizite beherrschbar bleiben. Unsere wichtigste Aufgabe ist, die Staatsfinanzen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder auf eine solide Basis zu stellen. Damit gewinnen wir das Vertrauen in die Stabilität unseres Staates zurück, was wiederum die Konsum- und Investitionsbereitschaft erhöht und letztlich zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum führen wird.

Die Bundesbürger haben aber offenbar das Vertrauen in diese Bundesregierung verloren. Nur 37 Prozent würden heute wohl noch Union und FDP wählen. Haben Sie Ihre Chance nicht schon verspielt?

Wir durchleben eine schwere Zeit wirtschaftlicher Erschütterungen. Da ist es nicht einfach, bei wechselnden Winden den richtigen Kurs zu halten und die Menschen mitzunehmen.

Welchen Kurs? Washington will die Konjunktur weiter mit öffentlichem Geld anheizen, während Sie in Berlin ein Sparpaket schnüren. Was ist nun richtig?

Die USA dürfen ja glauben, dass sie ihre exorbitanten Haushaltsdefizite durch starkes Wachstum lösen können. Ich glaube es nicht, aber ich will ihnen da keine Ratschläge geben. In keinem Fall würden wir das in Deutschland schaffen, weil wir unter anderem wegen unserer demografischen Entwicklung kaum über durchschnittlich 1,5 Prozent nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren hinauskommen werden. Meine Aufgabe ist es, die Hauptursachen der Krise zu bekämpfen. Das sind zum einen die öffentlichen Defizite, da dürfen wir nicht drum herumreden, auch wenn die Amerikaner das gelegentlich ein bisschen verdrängen. Und zum anderen ein Mangel an Regulierung der Finanzmärkte. Das packen wir weiter energisch an.

Als konservativer Politiker werden Sie plötzlich mit Forderungen von Konservativen konfrontiert, die Steuern erhöhen wollen. Spitzensteuersatz rauf. Luxussteuer einführen. Was passiert da?

Ich kann solche Forderungen gut nachvollziehen. Aber ich halte davon gar nichts. Es weiß doch jedes Kind, dass wir in der Koalition drei Partner sind, die
unterschiedliche Ausgangspositionen haben. Die FDP, die erst Steuersenkungen gefordert hat, ist einen weiten Weg gegangen. Wir haben nun ein Sparpaket geschnürt. Sparen heißt, nicht Einnahmen erhöhen, sondern Ausgaben kürzen.

Aber ist das sozial?

Der ganze Bundeshaushalt ist nicht sozial ausgewogen. Bei 320 Milliarden Euro Gesamtausgaben entfallen allein rund 173 Milliarden auf Soziales. Das bedeutet per se eine Soziallastigkeit, an der wir auch beim Sparen nicht herumkommen. Über einzelne Maßnahmen kann man sicher streiten, aber insgesamt haben wir ein ausgewogenes, in sich schlüssiges Sanierungsprogramm.

In Berlin halten sich dennoch hartnäckig Gerüchte, das Bundesfinanzministerium bereite insgeheim für die Zeit nach der Bundespräsidentenwahl am 30. Juni Steuererhöhungen vor. Ist das nun Dichtung oder Wahrheit?

Es gibt nichts, was es nicht an Gerüchten gibt. Richtig ist: Das Bundesfinanzministerium ist nun einmal innerhalb der Bundesregierung die Institution, die rechnen kann. Wenn ein Bundestagsabgeordneter die Anfrage stellt, zu welchen Mehreinnahmen eine um fünf Prozentpunkte höhere Kapitalertragsteuer führen würde, dann kann ich doch nicht die Antwort verweigern. Dann rechnet ein Mitarbeiter halt durch, was das bedeutet. Aber das ist dann doch nicht die Meinung oder Absicht des Finanzministers.

Sie beziehen sich auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Otto Fricke im Vorfeld der Sparklausur. Vielleicht gab es ja doch Gedankenspiele, die Abgeltungssteuer zu erhöhen.

Wissen Sie, im Vorfeld der Klausurtagung zum Sparpaket haben wir in der Koalition wochenlang alle möglichen Vorschläge hin- und hergewälzt. Ich selbst hatte mir zur Vorbereitung einen schlauen Ordner angelegt. Und immer, wenn eine Frage zu fiskalischen Auswirkungen kam, konnte ich darin blättern und eine fundierte Antwort geben.

Auch zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz?

Es gab eine Phase, in der auch dessen Abschaffung diskutiert wurde – und was eine Anpassung an den normalen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent bedeutet hätte. Da kann ich doch nicht von vornherein sagen: Leute, so etwas dürft ihr nicht mal denken! Also habe ich das rechnen lassen. Eine vollständige Abschaffung des ermäßigten Satzes hätte 23 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen für Bund und Länder bedeutet. Davon würden aber 17 Milliarden Euro auf Grundnahrungsmittel entfallen. Der nächste Brocken wäre die Ermäßigung für Kulturgüter. Damit war das Interesse an einer Abschaffung des ermäßigten Satzes doch sehr gesunken.

Aber Sie hätten doch den umstrittenen ermäßigten Steuersatz für Übernachtungen – vulgo: Mövenpick-Privileg – wieder abschaffen können.

Das haben wir so entschieden, und dafür gibt es gute Gründe. Keine guten Gründe gibt es dafür, einmal Beschlossenes gleich wieder zurückzudrehen.

Ein paar Steuererhöhungen haben Sie nun doch vor, zum Beispiel eine Brennelementesteuer für die Betreiber von Kernkraftwerken. Warum?

Das machen wir sehr gezielt. Energie können wir auch im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit etwas stärker besteuern. Damit schaffen wir mehr Anreize für einen zurückhaltenden Verbrauch. Diese Debatte wird sich übrigens in den nächsten Monaten verschärfen, als Folge der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Verbinden Sie dies noch mit der Entwicklung im Iran – dann erkennen Sie selbst: Keiner kann sicher sein, dass es nicht zu einer Verknappung an den Energiemärkten kommt.

Dann würden die Energiepreise ohnehin steigen. Man brauchte also nicht noch eine Steuer oben draufsetzen.

Dann würden aber auch die Windfall Profits der Kernenergiebetreiber noch höher ausfallen, und eine Brennelementesteuer würde sie noch weniger belasten. Ohnehin sind die Gewinnspannen bei Atomstrom so hoch, dass eine Brennelementesteuer zulasten der Gewinnmarge geht und sich nicht auf den Strompreis bei den Verbrauchern auswirken dürfte. Das bestätigen mittlerweile selbst die Verbraucherzentralen und die AKW-Betreiber.

Aber es könnte zu einer Verschiebung weg von der Kernenergie und hin zur Braunkohle kommen, was ökologisch nicht unproblematisch wäre.

Das sehe ich ganz gelassen. Im Übrigen war diese Entscheidung sorgfältig erwogen worden und in der Koalition ganz unstreitig.

Ist dies eine Vorentscheidung für das Kernenergiekonzept, das die Bundesregierung im August vorstellen will?

Ja klar. Dass die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert wird, ist in der Koalition auch unstreitig. Es geht nur noch darum, um wie viele Jahre.

Kommt die Brennelementesteuer zusätzlich zur geplanten Kernenergieabgabe im Zuge der Laufzeitverlängerung?

Ich melde jedenfalls keinen zusätzlichen Haushaltssanierungsbedarf über das aktuelle Sparpaket hinaus an. Und als Finanzminister muss ich die Frage einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten nicht entscheiden. Ich habe mit der Sanierung des Haushalts und den Problemen an den internationalen Finanzmärkten schon genug zu tun.

Damit wären wir bei der Finanztransaktionssteuer. Da gab es nach dem EU-Gipfel am vorigen Donnerstag etwas Verwirrung. Kommt sie nun oder nicht?

Die EU-Regierungschefs haben beschlossen, sich auf G2O-Ebene nicht nur für eine Bankenabgabe, sondern auch für eine globale Finanzmarkttransaktionssteuer einzusetzen. Nach dem G2O-Gipfel in Toronto Ende dieser Woche sehen wir klarer, ob die globale Finanztransaktionssteuer kommt oder nicht kommt.

Und falls die G2O-Teilnehmer keine klare Entscheidung treffen?

Dann wollen wir uns auf europäischer Ebene wieder zusammensetzen. Die Verfolgung dieses Ziels ist schon eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. Es kann nicht sein, dass wir zehn Jahre über Finanzmarktregulierung diskutieren, kaum etwas geschieht, und in der Zwischenzeit ereilen uns zwei neue Krisen, für die wir mit öffentlichen Geldern gerade stehen müssen.

Beim EU-Gipfel zeigte sich allerdings, dass die Briten einer Finanztransaktionssteuer reserviert gegenüberstehen. Schaden Sie mit einem womöglich nur kontinentaleuropäischen Alleingang nicht den heimischen Finanzplätzen?

Nun lassen wir der neuen britischen Regierung doch erst einmal ein wenig Zeit. Premierminister David Cameron hat in wenigen Wochen mit seiner Koalition schon vieles auf den Weggebracht, einschließlich eines harten Sparprogramms.

Glauben Sie wirklich, dass die Konservativ-Liberalen eher als zuvor die linke Labour-Regierung den eigenen Finanzsektor regulieren werden?

Auch mein neuer Amtskollege George Osborne weiß, dass eine zu starke Konzentration auf Finanzdienstleistungen nicht im britischen Interesse eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums sein kann. Und mir ist bei der Finanzmarkttransaktionssteuer ein EU-weites Vorgehen mit Großbritannien natürlich lieber als eine Aktion nur der Euro-Zone. Aber wie auch immer: Nach Toronto geht’s los!

In den letzten Tagen häuften sich die Meldungen, dass in Südeuropa ein Einfrieren des Bankensektors droht. Was ist dran an solchen Gerüchten, die auf die Börsen drücken?

Es werden viele Gerüchte gestreut. Da gab es Meldungen über Zahlungsprobleme in Spanien, die aus Frankfurt kamen und europaweit großes Unbehagen ausgelöst haben. Tatsache ist aber: Spanien unternimmt große Sparanstrengungen. Und wir haben ein Garantieprogramm über 750 Milliarden Euro zur Stützung der gemeinsamen Währung.

Die Banken trauen sich ja wie schon zur Zeit der Lehman-Pleite nicht mehr über den Weg und leihen sich gegenseitig kaum noch Geld. Nun soll auch noch der neue, bislang unveröffentlichte Stresstest über die Krisenfestigkeit der Banken publik gemacht werden…

…was ich sehr begrüße. Wir brauchen maximale Transparenz als stabilisierenden Faktor an den Finanzmärkten.

Mit dem Risiko, dass einige schwachbrüstige Finanzinstitute dann in die Insolvenz rutschen?

Diese schmerzhafte Erfahrung haben wir in Deutschland vor zwei Jahren gemacht. Dafür haben wir in Deutschland auch den Bankenrettungsschirm aufgespannt. Seither haben wir aber auch wieder Sicherheit am deutschen Finanzmarkt. Die Märkte brauchen Vertrauen, und das erreichen wir nur, indem wir die Karten offen auf den Tisch legen.

Wollen Sie damit die nächste Rettungsaktion für Banken provozieren?

Dafür haben wir doch die Garantien von bis zu 750 Milliarden Euro gegeben. Allein im Griechenland-Paket haben wir zehn Milliarden Euro zur Stützung von griechischen Banken vorgesehen. Wir haben also die Instrumente, eine Kernschmelze an den Finanzmärkten zu verhindern. Nun müssen wir endlich die Unsicherheit aus den Märkten nehmen, damit sich die Wirtschaft wieder ungestört entwickeln kann.

Auch um den Preis, dass die Bürgschaften gezogen werden und es Ihren Bundeshaushalt zerschießt?

Ich gehe nicht davon aus, dass wir am Ende dafür zahlen müssen.

Sie schließen aus, dass wir in Deutschland wegen Griechenland oder Spanien bald noch eine Sparrunde einlegen müssen?

Wir tun alles dafür, dass diese Situation nicht eintritt.

christian.ramthun@wiwo.de I Berlin, roland tichy

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