„Mit Abschreckung hat das nichts tun“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Stuttgarter Zeitung zum Einbürgerungstest

„Da wird niemand überfordert“, versichert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Im Gespräch mit Armin Käfer erläutert er den Sinn des Einbürgerungstests, wirbt für den Einwanderungspakt der EU und für „zirkuläre Migration“.

Herr Schäuble, der Einbürgerungstest ist nun im Internet zu besichtigen – ein Konvolut von Fragen. Dient das nicht eher der Abschreckung?

Nein, überhaupt nicht. Die Sache hat ja eine lange Vorgeschichte. Die für die Einbürgerung zuständigen Länder haben den Bundesinnenminister gebeten, ein einheitliches Verfahren zu entwickeln. Wir haben mit dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen eine renommierte wissenschaftliche Einrichtung damit beauftragt, Testfragen zu erstellen. Nun haben wir mehr als 300 Fragen. Jedem Kandidaten werden daraus 30 vorgelegt, davon muss er 17 richtig beantworten. Der Test wurde mehr als 5000-mal getestet, unter anderem mit Hauptschülern mit Migrationshintergrund. Und die Erfolgsquote war ausgesprochen hoch. Mit Abschreckung hat das wirklich nichts zu tun.

Was soll überhaupt der Test?

Bund und Länder waren sich einig, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit ein Minimum an Kenntnissen über das Land voraussetzt, dessen Bürger man werden will.

Manche beklagen, die Fragen seien zu schwierig . . .

Wegen solcher Einwände haben wir den Test von einem unabhängigen Institut erarbeiten lassen, von Leuten mit pädagogischem Sachverstand. Das Niveau der Fragen ist in Ordnung. Da wird keiner überfordert.

Kann man deutsche Leitkultur lernen wie für den Führerschein?

Dieser Test ist mit Sicherheit nicht so anstrengend wie die Führerscheinprüfung. Wir sind großzügig in der Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft, aber die Einbürgerung ist nicht voraussetzungslos. Ein Hochschulstudium setzt sie jedoch nicht voraus. Im Übrigen ist die deutsche Leitkultur ein bisschen komplexer als das, was da abgefragt wird.

Sie fragen ja vor allem heimatkundliches Wissen ab. Für die Gesinnung interessiert sich der Staat nicht mehr?

Natürlich verlangen wir schon, dass man sich zu den Grundwerten der Verfassung bekennt, wenn man Deutscher werden will. Das verlangen wir übrigens von allen, die hier leben. Der Test dient nicht dem Zweck, Gesinnungen oder Überzeugungen abzufragen.

Wie verhindern Sie, dass die Falschen eingebürgert werden?

In einer offenen Gesellschaft gibt es dafür keine hundertprozentige Garantie. Wir vertrauen auf die Sicherheitsbehörden – und darauf, dass unsere freiheitliche Ordnung attraktiver ist als alle anderen Systeme.

Die Zahl der Einbürgerungen ist insgesamt rückläufig. Warum?

Der Trend ist nicht eindeutig. Wir zwingen niemanden, Deutscher zu werden. Wer einen gesicherten Aufenthaltstitel hat, kann hier auch ohne deutschen Pass mit allen Rechten und Pflichten leben – abgesehen von der politischen Teilhabe. Das kann jeder für sich entscheiden, wir respektieren das. Ich finde nicht in erster Linie maßgeblich, wie viele der Migranten deutsche Staatsbürger werden wollen. Es gab schon genügend Beispiele dafür, dass die deutsche Staatsangehörigkeit keine Garantie für gelungene Integration ist. Weder für die Integration noch für die innere Sicherheit ist die Staatsbürgerschaft entscheidend. Es gibt Einwanderer, die gut integriert sind und dennoch an ihrer durch Geburt erworbenen Staatsangehörigkeit festhalten.

Türkische Verbände machen sich für eine doppelte Staatsbürgerschaft stark. Ist es an der Zeit, neu darüber nachzudenken?

Goethe hat mit den zwei Seelen, die in Fausts Brust schlagen, jedenfalls etwas anderes gemeint. Die große Mehrheit der Deutschen möchte keine doppelte Staatsbürgerschaft. Das Gesetz sieht es auch nicht vor, zumindest nicht als Regelfall. Dabei sollten wir es belassen. Wer anderer Meinung ist, kann die Debatte gerne neu entfachen – die Mehrheitsverhältnisse sind heute nicht anders als damals, als wir darüber entschieden haben. Das Optionsrecht wird jetzt erstmals wirksam, weil die ersten, die davon betroffen sind, 18 Jahre alt werden und sich für eine Nationalität entscheiden müssen. Das sollten wir in Ruhe beobachten und Erfahrungen sammeln. Es gibt keinen politischen Handlungsbedarf.

Warum will die Regierung den deutschen Arbeitsmarkt noch länger abschotten und allenfalls hoch qualifizierte Fachkräfte einwandern lassen?

Wir haben uns für eine behutsame Öffnung des Arbeitsmarkts entschieden. Man darf nicht vergessen: wir haben immer noch drei Millionen Arbeitslose. Da wäre es nicht angemessen, alle Tore zu öffnen.

Warum sollte sich die Zuwanderung nicht stärker am deutschen Bedarf orientieren? Was halten Sie von einem Punktesystem, wie es andere Einwanderungsländer längst praktizieren?

Die jetzt vereinbarten Regelungen für Hochqualifizierte gehen ja in diese Richtung. Aber klar ist: wir müssen auch Menschen aufnehmen, die Schutz brauchen. Andererseits dürfen wir der eigenen Bevölkerung nicht den Eindruck vermitteln, wir seien völlig schutzlos in einer Welt mit 180 Millionen Migranten. Wir müssen die illegale Migration bekämpfen und die legale Migration steuern.

Damit haben Sie den neuen EU-Einwanderungspakt mit einem Satz zusammengefasst. Aber wer hilft Menschen wie den Hunderten von Bootsflüchtlingen, die gestern wieder auf Lampedusa und anderen Orten Europas angelandet sind?

Diese Menschen sind Opfer krimineller Menschenhändler, die ihnen das Paradies auf Erden versprechen, alles Geld abknöpfen und sie auf eine lebensgefährliche Reise bringen. Das wollen wir unterbinden. Am besten geht das, indem man sie möglichst schnell nach dort zurückbringt, wo sie herkommen, damit sich herumspricht, was die Schleuserbanden anrichten. Das funktioniert aber nur, wenn wir die Herkunftsländer als Partner gewinnen. Denen können wir anbieten, dass wir unsere Arbeitsmärkte behutsam öffnen für Leute, die wir brauchen können.

Sie nennen das „zirkuläre Migration“. Diese neuen Gastarbeiter sollen nach einigen Jahren wieder zurück in ihre Heimat. Ist es nicht blauäugig, darauf zu vertrauen, dass sie das auch tun?

Solche Vereinbarungen helfen allen: Die Herkunftsländer haben kein Interesse daran, dass ihre am besten qualifizierten Fachkräfte auf Dauer nach Europa abwandern. Sie sollen hier für eine bestimmte Zeit Geld verdienen, Erfahrungen sammeln, aber auch wieder zurückkehren. Ob das in jedem Fall funktioniert, ist eine ganz andere Frage. Gesetze funktionieren nie zu hundert Prozent. So ist das seit der Vertreibung aus dem Paradies.

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