Das Konzept der vernetzten Sicherheit



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble beim 7. Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin

Wer unsere Welt verstehen und gestalten will, darf sich nicht begnügen, die Dinge isoliert zu sehen. So hat ein Phänomen wie Jugendgewalt auch mit Schule, beruflichen Chancen und gesellschaftlichen Wertsetzungen zu tun. Zusammenhänge sind komplex, es genügt nicht, einen Hebel umzulegen oder auf einen Knopf zu drücken, um etwas zu verändern. Das gilt auch für die Ursachen von Terrorismus.

Zusammenhänge sind auch deshalb komplex, weil einzelne Ereignisse nicht mehr nur lokale Auswirkungen haben, sondern internationale. Wir sehen das jetzt etwa bei der aktuellen Bankenkrise. Ereignisse in anderen Teilen der Welt gewinnen durch die Globalisierung in zunehmendem Maße Auswirkungen auf unser tägliches Leben. Staaten sind nicht nur durch Geld- und Warenströme eng miteinander verknüpft. Die Menschen nutzen auch die ganze Bandbreite moderner Informations- und Kommunikationstechniken, um sich international auszutauschen und sie sind hochmobil durch Flugzeug und andere Verkehrsmittel.

Die globale Vernetzung produziert neue Bedrohungen, denen wir begegnen müssen. Ursprünglich lokal begrenzte Krisen treffen heute andere Länder unmittelbar: Sie setzen weltweite Migrationsströme frei. Weltweit gibt es zur Zeit etwa 193 Millionen Migranten. Failed states werden zum Zentrum krimineller Banden, die weltweite Drogen- und Waffengeschäfte betreiben. Die Profite daraus fließen zum Teil wiederum international agierenden Terrornetzwerken zu. Kulturelle, politische und religiöse Differenzen werden zum Treibstoff neuer Konflikte, die auch mit terroristischer Gewalt ausgetragen werden. Die Medien spielen bei der Ausweitung von Konflikten eine Schlüsselrolle. Sie schaffen eine Weltöffentlichkeit, die jede Konfliktpartei für sich zu mobilisieren sucht, notfalls auch mit Gewalt und Einschüchterung. Letztlich geht es darum, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung mit allen Mitteln auf sich zu ziehen und die staatliche Ordnung zu schwächen. Das alles ist eine Kurzbeschreibung davon, was wir asymmetrische Konflikte nennen.

Im Grunde operieren heute alle Formen professionell betriebener Kriminalität und erst recht terroristische Netzwerke grenzübergreifend. Das hat weitgehende Konsequenzen für die Strafverfolgung wie für die Gefahrenabwehr. Die global vernetzte Welt zwingt uns – sicherheitspolitisch und darüber hinaus –, auf die Auflösung des Gegensatzes von innen und außen zu reagieren. Die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit wird nur noch von einigen Tugendwächtern der political correctness hochgehalten. In den Fachdebatten spielt sie keine Rolle mehr.

Der Staat muss handlungsfähig sein und das Notwenige entschlossen tun, um Sicherheit zu gewährleisten. Darauf müssen sich die Bürger verlassen können. Tatenlosigkeit wäre falsch, mutlos und die schlechteste Antwort auf die Veränderungen.

Ein modernes Sicherheitskonzept muss den eben skizzierten Zusammenhängen gerecht werden. Sonst kann es nicht viel bewirken. Das bedeutet zum einen, dass wir Sicherheit selbst als vernetzt mit anderen Problemfeldern begreifen müssen. Zur Sicherheit gehören auch Fragen der Integrationsfähigkeit und des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Diese Fragen sind vielleicht wichtiger als vieles andere. Zum anderen bedeutet vernetzte Sicherheit, dass in Deutschland, in Europa und darüber hinaus unsere Sicherheitsbehörden eng zusammenarbeiten müssen, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden.

Deutschland ist bislang von terroristischen Anschlägen verschont geblieben. Einige ziehen daraus den Schluss, die Lage gäbe keinen Anlass zur Besorgnis. Das ist aber nicht ganz richtig. Die Anschlagsserie in Bombay hat wieder einmal gezeigt, welch enormes Ausmaß an Leid und Zerstörung eine kleine Zahl von Terroristen hervorrufen kann.

Wir müssen weiterhin davon ausgehen, dass die Führung von Al-Qaida den Entschluss gefasst hat, in Europa Anschläge zu begehen. Auch Deutschland steht im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus. Das ist kein Grund zur Panik, aber wir müssen wachsam sein. Derzeit stufen unsere Sicherheitsbehörden rund 80 Personen aus dem islamistischen Spektrum als Gefährder ein. Ihre Beobachtung ist von größter Bedeutung für unsere Sicherheit.

Wir hatten auch Glück, dass die Kofferbomben im Juli 2006 nicht explodiert sind. Wir können uns aber auch auf die Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern verlassen. Sie haben verhindert, dass die Sauerland-Zelle ihre Anschlagspläne mit zwölf 60 Liter-Fässern Wasserstoffperoxid umsetzen konnte. Und sie leisten täglich ihren Beitrag, dass wir in Freiheit und Sicherheit leben können. Dafür danke ich allen, die daran mitwirken, recht herzlich.

Erst vor wenigen Wochen – am 2. September 2008 – hat die Generalbundesanwaltschaft Anklage gegen die drei Verdächtigen der Sauerland-Zelle erhoben. Dem ging eine erfolgreiche Zusammenarbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamts und der Länderbehörden voraus. Im Verfassungsschutz ist sie unter dem Namen Operation Alberich bekannt.

Die Operation Alberich zeigt, wie wichtig Informationsaustausch ist, und zwar gerade auch der internationale Informationsaustausch. Informationen sind das wichtigste Instrument politischer Handlungsfähigkeit. Ohne Hinweise amerikanischer Geheimdienste hätten wir die Anschlagspläne der Sauerland-Zelle womöglich nicht rechtzeitig aufdecken und verhindern können.

Hinter den Erfolgen unserer Sicherheitsbehörden steht neben dem Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ein tragfähiges Konzept der vernetzten Sicherheit. Es hat drei Schwerpunkte.

Wir müssen den Netzwerken der Terroristen – erstens – ein Netzwerk unserer Sicherheitsbehörden entgegensetzen. In unserer föderalen Ordnung heißt das zunächst, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder eng miteinander kooperieren müssen. Dazu kommen das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, die Bundespolizei, der Bundesnachrichtendienst und auch der Militärische Abschirmdienst. Sie alle sind Teile dieses Netzwerks. Allein auf nationaler Ebene sind das 38 Behörden. Deren Zusammenarbeit müssen wir sinnvoll koordinieren. Nur so kommen die Stärken unseres föderalen Systems zur Geltung: die Verantwortlichen sind nah am Geschehen, sie wissen, was vor Ort funktioniert und was nicht. Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten im Ausland, wie sie sich bei der Operation Alberich bewährt hat.

Zweitens müssen wir ein Netz über den Kreis der Sicherheitsbehörden hinaus bilden. Ein Schwerpunkt liegt  wiederum im Austausch von Informationen. Beispielsweise können Ausländerbehörden oder Finanzbehörden wichtige Mosaiksteine zum Gesamtbild beitragen. Dieser übergreifende Ansatz bringt uns auch operativ weiter. Ein Beispiel: Ihsan Garnaoui kam nach seiner Ausbildung in einem Terrorcamp mit dem Auftrag zu Terroranschlägen nach Deutschland. Unsere Sicherheitsbehörden haben den Aufbau einer Terrorzelle so frühzeitig verhindert, dass er noch keinen Straftatbestand erfüllt hatte. Garnaoui sitzt trotzdem in Haft – wir konnten ihm unter anderem Steuerhinterziehung nachweisen. Damit müssen wir uns behelfen, solange die Ausbildung in einem Terrorcamp nicht strafbar ist. Die Verhandlungen sind in diesem Punkt kompliziert, und ich unterschätze nicht die damit verbundenen Probleme für die Strafrechtsdogmatiker. Aber auch bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gibt es brauchbare Lösungen. Das sollte auch bei der Strafbarkeit des Aufenthalts in Terrorcamps möglich sein.

Über die staatliche Ebene hinaus müssen wir – drittens – in die Gesellschaft hineinwirken. Hier geht es darum, Bürger einzubinden und zu sensibilisieren. Und es geht vor allem darum, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Radikalisierungsprozesse möglichst erst gar nicht in Gang kommen.

Die Vernetzung unserer Sicherheitsbehörden bringt nur dann etwas, wenn jeder Partner für sich gut aufgestellt ist. Jeder muss sich in seinem Bereich mit den Veränderungen, die unsere Welt mit sich bringt, auseinandersetzen. Sonst wird selbst das beste Konzept den Praxistest nicht bestehen. Nur wenn jede einzelne Behörde auf ihrem Gebiet stark ist, nur wenn die Mitarbeiter jeder Behörde leistungsfähig sind, kann ein gutes Sicherheitsnetz entstehen.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz haben wir die Aufgabe der Veränderung angenommen: Eine Projektgruppe aus Vertretern des Bundesministeriums des Innern und des Bundesamts für Verfassungsschutz hat eine Bestandsaufnahme gemacht und geprüft, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.

An einzelnen Stellen haben wir nachjustiert und uns neu aufgestellt. Andere Vorschläge der Projektgruppe müssen wir noch umsetzen. Unser Hauptziel ist, die operativen Fähigkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu stärken. Ein Beispiel sind besondere Gefährdungslagen, wie wir sie bei der Operation Alberich hatten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird in solchen Situationen in Zukunft eine besondere Projektorganisation einrichten. Diese Bündelung der Fachkräfte hat sich im Polizeibereich bereits vielfach bewährt.

Die operativen Fähigkeiten stärken wir auch, indem wir das Bundesamt für Verfassungsschutz noch besser in die Lage versetzen, in islamistische Kreise einzudringen. Anders bekommen wir nicht die Informationen, die wir brauchen. Und nur wenn wir diese Informationen haben, können wir frühzeitig aktiv werden. Dazu müssen wir die technischen wie auch die personellen Voraussetzungen schaffen. Wir brauchen zum Beispiel zusätzliche Schulungen für die Mitarbeiter. Und wir brauchen zusätzliche Mitarbeiter, die die sprachlichen Kompetenzen haben und mit der islamischen Kultur vertraut sind.

Die Nachrichtendienste erfüllen eine Aufgabe, auf die unsere Gesellschaft zu ihren Schutz notwendig angewiesen ist. Nachrichtendienstliche Informationen sind mit Abstand das wichtigste Mittel zur Bekämpfung terroristischer Gefahren. Es ist nicht nur unredlich, sondern schädlich, den Nachrichtendiensten – wie es teilweise geschieht – unlautere Motive zu unterstellen. Es hat niemand die Absicht, im Privatleben harmloser Bürger herumzuschnüffeln. Und jeder, der das behauptet und dem Staat einen Überwachungswahn unterstellt, untergräbt das Vertrauen in unsere rechtsstaatliche Ordnung. Unsere Sicherheitsbehörden sind dem Gemeinwohl verpflichtet, auch die Nachrichtendienste. Der Rechtsstaat sollte sich daher zu seinen Nachrichtendiensten bekennen.
Natürlich müssen Recht und Gesetz auch für Nachrichtendienste gelten – im Inland wie im Ausland. Sie stehen nicht jenseits des Gesetzes, und ihr Tun darf nicht in rechtliche Grauzonen fallen. Die Pflicht parlamentarischer Verantwortung und politischer Führung gebietet es, klare gesetzliche Grundlagen zu schaffen, damit die Nachrichtendienste ihre notwendigen, unverzichtbaren Aufgaben erfüllen können.

Die Informationen einzelner Behörden können für sich genommen – so wertvoll sie sind – nur ein unvollständiges Bild ergeben. Terroristen kommunizieren über verschiedene Kanäle und sie hinterlassen dabei zwangsläufig Spuren, wenn auch oft unauffällige. Erst wenn wir die Informationen und die Analysekompetenzen aller Behörden zusammenführen, die zur Bekämpfung des Terrorismus beitragen, können wir mit den Spuren etwas anfangen. Wir müssen verstehen, was Verdächtige planen und wie sie miteinander in Verbindung stehen. Dafür brauchen wir die enge Zusammenarbeit unserer nationalen Sicherheitsbehörden. Vor dem 11. September waren in Amerika alle Informationen vorhanden, um den Anschlagsplanungen auf die Spur zu kommen. Aber es fehlte die Vernetzung, um sie zu erkennen.

Wir haben bei der Zusammenarbeit in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. Ich bin überzeugter Föderalist. Deshalb finde ich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern beim Verfassungsschutz richtig. Die Fortentwicklung des Bundesamts für Verfassungsschutz findet ihre notwendige Ergänzung in der Fortentwicklung unserer Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund. In knapp dreißig Projekten arbeiten Bund und Länder vertrauensvoll und konstruktiv zusammen, zum Beispiel bei der Priorisierung von Aufgaben. Wir sollten unsere Aktivitäten noch enger miteinander abstimmen, um die vorhandenen, begrenzten Kapazitäten nicht durch unnötige Doppelarbeit zu verschwenden.

Dazu müssen wir unsere Ressourcen besser bündeln. Im Bundesamt für Verfassungsschutz haben wir das zum Beispiel beim „Islamwissenschaftlichen Kompetenzzentrum“ gemacht. Dadurch stärken wir auch die Analysekompetenz im Verbund. Oberstes Ziel ist auch hier, die operative Arbeit aller Beteiligten zu stärken.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss als Zentralstelle im Verfassungsschutzverbund eine Führungsrolle übernehmen. Bei der Spionageabwehr funktioniert das gut. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohungslage muss dieser Führungsanspruch auch im Bereich des internationalen Terrorismus mit Leben erfüllt werden. Hierzu möchte ich Sie ausdrücklich ermuntern.

Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, den Verfassungsschutzverbund informationstechnisch besser zu unterstützen: NADIS-neu heißt hier das zentrale Projekt. Damit stellen wir den Informationsverbund her, der die Verfassungsschutzbehörden zu einem schlagkräftigen Ganzen vernetzt.

Zusätzlich brauchen wir eine enge Kooperation zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Wir haben in den letzten Jahren zwischen den Bundessicherheitsbehörden eine Kultur vertrauensvoller Zusammenarbeit entwickelt, wesentlich gestützt auf den engen Kontakt im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Und wir haben dies mit einem informationstechnischen Netzwerk unterlegt, der gemeinsamen Antiterrordatei.

Im GTAZ arbeiten mittlerweile rund 240 Personen aus 40 Behörden zusammen. Ihre Kompetenzen ergänzen sich. Damit können wir mögliche Gefahren früher erkennen. Und das GTAZ erleichtert eine bessere Abstimmung einzelner Maßnahmen. Außer den Nachrichtendiensten und Polizeien von Bund und Ländern ist auch die Generalbundesanwaltschaft vertreten. Wir erreichen dadurch eine enge Zusammenarbeit, die sich nicht nur bei besonderen Lagen, sondern auch im Alltag in der Praxis bewährt hat. Das Trennungsgebot ist dadurch keineswegs verletzt. Nachrichtendienste haben keine exekutiven Kompetenzen, aber der Informationsaustausch ist notwendig. Sonst würden uns Nachrichtendienste nicht viel helfen können.

Im GTAZ ist auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertreten. Vernetzte Terrorismusbekämpfung muss sich auch ausländerrechtlicher Instrumente bedienen. Erkenntnisse von Polizeien oder Nachrichtendiensten zum Beispiel zu Hasspredigern können im Einzelfall asylrechtliche oder aufenthaltsbeendende Maßnahmen in Gang bringen. Die zuständigen Ausländerämter bzw. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge können aber erst aktiv werden, wenn sie die nötigen Informationen haben. Umgekehrt haben die Ausländerämter und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Einzelfällen Informationen, die für die Arbeit der Sicherheitsbehörden wichtig sind. Diese notwendige Zusammenarbeit haben wir nicht nur im Bund institutionalisiert: In der Mehrzahl der Bundesländern existieren ähnliche ressort- und behördenübergreifende Arbeitsgruppen.

Die Anschlagspläne der Sauerland-Zelle hätten wir, wie gesagt, ohne Hinweise ausländischer Partnerdienste womöglich nicht rechtzeitig entdeckt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten unseren Partnerländern ist ganz  unerlässlich und entscheidend für die Terrorismusbekämpfung. Das geht aber bei sensiblen Informationen nur, wenn die Vertraulichkeit gesichert ist – das sollten wir bei allen Debatten um mehr parlamentarische Kontrolle berücksichtigen: Das Parlament zielt seinem Wesen nach auf Öffentlichkeit, die nachrichtendienstliche Arbeit lebt aber von Vertraulichkeit. Und wenn wir diese Vertraulichkeit nicht gewährleisten können, bekommen wir die lebensnotwendigen Informationen nicht.

So wichtig es für Geheimdienste ist, ihre Informationen und speziell ihre Quellen zu schützen, so wichtig ist es auch, Informationen zu teilen. Wir können nicht nur Nutznießer von Informationen sein. Wir müssen unsere Partner auch an unseren Erkenntnissen teilhaben lassen. Dazu kann auch die persönliche Vernetzung beitragen, beispielsweise durch die Entsendung von Verbindungsbeamten, speziell in besonderen Lagen. Der Informationsaustausch erfordert zudem klare Regeln. Wo wir solche Regeln noch nicht haben, müssen wir sie uns geben, auch wenn diese Zusammenarbeit aus nahe liegenden Gründen nicht in gleicher Weise in Abkommen fassen können wie die polizeiliche Zusammenarbeit.

Der internationale Austausch zwischen den Nachrichtendiensten funktioniert gut, aber er kann noch weiter verbessert werden. Daran arbeiten wir. Wir sollten neben Informationen zu operativen Vorgängen auch Erfahrungen und Methoden austauschen, ohne Misserfolge und Irrwege zu verschweigen. Daraus können alle Seiten lernen.

Was ich bisher gesagt habe, betrifft die unterschiedlichen institutionellen Handlungsfelder. Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Wir können institutionell viel erreichen, um Verdächtige zu identifizieren und um sie dingfest zu machen. Dann sind die Dinge aber schon gründlich aus dem Ruder gelaufen. Wer sich entschieden hat, ein Terrorcamp zu besuchen, wird auf die Angebote unserer offenen Gesellschaft, auf Lebensperspektiven in unserem Land nicht mehr viel Wert legen. Also müssen wir überlegen, welche Kräfte in unserer Gesellschaft wir fördern können, damit solche Probleme erst gar nicht entstehen, die wir später kaum wieder aus der Welt bekommen. Deshalb muss unser Konzept vernetzter Sicherheit auch die ganze Bandbreite präventiver Ansätze angemessen berücksichtigen.

Auch unsere europäischen Partnerländer legen besonderen Wert auf Präventionsarbeit. Gerade die britische Terrorismus-Bekämpfungsstrategie CONTEST betont diesen Präventionsgedanken. Unsere niederländischen Nachbarn haben ebenfalls eine Reihe von Projekten zur Islamismusprävention durchgeführt. Bei den Treffen der Europäischen Justiz- und Innenminister sprechen wir praktisch in jeder Sitzung über Prävention in Form von Integrationsförderung. Solche Vorbilder waren auch Gegenstand von Beratungen bei der Deutschen Islam Konferenz.

Auf den ersten Blick scheint das keine Aufgabe für Sicherheitsbehörden zu sein. Hard power und soft power gehören aber untrennbar zusammen. Wer das vergisst, zahlt einen hohen Preis. Wir müssen Menschen von unseren Werten einer freien, demokratischen Gesellschaft überzeugen – national wie international. Nur wenn uns das gelingt, können wir Krisenregionen auf Dauer stabilisieren. Auch in Deutschland müssen wir bei der zunehmenden Vielfalt unserer Bevölkerung Sorge tragen, dass ein grundlegender Wertekonsens erhalten bleibt. Respekt, Toleranz, Achtung vor dem Rechtsstaat und denjenigen, die ihn durchsetzen, sind unabdingbar für jedes friedliche Miteinander. Wenn wir den innergesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, tun wir auch etwas für unsere Sicherheit.

Schon bei der Phänomenanalyse sind die Verfassungsschutzbehörden und unsere Polizeien gefordert: Wir müssen verstehen, wie Radikalisierungsprozesse ablaufen und was junge Menschen dafür anfällig macht. Dazu müssen wir auch die Wissenschaft einbeziehen, etwa wenn es darum geht, welche Bedeutung die Medien, insbesondere das Internet, bei Radikalisierungsprozessen haben. Es genügt nicht zu wissen, welche Feindbilder Hassprediger schüren. Wir müssen auch wissen, wie solche Propaganda auf Risikogruppen wirkt und wie wir diese Gruppen mit unseren eigenen Botschaften erreichen.

Damit sind wir schon beim zweiten Schritt: Wir müssen unsere Phänomenanalyse für die tägliche Arbeit fruchtbar machen. Das geschieht bereits in bemerkenswerter Weise. Wir wissen, dass mangelnde Integration anfällig für radikales Gedankengut macht. Also müssen wir unsere Integrationsbemühungen verstärken. Die Bundeskanzlerin hat deshalb die Integration von Zuwanderern zu Recht zu einem Schwerpunktthema dieser Legislaturperiode gemacht.

Wir wissen auch, dass viele ausländische Mitbürger den Kontakt zu Sicherheitsbehörden, vor allem zum Staats- und Verfassungsschutz scheuen. Hier gilt es, Vertrauen zu schaffen. Dafür ist der offene Dialog mit der muslimischen Zivilgesellschaft grundlegend.

Unsere Sicherheitsbehörden haben eine aktive Rolle in diesem Dialog. Der Dialog auf der politischen Ebene der Deutschen Islam-Konferenz ist substanziell und darf nicht im Symbolhaften verpuffen. Deshalb haben wir ein Ansprechpartnernetzwerk zwischen muslimischen Verbänden und Sicherheitsbehörden eingerichtet, das die Vernetzung bis auf die lokale Ebene hinunter trägt.

Bei all diesen Aktivitäten wäre es wünschenswert, dass wir uns auch in der Präventionsarbeit international besser vernetzen. Bei allen Unterschieden können wir voneinander lernen.

Nur mit einem umfassenden Ansatz können wir den Terrorismus nachhaltig bekämpfen. Und nur wenn alle Akteure vernetzt agieren, können wir erfolgreich sein. Für viele Veränderungen werden wir einen langen Atem brauchen. Andere haben wir bereits heute sehr gut umgesetzt.

Der Schutz unserer Bürger gehört zu den Kernaufgaben des Staates. Ihre Arbeit leistet dazu einen wertvollen Beitrag. Damit Sie in Ihrer Arbeit weiterkommen, braucht es den Austausch mit anderen. Dazu dient auch die heutige Veranstaltung mit ihrem internationalen Charakter. Ich wünsche Ihnen viele anregende Vorträge, bleibende Eindrücke und fruchtbare Diskussionen, vor allem aber viele Impulse für unsere weitere Zusammenarbeit.