Minister Schäuble in der Beratung des Etats 2008 für das Bundesinnenministerium



Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble in der abschließenden Beratung des Haushaltsplanes für den Bereich Inneres in der 130. Bundestagssitzung

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Kollege Wieland, da Sie meine Literaturempfehlungen so aufmerksam aufgreifen, gebe ich Ihnen gleich wieder eine.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach herrje!)

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat das wunderbare Buch Die Vermessung der Welt geschrieben. Dafür hat er den Welt-Literaturpreis bekommen. Bei der Preisverleihung hat er, wie es sich gehört, eine Dankesrede gehalten. In dieser hat er über das Verhältnis von Fakt und Fiktion gesprochen. Ihre Rede hat mich gerade sehr daran erinnert.

(Beifall bei der CDU / CSU)

Erlauben Sie mir ein kurzes Zitat aus seiner Rede. Daniel Kehlmann sagte:
Und dann druckt in einer renommierten Monatsschrift für Kultur jemand einen gediegenen Artikel über deutsches Bildungsgut ab und beschreibt ganz nebenher, wie Daniel Kehlmann in Wiesbaden einen Vortrag gehalten habe, angetan mit Anzug, Weste und wohlgebundener Fliege und brüsk alle berechtigten Fragen des Publikums nach dem Verhältnis von Fakten und
Fiktionen in seinem Werk von sich gewiesen habe. Was für ein unangenehmer Mensch, denkt man, und dann erst fällt einem auf, dass man es ja selbst ist, und erinnert sich: Ja, man war allerdings in Wiesbaden, aber man hielt einen Vortrag über eben dies Verhältnis von Fakt und Fiktion, zu dem man laut Bericht die Auskunft verweigert habe, man hatte Jeans an, man besitzt keine Weste und hat schon deshalb noch nie eine Fliege getragen, weil man sie gar
nicht zu binden wüsste; und es wird einem klar, dass jener Schreiber vielleicht gar nicht lügen wollte, ? sehen Sie, so milde bin ich zu Ihnen ? sondern statt den Dingen, wie sie nun mal sind in der Welt ?, das Zerrbild einer Reputation gesehen hat. Daran haben Sie mich eben erinnert.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Anknüpfend an das, was der Kollege Stadler zu Beginn ausgeführt hat, will ich sagen: Es ist wahr, die Sicherheit in unserem Lande ist gut. Mit diesem Haushalt wird haushalterisch dafür Vorgesorge geleistet, dass das auch im kommenden Jahr so sein wird. Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuss, insbesondere bei den Berichterstattern, für eine intensive Arbeit. Da das Ganze vielfältig, zum Teil auch unterschiedlich, debattiert worden ist, will ich die folgende
Bemerkung machen: Dass die Sicherheit in unserem Lande so gut ist, hat vor allen Dingen mit der bewährten Sicherheitsarchitektur unseres Grundgesetzes zu tun,

(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD])

wonach die Länder die vorrangige Zuständigkeit haben und der Bund eine ergänzende. Wir machen das miteinander.

Es ist merkwürdig: Auf der einen Seite wird kritisiert und gesagt, wir würden überhaupt nichts hinbekommen, und auf der anderen Seite wird gesagt, wir würden viel zu viel machen.Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer in der Mitte. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gerade im Zusammenwirken von Bund und Ländern eine Menge schwierigster Punkte, die jahrelang nicht lösbar erschienen, vorangebracht. Das spiegelt sich im Haushalt wider. Dass wir bei der Einführung des Digitalfunks für die Behörden bezüglich der öffentlichen Sicherheit endlich vorankommen, ist ein Erfolg im Zusammenwirken von Bund und Ländern. Das Ganze war zwar schwierig, aber es ist gelungen.

(Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass wir die Antiterrordatei haben, ist ein Erfolg. Dass wir das Gemeinsame
Antiterrorzentrum haben, ist ein Erfolg der gemeinsamen Arbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Wir werden auf diesem Weg weiter voranschreiten. Die meisten Menschen in unserem Land und in der Welt haben uns nicht zugetraut, mit den unglaublichen Herausforderungen, die sich uns im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft gestellt haben ? denken Sie an das Public
Viewing ?, fertig zu werden.

(Reinhard Grindel [CDU / CSU]: Sehr wahr!)

Wir haben das hervorragend gemacht. Dass das ein Sommermärchen geworden ist, hat nicht zuletzt damit zu tun. Ohne das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Rahmen der föderalen Struktur wäre das nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU / CSU und der SPD ? Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auch ohne Bundeswehr!)

? Wenn Sie den großen Beitrag, den die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in diesemVerbund geleistet haben, richtig würdigen, gehen Sie mit ihnen fair um.

(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Es geht um bewaffnete Einsätze!)

? Darum geht es doch gar nicht. Ich rede von dem Sicherheitsverbund.
Ich möchte gerne dafür werben, dass wir im Zusammenwirken von Ländern und Bund beim Bevölkerungs- und Katastrophenschutz genau diese guten Erfahrungen beherzigen. Der Bund ist nicht der Befehlsgeber der Länder. Das würde schiefgehen; das entspricht nicht der Architektur des Grundgesetzes. Der Bund hat eine ergänzende Funktion. Diese Aufgabe nehmen wir mit den Mitteln wahr, die wir für den Bevölkerungsschutz zur Verfügung stellen.
Wir haben mit den Ländern darüber gesprochen, dass der Bund im Rahmen des
Katastrophenschutzes neue Schwerpunkte wahrnehmen muss. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern. Ich bedanke mich sehr, dass Sie auch unter den schwierigen Voraussetzungen ? der Rechnungshofbericht wurde erwähnt ? in diesem Haushalt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben.

Nächste Woche tagt die Innenministerkonferenz. Wir werden in der gemeinsamen Verhandlung alles daransetzen, zu einem Zusammenwirken zu kommen, aber in dem Verständnis ? dafür werbe ich in diesem Hohen Haus ?, dass gemäß der richtigen Grundentscheidung unseres Grundgesetzes die prioritäre Zuständigkeit bei den Ländern ist und verbleibt und dass es so auch richtig ist. Von diesem Verständnis aus erreichen wir die großen Erfolge für die Sicherheit in unserem Lande.

Zweite Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang dann auch machen möchte: Natürlich müssen wir versuchen, mit den vorhandenen, immer begrenzten Mitteln ? natürlich sind sie begrenzt ? möglichst viel zu erreichen und durch entsprechende Anpassungen, die den Menschen Veränderungen zumuten, auf neue Aufgaben die richtigen Antworten zu finden.
Ich finde es großartig ? das sollte man mit positivem Unterton sagen ?, dass wir am Ende des Jahres 2007 in einem Deutschland mitten in Europa leben, in dem wir mit all unseren Nachbarn solch gute Verhältnisse haben, dass wir an den Grenzen unseres Landes keine stationären Grenzkontrollen mehr durchführen müssen. Das ist ein großartiger Erfolg.

(Beifall bei der CDU / CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin in einer Grenzregion ? sie liegt an der deutsch-französischen Grenze ? zu Hause. Wir waren lange Zeit benachteiligt. Das wissen die Jüngeren heute gar nicht mehr; Kollege Göbel, wir wissen, wovon wir reden. Ich weiß noch, dass Grenzregionen wegen ihrer Randlage generell benachteiligt waren.

(Bartholomäus Kalb [CDU / CSU]: Bayerischer Wald!)

Wenn Grenzen nicht mehr trennen, dann bekommen die Grenzregionen ganz neue Chancen. Das wird jetzt für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und auch Bayern der Fall sein.
Im Übrigen ist es so: Die Art von Kriminalität, die uns heute bedroht und die weitgehend grenzüberschreitend ist, wird durch die Grenzkontrollen, die wir heute haben ? Kollege Michael Luther hat es sehr richtig gesagt ?, überhaupt nicht behindert. Deswegen brauchen wir neue Formen polizeilicher Zusammenarbeit in Europa über die Grenzen hinweg. Dahaben wir große Fortschritte erzielt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen in der Nachbarschaft zu Polen und Tschechien können darauf vertrauen, dass die Erweiterung des Schengen-Raums nicht weniger Sicherheit, sondern mehr Freiheit und mehr Sicherheit zugleich bedeuten wird. Deswegen freuen wir uns darauf, dass wir diesen Schritt am Ende des Jahres in Europa gehen.

(Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Polizeien der neuen Schengen-Vertragsstaaten, insbesondere mit Polen und Tschechien. Dafür will ich mich hier bedanken. Wir werden ab dem 17. Dezember dieses Jahres, also schon vor dem Wegfall der Grenzkontrollen, die gemeinsamen Zentren der polnischen, tschechischen und deutschen
Polizei mit den jeweiligen Landespolizeien aus den vier Grenzländern in Betrieb nehmen, und zwar im 24-Stunden-Betrieb, sieben Tage in der Woche. Wir werden den Grenzraum gemeinsam intensiver bestreifen: polnische, tschechische, bayerische, sächsische, brandenburgische, mecklenburgische und Bundespolizei gemeinsam. Wir werden weniger Präsenz der Polizei an den Kontrollhäuschen, aber mehr Präsenz in der Region haben.
Deswegen ist es ein Mehr an Sicherheit.

Dazu ist es notwendig ? Frau Hagedorn hat es richtig gesagt ?, dass wir die Bundespolizei umorganisieren. Das ist keine reine Freude für die Bundespolizei und für die Mitarbeiter. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen es so, dass wir uns auf die neuen Aufgabenschwerpunkte konzentrieren. Wir machen es für das Personal so schonend wie möglich. Das Konzept wird in drei Jahren umgesetzt. Es ist, wie im Bundespolizeigesetz vorgesehen, mit allen Landesregierungen abgestimmt. Es macht die Ost-West-Verlagerung so
erträglich wie möglich. Es führt übrigens dazu, dass wir bei der gegebenen Stärke der Bundespolizei rund 1 000 Polizeibeamte mehr aus den Städten heraus in den Vollzug bringen. Das ist ein Effizienzgewinn. Es stärkt die Leistungsfähigkeit der Bundespolizei und dient der inneren Sicherheit unseres Landes.

(Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will trotz der gebotenen Kürze dieser Aussprache eine weitere Bemerkung machen. Es ist interessant: Vor einem Jahr war das große Thema, dass die Mittel für die Integrationskurse angeblich nicht ausreichen. Wir haben sie aufgestockt. Sie haben aber auch im vergangenen Jahr ausgereicht. Wir sind in dieser Regierung insgesamt auf einem guten Weg. Wir haben es am Beginn der Legislaturperiode gemeinsam zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht,
vorhandene Defizite in der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund abzuarbeiten und zu bekämpfen. Wir kommen auf diesem Weg voran und stellen für den Haushalt 2008 die entsprechenden Mittel zur Verfügung.

Es ist bereits gesagt worden ? darauf werden die Kollegin Freitag und andere noch zu sprechen kommen ?, dass wir im Haushalt die Mittel für die Sportförderung und für die Dopingbekämpfung erhöht haben; auch dafür bedanke ich mich. Ich füge hinzu: Wir haben die große Sorge, dass das ungeheuer Attraktive, das der Sport in all seinen Erscheinungsformen für unser Land, für die Bevölkerung und für die Gesellschaft bedeutet, durch Übermaß bzw. Übertreibung zerstört wird. Auch die Auswirkungen der überzogenen
Professionalisierung bis hin zum Missbrauch bei den Sportwetten, den es zu bekämpfen gilt ? vom Doping ganz zu schweigen ?, bereiten uns große Sorgen.
Wir müssen deshalb am richtigen Verständnis von Subsidiarität festhalten. Wir müssen die Eigenverantwortung der Sportorganisationen einfordern und stärken und vonseiten des Staates, der Politik und des Gesetzgebers, subsidiäre Unterstützung leisten. Wir dürfen aber nicht glauben, dass dann, wenn wir die Freiheit der Sportorganisationen durch staatliche Reglementierung ersetzen würden, irgendetwas besser würde. Dadurch würde die Situation
nur schlechter.

(Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Detlef Parr [FDP])

Meine letzte Bemerkung. Auch wenn Deutschland ein sicheres Land ist, haben sich die Bedrohungen unserer Sicherheit verändert. Die Welt verändert sich fort und fort, und die technologischen Entwicklungen schreiten immer weiter voran. Das ist in jeder fachlich einigermaßen ernsthaft geführten Diskussion Konsens.
Herr Kollege Stadler hat richtig beschrieben, was im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien in der vergangenen Legislaturperiode geschehen ist.

Nun, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, müssen wir regeln, wie die Sicherheitsbehörden auf technologische Entwicklungen reagieren.
Als das Auto noch nicht erfunden war, brauchte die Polizei keine Kraftfahrzeuge; das ist wahr. Als das Auto aber erfunden war, brauchte die Polizei Kraftfahrzeuge. Wenn Kommunikation nicht mehr nur über das Telefon erfolgt, sondern in anderer Weise, dann müssen die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit haben, unter Beachtung der gleichen engen Voraussetzungen ? eine klare rechtliche Grundlage, die Entscheidung einer unabhängigen Stelle bzw. eines Richters im Einzelfall und dergleichen mehr ? mit der technischen
Ausstattung derjenigen, die unsere Sicherheit bedrohen, Schritt zu halten. Der Staat ist ein Rechtsstaat nur so lange, wie er in der Lage ist, das Recht durchzusetzen. Die Gesetzlosigkeit sichert nicht Freiheit und Grundrechte.

(Beifall des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU / CSU])

Das ist kein Widerspruch, sondern ein notwendiger Schritt. Hier haben wir eine
Verantwortung. Wir haben gesagt: Dafür schaffen wir eine rechtliche Grundlage. ? Deswegen: Kritisieren Sie nicht zu schnell diejenigen, die versuchen, für das, was als Folge der technischen Entwicklung notwendig ist, eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Mein Verständnis vom Verfassungsstaat ist ? hier lasse ich mich von niemandem beirren ?, dass wir nur im Rahmen der Verfassung,
auf der Grundlage klarer rechtlicher Regelungen, begrenzt auf Ausnahmefälle, mit Transparenz und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorschriften, den Sicherheitsbehörden die rechtlichen Instrumente an die Hand geben dürfen, die sie brauchen, um nicht in Grauzonen handeln zu müssen.

(Beifall bei der CDU / CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bei allem Respekt: Ich halte nichts, aber auch gar nichts davon, dass uns Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts raten, wir sollten uns im Zweifel nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts halten. Das entspricht nicht meinem Verständnis. Ich möchte, dass wir im Rahmen von Verfassung und Gesetz, und zwar nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz, handeln. Hier müssen der Gesetzgeber und die politisch Verantwortlichen ihre Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nicht einfach nur hoffen, dass sich im Zweifel irgendjemand bei der Polizei oder bei der Bundeswehr nicht an Verfassung und Gesetz hält. Das ist nicht unser Verständnis. Wir dienen dem Rechtsstaat mehr, wenn wir offen, transparent und sachlich über die Frage diskutieren: Unter welchen Voraussetzungen muss wer in welcher Lage eine Entscheidung
treffen, um Schaden von unserem Land zu wenden? Darum geht es ? um nicht mehr und nicht weniger.

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