Das E-Government der Zukunft ist kooperativ und föderal



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble beim 2. Deutschland Online-Kongress in Berlin

(Es gilt das gesprochene Wort)

Eine bekannte Redewendung besagt: „Gut Ding will Weile haben.“ Dahinter steht die Einsicht, dass Sorgfalt, Beharrlichkeit, Ausgewogenheit unabdingbare Erfolgsfaktoren sind. In unserer Welt des permanenten Wandels treten sie nicht selten in den Hintergrund. Trotzdem brauchen wir sie, wenn wir uns nachhaltig entwickeln wollen.

Der öffentliche Dienst muss bei Modernisierungsprojekten nicht unbedingt die Speerspitze bilden. Wichtiger ist, dass er langfristig sichere und beständige Lösungen erreicht. Das heißt aber nicht, dass er Entwicklungen verschlafen darf. Der öffentliche Dienst muss auf der Höhe der Zeit sein, um seine Aufgaben angemessen wahrnehmen zu können.

Dazu braucht er geeignete Strukturen für gemeinsames Handeln. Es ist kein Geheimnis, dass Bund, Ländern und Kommunen die Umstellung auf das Informationszeitalter nicht leicht gefallen ist. Das hat verschiedene Gründe. Auch unsere föderale Praxis hat die notwendige Neuausrichtung nicht eben beschleunigt. Der Föderalismus hat viele Vorzüge. Er führt in vielen Bereichen zu Lösungen, die auf die Besonderheiten kleinerer Einheiten besser zugeschnitten sind als das Entscheidungen auf höherer Ebene leisten könnten. Aber wir mussten in den letzten Jahren auch die Erfahrung machen, dass ebenenübergreifende IT-Projekte nicht selten mühsam waren und weniger effizient verlaufen sind, als alle Beteiligten sich das gewünscht hätten. „Gut Ding will Weile haben“ – dieser Spruch heißt nicht, dass etwas allein schon deshalb gut wird, weil es lange dauert.

Deswegen war es ein wichtiges Ziel der kürzlich abgeschlossenen Föderalismusreform II, die Verantwortlichkeiten und Mitwirkungsrechte bei der Informationstechnik neu zu regeln. Und es ist uns nach intensiven, nicht immer einfachen Diskussionen gelungen, einen guten Schritt weiter zu kommen: Wir haben die Informationstechnik, die zentrale Infrastruktur des 21. Jahrhunderts, in unsere Verfassung eingefügt. Mit dem neuen Artikel 91c GG haben Bund und Länder einen neuen Rechtsrahmen für ihre Zusammenarbeit bei der öffentlichen ITgeschaffen.

Mit Artikel 91c GG wurde zugleich die Kompetenz für das IT-Netz, das Bund und Länder künftig verbindet, klar geregelt: Der Bund wird das Netz errichten und betreiben. Für wichtige Koordinierungsaufgaben, wie zum Beispiel IT-Interoperabilitätsstandards und IT-Sicherheits-standards, wird ein IT-Planungsrat geschaffen. Damit wird die bislang freiwillige, auf mehrere Gremien verteilte Zusammenarbeit von Bund und Ländern erstmals zu einer IT-Steuerung institutionalisiert. Das ist eine gute Entwicklung. Ich muss in Ihrer Gegenwart nicht in die Details gehen. Sie haben diese Diskussionen fachlich eingehend begleitet, wofür ich Ihnen herzlich danke.

Je routinierter wir im Alltag mit PC und Internet umgehen, umso wichtiger wird die moderne Informationstechnologie auch für die Behörden. Die Technik macht neue Wege bei der Arbeit der Verwaltung erst möglich und zugleich erforderlich. Das gilt genauso für die Zusammenarbeit von öffentlicher Hand, privaten Unternehmen und der Zivilgesellschaft.

Durchgängiges E-Government ist heute der Schlüssel für Bürokratieabbau und Modernisierung und damit auch für die Verbesserung der Servicequalität. Das kommt der Bevölkerung zugute und trägt dazu bei, die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort zu sichern. Es geht um Komfort, aber auch um Kosteneinsparungen, wobei die Ansprüche an Verwaltungsdienstleistungen mit den technischen Möglichkeiten immer weiter steigen.

Die Wirtschaft hat die Bedeutung der IT früher als der Staat erkannt und die IT in jeden Arbeitsbereich integriert. Der Staat muss hier noch aufholen. Er steht aber nicht in einem Wettbewerb mit der Wirtschaft um die modernsten IT-Lösungen. Die Wirtschaft lebt viel stärker von Innovationen als der Staat; sie wird dem Staat wohl immer einen Schritt voraus sein. Das hat aber auch eine gute Seite: Weil der Staat vorsichtiger und abwartender ist, kann er Fehlentwicklungen, die unter Innovationsdruck gelegentlich entstehen, eher vermeiden oder ausgleichen.

Die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung können wir im 21. Jahrhundert nur mit geeigneter Informations- und Kommunikationstechnologie bewältigen. Das setzt die Bereitschaft für notwendige Investitionen voraus: Der öffentliche Sektor in Deutschland verfügt mittlerweile über das größte Auftragsvolumen für IKT-Beschaffungen in Europa. Wir geben im Jahr mehr als 17 Milliarden Euro für die Verwaltungs-IT aus. Das sind 20 Prozent vom Gesamtmarkt. Damit hat der Staat eine zentrale Stellung als Marktschaffender und als Impulsgeber für technische Entwicklungen.

E-Government ist in der Politik angekommen: Wir sehen die Vorzüge; wir richten unsere Strukturen daran neu aus; wir investieren. Aber es sieht so aus, als ob wir bei der Nutzerakzeptanz auf einen kritischen Punkt zusteuern: Der Widerstand aus der Netzgemeinschaft gegen Projekte wie das BSI-Gesetz oder De-Mail ist erheblich und könnte am Ende bewirken, dass vernünftig ausgeführtes, für mehr Sicherheit bürgendes E-Government nicht die Akzeptanz findet, die es verdient.

Hier sind viele Spekulationen und haltlose Unterstellungen im Spiel von Menschen, die sich in Debatten mit der Politik gerne auf ihre fachliche Überlegenheit berufen. Wer aber mit Verweis auf seine Sachkunde Gehör beansprucht, sollte nach meinem Verständnis auch in der Lage, sachlich zu argumentieren statt unbegründete Ängste zu schüren.

Es ist ein grobes Missverständnis und eine Fehlwahrnehmung, dem Staat im Internet Zensur- und Überwachungsabsichten zu unterstellen. Das ist unredlich und schädlich: Es unterminiert das Vertrauen in staatliches Handeln, wenn der Staat in der Wahrnehmung seiner Schutzfunktion nicht als Quelle der Freiheit, sondern als deren Feind wahrgenommen wird.

Der Staat will, dass die Bürger neue Technologien einfach und sicher unter Wahrung der Rechte jedes Einzelnen nutzen können. Er will zum Maßhalten und zu Verlässlichkeit beitragen. Nicht mehr und nicht weniger. Es wäre hilfreich, wenn Unternehmen und Verbände uns dabei noch sichtbarer unterstützen und für unsere gemeinsamen Anliegen werben.

Impulsgeber für Sicherheit im Internet ist der Staat zum Beispiel mit dem elektronischen Personalausweis. Er ist auf die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft zugeschnitten – vor allem mit dem Sicherheitskonzept der gegenseitigen Authentisierung mittels des Ausweises.

Wir haben den Rechtsrahmen für den neuen Ausweis geschaffen und die Zusammenarbeit mit IT-Unternehmen und Wissenschaftlern bei der Entwicklung der technischen Komponenten angestoßen. Jetzt liegt es an der Wirtschaft, die Einsatzmöglichkeiten für den neuen Ausweis zu schaffen. Das Bundesministerium des Innern unterstützt Unternehmen, die den elektronischen Personalausweis für ihre Produkte nutzen wollen, ab Oktober mit einem praxisnahen Testverfahren.

Wir wollen die Nutzer anregen, die neuen Authentisierungs- und Signaturverfahren anzuwenden. Dafür soll mindestens eine Million Privathaushalte mit den erforderlichen Kartenlese-Geräten ausgestattet werden. Gelingt die Verdopplung der vorgesehenen Mittel durch einen gemeinsamen Fonds von Staat und Wirtschaft, werden zwei Millionen Privathaushalte das kostenfreie Starter-Kit bekommen können. So unterstützen wir nicht nur Unternehmen der IT-Sicherheitsbranche, sondern alle Anbieter von E-Business, vor allem Banken, Versicherungen und Versandhändler.

Die Ausgabe der Starter-Kits ist eine von über 300 Maßnahmen aus dem IT-Investitionsprogramm, das der Deutsche Bundestag im Februar 2009 beschlossen hat. Mit diesem Programm fließen im Rahmen des Konjunkturpakets II zusätzlich 500 Millionen Euro in die Informations- und Kommunikationstechnik der Bundesverwaltung. Die Maßnahmen sollen die Bundesverwaltung sicherer, umweltfreundlicher, effizienter und bürgernäher machen und sie sollen helfen, die deutsche IT-Wirtschaft nachhaltig zu stärken.

Dank einer zügigen Ressortabstimmung konnten wir die Planungen für das IT-Investitionsprogramm ungewöhnlich schnell abschließen. Dass uns das gelungen ist, zeigt, dass die Informationstechnik in der Politik angekommen ist. Dabei ist uns die neue Organisation der IT-Steuerung seit Anfang letzten Jahres zu Gute gekommen. Die IT-Beauftragten der Ressorts haben im IT-Rat eine gemeinschaftliche und effektive Form der Zusammenarbeit gefunden. Nur hierdurch konnten wir das IT-Investionsprogramm so schnell aufsetzen.

Mittlerweile sind die zentralen Fragen der Informationstechnik auch zu einer Angelegenheit des Parlaments geworden. Das belegen zum Beispiel die drei Gesetze mit Bezug zur Informationstechnik, die mein Ressort in letzter Zeit eingebracht hat: das BSI-Gesetz, das Bürgerportalgesetz und das bereit erwähnte IT-Netz-Gesetz.

Den Stellenwert der Informationstechnik in der Politik können Sie auch am IT-Gipfel-Prozess ablesen. Der IT-Gipfel steht als fester Termin im Kalender der Kanzlerin und vieler anderer hochrangiger Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Wir haben mit dem IT-Gipfel-Prozess eine unverzichtbare Plattform geschaffen, um die Zukunft der Informationstechnik in Deutschland langfristig und über wechselnde politische Konstellationen hinweg zu gestalten. Die Bundeskanzlerin hat das auf dem letzten Gipfel sehr treffend gesagt: „Informationstechnologie ist so parteiübergreifend, dass man sich auch zusammen damit befassen sollte.“

Seit dem ersten IT-Gipfel im Dezember 2006 in Potsdam haben die jährlichen Treffen eine beachtliche Katalysatorwirkung entwickelt. Das kann ich für alle Themen sagen, die wir in der AG 3 angehen. Manche Projekte, wie die Neuregelung der IT-Steuerung des Bundes, haben wir in einem Jahr initiiert und auf dem darauf folgenden Gipfel erfolgreich abgeschlossen. Andere Projekte konnten wir voranbringen, wie die Behördenrufnummer D 115 oder die Kooperationen mit der Wirtschaft bei den Prozessketten, dem elektronischen Personalausweis und der De-Mail.

Der IT-Gipfel Prozess bezieht seine Stärke auch daraus, dass die CeBIT und seit 2008 auch der Deutschland-Online Kongress ein geeignetes Forum bieten, um die Gipfel-Themen auch mit Fachleuten zu diskutieren, die nicht in den Arbeitsgruppen vertreten sind. Diese Diskussionen schaffen eine breite, konstruktive Basis für die Vorhaben der Arbeitsgruppen. Diese Erfahrung habe ich als Vorsitzender der AG 3 mehrfach gemacht.

Auch dieser zweite Deutschland-Online Kongress bietet ein solches Forum: Wir setzen heute eine Diskussion über die Zukunft des deutschen E-Government fort, die im letzten Herbst mit dem ersten Deutschland-Online Kongress und dem Dritten IT-Gipfel begonnen hat.

Mit der inhaltlichen Ausgestaltung der E-Government Gesamtstrategie stehen wir am Beginn einer neuen Phase im deutschen E-Government. Erstmals sind alle Ebenen der öffentlichen Verwaltung in Deutschland eingebunden, um sich auf einen gemeinsamen nationalen Rahmen für den Einsatz von Informationstechnologie zu verständigen.

Dieser Rahmen setzt eine breite Akzeptanz bei den Beteiligten voraus. Deshalb hat mein Ressort in den letzten Monaten das Gespräch mit dem Rat der IT-Beauftragten der Ressorts gesucht und mit den Gremien von Deutschland-Online sowie mit der AG 3. Ihre Fachkenntnis und ihre Zukunftsvorstellungen bilden die Basis für die neue Strategie.

In der Konstellation, in der Sie hier versammelt sind, sind Sie meines Wissens bislang noch nie zusammen gekommen. Heute ist zum ersten Mal die Gelegenheit, die E-GovernmentGesamtstrategie im direkten Austausch aus der Sicht der ressortübergreifenden Steuerung der Bundes-IT, der Bund-Länder-übergreifenden Steuerung der Informationstechnik und der Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zu diskutieren. Ziel der Diskussion sollte sein, die strategischen Eckpunkte für das deutsche E-Government bis 2015 zu vereinbaren. Ich bin auf die Ergebnisse sehr gespannt und werde die Diskussion nach Kräften unterstützen.

Wer etwas erreichen will, muss die Messlatte hoch hängen. Wir sollten den Anspruch haben, Deutschland beim E-Government an die europäische Spitze zu bringen. Bund, Länder und Kommunen sollen ihre eigenen Strategien und Umsetzungspläne künftig an der Gesamtstrategie orientieren. So können wir in wenigen Jahren ein kooperatives und föderalesE-Government auf allen Verwaltungsebenen schaffen. „E-Government made in Germany“ soll Vorbild werden und internationale Anerkennung finden. Das setzt voraus, dass wir keine nationale Insellösung schaffen, sondern die Ziele und Inhalte des europäischen E-Government aufgreifen.

Dabei geht es um viele technische Fragen, aber nicht ausschließlich. Auch den Themen Vertrauen, Datenschutz sollten wir ebenso gerecht werden wie den Fragen nach Transparenz und Partizipation. Dafür bedarf es oft neuer technischer Lösungen, aber in erster Linie der Entscheidung und des Willens, die Möglichkeiten der IT für mehr Dialog, mehr Beteiligung und mehr Information zu nutzen.

E-Government bietet uns viele Chancen, die wir nutzen sollten – zum Beispiel indem wir dem deutschen E-Government 2010 einen ganzen Tag öffentlich widmen und die Bürger über alle Facetten des E-Government informieren. Insbesondere müssen wir auf die Leute zugehen, die das Internet noch nicht nutzen. Dieser Vorschlag fand beim ersten Deutschland-Online Kongress unter Ihnen bereits viele Befürworter. Ich halte das ebenfalls für eine sehr gute Idee. Natürlich kann der Staat einen solchen Tag nicht allein realisieren, aber wenn wir das zusammen machen, können wir sicher viel erreichen.

Es ist viel Bewegung in das E-Government in Deutschland gekommen. In einem dynamischen Umfeld werden wir die nationale E-Government Gesamtstrategie immer wieder auf ihre Aktualität hin prüfen müssen. Die öffentliche Verwaltung muss sich noch mehr darauf einstellen, nicht nur in Zielen, sondern auch in offenen Prozessen zu denken. Möglicherweise zeichnet sich der moderne Staat gerade dadurch aus, dass er mit dem Unperfekten, sich Wandelnden produktiv umzugehen weiß.

Der Prozesscharakter macht es auch leichter, die Diskussion an einer Stelle, ausgehend vom gegenwärtigen Status Quo, zu beginnen, ohne dass man sich in allen Fragen bereits einig sein muss. Die Justierungen, die wir in der nächsten Zeit gemeinsam vornehmen, müssen nicht alle Punkte sofort und erschöpfend erfassen. Neue Aspekte können später hinzukommen; unnötiger Ballast kann wieder über Bord geworfen werden. Die Offenheit dieses Prozesses bietet die Chance, dass sich alle Beteiligten in den Ergebnissen ein gutes Stück weit wieder finden können.

Von diesem Deutschland-Online Kongress kann ein starkes Signal für die künftige Entwicklung des deutschen E-Government ausgehen: Wir können einen substantiellen gemeinsamen Ansatz entwickeln. Diese Chance sollten wir gemeinsam ergreifen, weil alle Beteiligten davon profitieren.

Der neue Ansatz des deutschen E-Government ist ebenso kooperativ wie föderal. Er spiegelt sich in den Rahmenbedingungen wider, die wir mit der Föderalismusreform geschaffen haben: vor allem im IT-Planungsrat und im Prinzip des „Einige-für-alle“ bei der Entwicklung und Realisierung von E-Government-Angeboten. Dieser Ansatz kommt nicht aus dem luftleeren Raum. Er greift auf, was die handelnden Personen und ihren Umgang miteinander schon seit geraumer Zeit charakterisiert: Respekt vor der Eigenständigkeit der Anderen, gepaart mit dem Willen zum Gemeinsamen.

Ihre gemeinsame Suche nach neuen Lösungen hat den Ausbau des deutschen E-Governmentvorangetrieben und immer wieder die notwendigen Impulse gegeben. Ich hoffe, dass wir Gleiches auch in fünf Jahren sagen können, wenn wir auf die nun beginnende nächste Phase des deutschen E-Government zurückblicken.