Freiheit verpflichtet – zur Verantwortung in einer sozialen Marktwirtschaft



Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble beim Deloitte Executive Dinner

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Deutschland ist ein ungemein lebenswertes Land. Wir alle leben in Freiheit und Sicherheit, die allermeisten auch in Wohlstand. Wir sind auf Augenhöhe mit den führenden Industriestaaten der Welt, in vielen Branchen sind deutsche Unternehmen Marktführer. Aber: Wir gehen gerade durch den schärfsten wirtschaftlichen Einbruch in der Geschichte unserer Republik. Im Unterschied zu früheren Rezessionen ist das die erste Krise, die unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung an sich zu gefährden droht. Das beschäftigt mich, nicht als Innenminister, aber als Politiker, der für die Zukunft unseres Landes und den Fortbestand unserer freiheitlichen Ordnung mit Verantwortung trägt.

Ich bin – wie wahrscheinlich auch Sie – immer noch dabei, das was in den letzten Monaten passiert ist, gedanklich zu sortieren. Eines ist mir aber schon deutlich geworden: Wenn wir da wieder rauskommen wollen, hilft es nicht, nach ein paar lautstarken Reden und ein paar Korrekturen zur Tagesordnung überzugehen und zu hoffen, dass künftig alle etwas vorsichtiger sind. Diese Hoffnung entbindet den Staat nicht aus der Verantwortung, als Hüter und Gestalter unserer Wirtschaftsordnung Schlussfolgerungen zu ziehen. Es entbindet übrigens auch nicht Eliten und Entscheidungsträger in der Wirtschaft von der Verantwortung, die mit ihrer herausgehobenen Position in unserer Ordnung einhergeht. Wir müssen den Dingen auf den Grund gehen und Antworten darauf finden, wie diese Krise systembedrohend werden konnte und was wir alle tun können, um unsere freiheitliche Ordnung vor künftigen Systemkrisen zu schützen.

Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass ich persönlich das schon alles so genau wüsste. Es wird Zeit brauchen, bis wir all die Kausalitäten verstanden haben, die zu dieser Kettenreaktion vom US-Immobiliensektor bis zum schwäbischen Maschinenbau führten. Aber ein paar kann man schon nennen: Die über viele Jahre hinweg laxe Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, das sozialpolitisch gewollte, aber letztlich unverantwortliche Anheizen des amerikanischen Immobilienmarktes, die verhängnisvolle Entscheidung der Securities and Exchange Commission zur Aufhebung der Verschuldungsgrenzen für Wertpapierhandelshäuser, die Refinanzierung und weltweite Verteilung des gigantischen Hypotheken- und Kreditausfallrisikos durch Verbriefung und so genannte Finanzinnovationen. In Deutschland kam sicher noch das Geschäftsgebaren der Landesbanken dazu, die sich wegen der von der EU-Kommission betriebenen Einschränkung ihrer Geschäftstätigkeit noch einmal richtig mit Geld aufgetankt und groß spekuliert haben.

Politik, Notenbanken, Aufsichtsgremien, Banken- und Finanzdienstleister, Rating-Agenturen: es ist fast biblisch; keiner ist ohne Schuld. Auch die Anleger übrigens nicht, von denen sich ja viele die Chance auf eine Traumrendite nicht entgehen lassen wollten – von Investmentfonds über Kleinsparer und selbst evangelische Landeskirchen bis zu klammen Kommunen. Es nützt also nichts, immer auf die anderen zu zeigen. Das gilt auch für Politiker, von denen mancher sich heute nicht mehr daran erinnern will, welche Positionen er früher einmal vertreten hat – sei es was die Rolle der Landesbanken angeht oder das Eintreten für eine möglichst umfassende Deregulierung.

Ohne den weitgehenden Abbau von Schranken – insbesondere auch für Kapital – und ohne die weitgehende Liberalisierung des Finanzmarkts wäre die heutige Krise nicht denkbar. Im Interesse von Wachstum und Wohlstand wurden – so hat es der McKinsey-Berater Lowell Bryan 1996 in seinem Buch „Markets Unbound – Unleashing Global Capital“ beschrieben – die Märkte entfesselt. Das war im Grunde auch richtig. Ohne grenzüberschreitende Märkte hätten wir nie die Wohlstandsgewinne erzielen können, von denen uns heute durch die Krise wieder ein großes Stück weg bricht.

Woran man bei der Entfesslung der Märkte aber nicht so recht gedacht hat ist, dass damit natürlich auch die Menschen entfesselt wurden, die das Marktgeschehen treiben. Im Rückblick muss man sagen: viele haben keinen verantwortlichen Gebrauch von ihrer Freiheit gemacht. Im Finanzwesen – bei den Nachfragern genauso wie bei den Anbietern – war die Gier nach immer höheren Renditen jedenfalls stärker als das Gefühl für das rechte Maß. Bei vielen Menschen hat sie den Instinkt für zu hohe, unverantwortliche Risiken übermannt. Auch dass viele der Mechanismen, die hinter komplexen Wertpapieren liegen, unverständlich waren, hat selten zu Zurückhaltung geführt. Wer Zweifel geäußert hat, galt schon als ein wenig weltfremd. Ein Schulkamerad hat einmal zu mir gesagt: „Das verstehst Du nicht und ich verstehe es auch nur kaum“.

Der tiefere Grund für die Krise ist also die menschliche Gier und unsere Neigung zum Übermaß. Nun ist es aber nicht so, dass uns diese menschlichen Eigenschaften gänzlich unbekannt wären. Eben deshalb haben sich die Gründerväter unserer Republik 1949 – in den Trümmern eines auch moralisch total zerstörten Landes – für die soziale Marktwirtschaft ausgesprochen. Sie hat Vorkehrungen für einen verantwortlichen Umgang mit Freiheit innerhalb des Marktgeschehens etabliert und korrigierende Elementen außerhalb des Marktgeschehens. Indem sie durch Regeln und Gegengewichte Grenzen setzt, begegnet sie der menschlichen Neigung zur Übertreibung.

Und auch wenn nun mancher meint, der Kapitalismus sei am Ende, dann ist für mich durch die Krise noch deutlicher geworden, dass eine soziale Marktwirtschaft, dieser ständige Prozess, widerstreitende Interessen auszubalancieren, die beste Ordnung ist. Sie ist so wenig perfekt wie Demokratie. Sie kennen das berühmte Zitat von Winston Churchill. Aber weder ein schrankenloser Kapitalismus mit Nachtwächterstaat, noch ein Staatskapitalismus, der Freiheit auf ein Minimum beschränkt, sind in irgendeiner Hinsicht attraktiver.

Richtig ist aber schon, dass wir so wie jetzt nicht weiter machen können. Was wir bisher als Maximum an Freiheit für richtig hielten hat offenbar viele Menschen moralisch überfordert. Ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln hat nicht Schritt gehalten mit den Möglichkeiten und auch Versuchungen, die ein liberalisierter Finanzmarkt bietet. Ordnungen, die sich nicht danach richten, wie der Mensch ist, sondern wie er sein soll, funktionieren aber nicht. Das gilt für das eine Extrem – ein Übermaß an Regulierung, Planung und Beschränkung – genauso wie für das andere Extrem – ein freies Spiel der Kräfte ohne wirksame Kontrollen und Vorkehrungen. Oswald von Nell-Breuning, Nestor der katholischen Soziallehre, hat die Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft nicht ohne Grund auch damit begründet, dass sie dem Menschen mit allen seinen Stärken und Schwächen noch am ehesten gerecht wird.

Für die Soziale Marktwirtschaft gilt aber dasselbe wie für die freiheitliche Demokratie: sie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht zu schaffen vermag. Ob in Politik oder Wirtschaft: die Finanzkrise macht deutlich, dass der auf die Demokratie bezogene Böckenförde-Satz mutatis mutandis auch für die soziale Marktwirtschaft gilt. Übrigens könnte man es sogar umgekehrt sagen. Der Schweizer Philosoph Dieter Thomä hat vor kurzem auf ein Buch von Joseph Schumpeter aus dem Jahr 1942 hingewiesen. Darin schrieb Schumpeter – den Sie wahrscheinlich wie ich bisher vor allem mit seiner Theorie der kreativen Zerstörung verbinden – der Kapitalismus sei ähnlich wie die Demokratie kein sich selbst vollständig regulierendes und reproduzierendes System. Jede Marktwirtschaft ziehe ihre Energie aus „außerkapitalistischen Mustern des Verhaltens“, sei auf ein gelingendes soziales Leben angewiesen. Statt aber die ihn „schützenden Schichten und Institutionen“ zu schützen, sei der Kapitalismus dabei seine Voraussetzungen zu untergraben.

Schumpeter machte dafür 1942 die Rationalisierung und Durchökonomisierung des gesamten modernen Lebens verantwortlich. Sie führe zum Aufstieg des Konsumenten und den Abstieg der Familie. Heute würden wir vielleicht sagen: Das umlagefinanziert konsumierende Prekariat nimmt zu, die Mittelschicht gerät unter Druck, die wirtschaftliche Dynamik schwächt sich ab. Schumpeter hat letztlich prophezeit, wie ein Übermaß an Ökonomisierung und Gewinnstreben zur Schädigung der Grundvoraussetzungen von Wachstum und Wohlstand führt.

Für mich ist die Krise ein Weckruf, dass wir solche Warnungen ernst nehmen und Lehren ziehen müssen. Vielleicht nicht alle auf einmal. Wir dürfen auch nicht ins andere Extrem verfallen. Aber es ist unsere Verantwortung für diese Gesellschaft und den Erhalt unserer freiheitlichen politischen und ökonomischen Ordnung, Lehren zu ziehen.

Die wichtigste Lehre ist, dass wir Mechanismen, die aus einer „normalen“ Spekulationsblase eine Systembedrohung werden haben lassen, verändern müssen. Wir müssen verhindern, dass Marktakteure weiter Risiken eingehen, die nicht durch ökonomische Substanz aufgefangen werden können. Möglich ist das alles ja gewesen, weil ein Grundsatz missachtet worden ist, der ein ganz wesentliches Anreizsystem für maßvolles ökonomisches Handeln ist: die Haftung desjenigen, der Risiken eingeht. „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ hat Walter Eucken gemahnt. Das ist durch Praktiken ausgehebelt worden, in denen die wiederholte Verbriefung von Risiken zu einer immer schlechteren Nachvollziehbarkeit der ihnen entgegenstehenden Sicherheiten geführt haben. Daraus konnte eine Systembedrohung werden, weil die Eigenkapitalquote der Handelnden immer geringer wurde und mit kreditfinanzierten Transaktionen immer größere „Hebel“ in Bewegung gesetzt wurden. Die Geldgeber dafür, Anleger aus der ganzen Welt, haben nicht gewusst, in was sie da eigentlich investiert haben. Die Risiken sind schließlich so unüberschaubar geworden, dass jegliches Vertrauen der Banken untereinander zerstört wurde und damit zeitweilig der Interbankenmarkt zum erliegen kam.

Deshalb brauchen wir erstens Vorkehrungen, die den Zusammenhang von Nutzen und Schaden, von Risiko und Haftung wieder herstellen. Sinnvoll wäre zum Beispiel eine Beschränkung der Weitergabe von Risiken, was ja ohnehin eher dem Wesen des Versicherungsgeschäfts entspricht. Wir werden auch eine bessere Aufsicht über solche Geschäfte brauchen. Und wir müssen sicherstellen, dass keine Risiken eingegangen werden können, die nicht am Ende mit einer ausreichenden Kapitaldeckung unterlegt worden sind. Dazu werden wir uns auch einige Banken nach den Gesichtspunkten von Basel I und II noch einmal ansehen müssen. Vielleicht müssen wir auch das Gesellschaftsrecht und das Strafrecht verschärfen, um Geschäfte zu Lasten Dritter wirksamer abzuschrecken.

Zweitens sollten wir alle die Mechanismen überprüfen und nötigenfalls korrigieren, die solche Praktiken ermöglichen, indem sie den vom Emittenten erhobenen Anspruch stützen, ein bestimmtes Wertpapier habe eine höheren Wert oder ein geringeres Risiko als tatsächlich der Fall ist. Das sind als Erstes natürlich die Verfahren der Banken und Finanzdienstleister selbst. Ich glaube nicht, dass man pauschal unterstellen kann, sie hätten ihrer Informations- und Beratungspflicht nicht entsprochen. Es ist aber wahr, dass entlang der Wertschöpfungskette in der Finanzindustrie oftmals die entscheidenden Informationen über die tatsächlichen Risiken eines Papiers verloren gegangen sind – um es vorsichtig zu formulieren.

Deshalb ist die Industrie gefordert, durch Transparenz die Nachvollziehbarkeit von Berechnungen, Bewertungen und Transaktionen wiederherzustellen. Transparenz ist letztlich der einzige Schutz davor, dass sich Blasen so lange aufblähen, bis ihr Platzen zur Systembedrohung wird. Je weniger die Finanzindustrie selbst für Transparenz sorgt, desto weitgehender werden die Maßnahmen von Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden ausfallen müssen. Damit steigen dann aber auch die Transaktionskosten und Wachstumschancen bleiben ungenutzt. Wenn die wirtschaftlichen Entscheidungsträger gemäß dem Subsidiaritätsprinzip ihrer Verantwortung gerecht werden, dann ist das der beste Schutz gegen Unter- und Überregulierung.

Die Verantwortung weiter auf Dritte zu verlagern, kann die Probleme jedenfalls nicht lösen. Das Prinzip der Risikobegrenzung durch externe Expertenprüfung – insbesondere Ratingagenturen – hat nicht funktioniert. Deren Ratingnoten beruhten offenkundig nicht auf ausreichenden Informationen. Die immer weiter zunehmende Spezialisierung und die Informationsrevolution haben im Finanzsystem dazu geführt, dass Intuition und Urteilsfähigkeit vieler Tausender Bankmitarbeiter ersetzt wurden durch mathematische Risikomodelle und Risikobewertungen einer kleinen Zahl an Spezialisten. So hat sich in unsere eigentlich auf Dezentralität und Vielfalt zielende marktwirtschaftliche Ordnung eine Zentralisierung eingeschlichen, durch die nicht einmal eine Handvoll Rating-Agenturen zu einer Art Zentralrechner des Finanzsystems wurden. Vergeben wurden die Ratingnoten aber am Ende von Menschen – mit all den Fehlern und Irrtümern, die Menschen nun einmal eigen sind.

Deshalb brauchen wir dezentrale Bewertungsmechanismen. Wenn es zwangsläufig ist, dass Menschen sich irren, dann ist es besser, wir dezentralisieren Entscheidungen. Dann treffen viele Akteure ihre Entscheidung je für sich. Im Wettbewerb zeigt sich dann, welche Entscheidungen besser und welche schlechter waren. Die Besseren gewinnen. Aber das Scheitern der Schlechteren reißt nicht gleich alle in den Abgrund. Deshalb ist Dezentralisierung eine Vorkehrung, damit Fehler keine existenzbedrohende Wirkung haben.

Der Fairness halber muss man aber auch sagen: Es waren nicht alleine Ratingagenturen, die möglich gemacht haben dass der Handel und das damit verbundene „Leverageing“ und „Hedging“ von Subprime-Papiere Dimensionen angenommen haben, die sich als nicht zu verkraften erwiesen. Im Handel mit weniger riskanten Wertpapieren ist im Laufe der Zeit die Akzeptanz für immer größere „Hebel“ gewachsen. Das war auch möglich, weil diejenigen, die für Bilanzierung und Bilanzprüfung verantwortlich waren, die damit verbundenen Risiken nicht gesehen, zumindest aber nicht deutlich genug zur Diskussion gestellt haben. Sie haben letztlich Volatilitäten in den Bilanzen von Finanzdienstleistern geduldet, die dann den Marktteilnehmern selbst so unheimlich wurden, dass sie einander kein Geld mehr geliehen haben. Deshalb ist der Interbankenmarkt ja zeitweise zum erliegen gekommen.

Auch eine zu hohe Akzeptanz von Volatilität erklärt aber nur zum Teil, wie es zu so spektakulären Fehlbewertungen und in der Folge dann Bilanzberichtigungen kommen konnte. Auch da war übrigens der öffentliche Bankensektor wenig vorbildhaft – denken Sie an die IKB und einige Landesbanken. Für mich stellt sich aber zugleich die Frage, ob Wirtschaftsprüfer die hohen Risiken von Wertpapiergeschäften in Zweckgesellschaften, die hohe und höchste Kreditlinien auf das Stammkapital der Muttergesellschaft ziehen konnten, nicht entsprechend erkennen und berichten konnten. Oder ob die umfangreichen Verpflichtungen, die etwa gegenüber Tochtergesellschaften in Irland eingegangen wurden, tatsächlich nicht als Risiko erkennbar waren. In manchen Fällen kann man schon fragen, ob die befassten Prüfer ihrer Aufgabe und Verantwortung, die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens auf Herz und Nieren zu prüfen, nachgekommen sind.

Die betroffenen Wirtschaftsprüfer könnten nun natürlich den Ball weiterspielen an die Bilanzierungsgremien. Auch nicht zu Unrecht. Wahrscheinlich brauchen wir zugleich deutlichere und einfachere Regeln, die weniger Interpretationsspielraum lassen. Am Ende, und das ist für die Zukunft wichtig, bleiben wir aber auf Wirtschaftsprüfer angewiesen, die sich ihrer Verantwortung für das Funktionieren des Markts bewusst sind und auch rechtlich einwandfreie Bilanzierungsvorgänge daraufhin prüfen, ob sie mit einer ausreichenden Risikovorsorge vereinbar oder vielleicht sogar Anzeichen für die Verschleierung von Risiken sind. Im vom Institut der Wirtschaftsprüfer dazu veröffentlichten Fragekatalog von Oktober 2006 zielen eine Reihe Fragen auf wesentliche Voraussetzungen für die Begrenzung von Risiken auf ein verantwortliches Maß: Sind Frühwarnsignale definiert, um bestandsgefährdende Risiken zu erkennen? Sind Hedge-Strategien definiert, also ob bestimmte Strategien durchgeführt werden dürfen, zum Beispiel „antizipatives Hedging“? Einige Fragen zielen außerdem genau auf den Kern des Subprime-Problems, zum Beispiel: Haben sich Anhaltspunkte ergeben, dass die Unterlagen/Erhebungen zur Preisermittlung nicht ausreichend waren, um ein Urteil über die Angemessenheit des Preises zu ermöglichen? Und: Bestehen Finanzierungsprobleme aufgrund einer eventuell zu niedrigen Eigenkapitalausstattung?

Ich sage nicht, dass Wirtschaftsprüfer alles hätten sehen können. Insbesondere fahrlässige oder mutwillige Verschleierungspraktiken sind selten leicht zu erkennen. Ich glaube in dieser Systemkrise stellt sich für jeden von uns die Frage, ob es eine Mitverantwortung gibt, und was wir besser machen können, um unserer Verantwortung für die freiheitliche Wirtschaftsordnung gerecht zu werden.

Unsere Ordnung ist ja deshalb freiheitlich, weil sie ein größtmögliches Maß an gesellschaftlicher Selbstorganisation vorsieht. Dazu zählt die Selbstregulierung der Wirtschaft, für die das Wirtschaftsprüfungswesen eine bedeutende Rolle spielt. Selbstregulierung ist aber nur dann verantwortlich, wenn sie erkannte Missstände und Problemfelder entschlossen angeht. Ich sehe dafür positive Zeichen, zum Beispiel in dem Entwurf für einen Prüfungsstandard zur Beurteilung des Risikomanagements von Kreditinstituten, den der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer vorgelegt hat. Wenn er so verabschiedet und in der Praxis angewendet würde, wäre das sicher ein Beitrag für mehr Sicherheit und Stabilität. Ohne überzeugende Reformen würden aber auch hier die Rufe derer lauter, denen nicht an freiheitlichen Lösungen gelegen ist, sondern an einer immer weitgehenderen staatlichen Aufsicht und Kontrolle wirtschaftlicher Tätigkeit. Was die Wirtschaftsprüfungen angeht, kursiert ja die eine oder andere Idee, von der Mandatsvergabe bis zu Haftungsfragen.

Mir wäre es lieber, wenn es nicht zu solchen staatlichen Eingriffen käme. Das Prinzip, den ökonomischen Wettbewerb in Teilbereichen nicht primär durch staatliche Kontrollen, sondern zuerst durch berufsständische Verfahren für Qualitätssicherung zu begrenzen, muss auch für die Zukunft ein bedeutsames Gestaltungselement bleiben. Für mich ist es eine große Stärke der Sozialen Marktwirtschaft, weil es zugleich Freiheit erhält, Dynamik ermöglicht und nach dem Prinzip der Subsidiarität in geringstmöglichem Maße reguliert. Es entspricht im Übrigen auch dem Wesen einer Bürgergesellschaft.

Berufsständische Selbstregulierung kann aber nur funktionieren, wenn der jeweilige Berufsstand ein Ethos pflegt, das eigenes Handeln mit allen seinen Konsequenzen in Beziehung zur Gesellschaft setzt und den Begriff der Verantwortung mit Leben füllt. Gelegentlich muss man daran auch die Ärzteschaft erinnern, wenn es wieder um eine Gesundheitsreform geht. Vielleicht hat man bei der Deregulierung der Finanzmärkte versäumt, den von diesem Freiheitsgewinn besonders profitierenden Eliten die Notwendigkeit eines Ethos zu verdeutlichen. Nur wenn die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich ihrer Rolle bewusst sind und ein Ethos der Verantwortung leben, dienen sie, wie Schumpeter es ausgedrückt hat, als „die Voraussetzungen unserer freiheitlichen Ordnung schützende Schicht und Institution“.

Es wird einige Zeit brauchen, bis wir diese Krise gemeistert und die wichtigsten Lehren gezogen haben. Ich habe vorher gesagt: keiner ist ohne Schuld. Jedenfalls ist heute keiner ohne Verantwortung für unsere Soziale Marktwirtschaft und die künftigen Lebensbedingungen in unserem Land. Viele Menschen empfinden das auch so. Die Reaktion der meisten auf die Krise, gerade von denjenigen, die nicht auf größere Sicherheitspolster zurückgreifen können, war bisher geradezu beispielhaft. Aber es gibt auch Resignation und Unverständnis, warum von denen, die größeren Anteil haben an dem, was passiert ist, so wenig an Vorschlägen zu hören ist, wie wir da wieder herauskommen. Manche unserer Wirtschaftseliten, die in der Krise die Sprache verloren zu haben scheinen, sollten öffentlich deutlich machen, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Es wäre auch gut, wenn mancher öffentlich von Extrempositionen der Vergangenheit – seien es nun überzogene Renditeziele oder Lohnforderungen – abrücken würde. Dann könnte die Krise zu einem neuen politischen Konsens führen, der die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft, das Bekenntnis zu Freiheit in Verantwortung in den Mittelpunkt stellt. Wir alle müssen wieder verinnerlichen, was – anders als im Artikel 14, Absatz 2 zum Eigentum – nicht wörtlich, aber doch dem Geiste nach in unserem Grundgesetz steht: Freiheit verpflichtet.