BOS-Digitalfunk auf der Zielgeraden



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Das Thema BOS-Digitalfunk ist nicht ganz neu. Und es ist bisher nicht gerade ein Thema, bei dem es Lob geschüttet hätte. Und es ist ja auch die Aufgabe der Presse, die Arbeit der Regierung und der öffentlichen Verwaltung eher kritisch als wohlwollend zu begleiten. Aber es gibt auch eine Tendenz in der Berichterstattung, die Dinge vereinfacht statt differenziert darzustellen.

Heute ist die einfache, gute Nachricht, dass Berlin als einer der ersten zwei von 45 Netzabschnitten in Deutschland ein komplett funktionsfähiges Netz fertig gestellt hat, das bereits den Betrieb aufgenommen hat. Berlin ist damit – zusammen mit Bremen und Hamburg – Vorreiter des BOS-Digitalfunks, eines der größten Modernisierungs- und Investitionsprojekte in Deutschland. Ich danke allen im Land Berlin und im Bund, die daran mitgearbeitet haben. Sie haben eine anspruchvolle Aufgabe bewältigt.

Die Errichtung des Digitalfunks für die Sicherheitsbehörden gehört zu den wichtigen, aber nicht zu den leichten Aufgaben der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern. Der Hauptgrund liegt darin, dass es sich um ein sehr komplexes, technologisch anspruchvolles Großprojekt mit vielen Beteiligten handelt. Unsere föderale Struktur – die sich gerade bei der Gewährleistung der Sicherheit insgesamt sehr bewährt hat – hat die Umsetzung dieses Projektes bisweilen nicht gerade einfacher gemacht. Das mag dazu beitragen, dass wir nicht zu den sieben Ländern in Europa gehören, die bereits über landesweite TETRA-Netze für den Digitalfunk verfügen, sondern zu denjenigen, die das Netz derzeit noch aufbauen. Dass wir nicht unter den ersten sind, liegt aber vor allem auch daran, dass der deutsche Digitalfunk weltweit das größte Projekt seiner Art ist. Es ist kaum überraschend, dass Deutschland länger für die Einführung des Digitalfunks braucht als etwa Belgien. Selbst das bisher größte funktionsfähige Netz, das englische, ist flächenmäßig um ein Drittel kleiner und auf nicht einmal halb so viele Nutzer ausgerichtet wie das deutsche Netz.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern verfolgen wir beim BOS-Digitalfunk auch einen ganzheitlichen Ansatz, der zum Beispiel die Versorgung der Luftfahrzeuge mit einschließt. So garantiert das „Air-Ground-Air Overlaynetz“ eine störungsfreie, digitale Funkversorgung für alle Luftfahrzeuge der BOS-Kräfte in ganz Deutschland.

Diese Besonderheiten müssen bei aller Kritik über den späten Fertigstellungstermin berücksichtigt werden.

Bei einem so komplexen Vorhaben wie der Einführung des BOS-Digitalfunks, bei dem man an vielen Stellen auch nicht auf Praxiserfahrung zurückgreifen kann, kann niemand im Voraus schon eine endgültige Kosten- und Zeitgarantie erwarten oder geben. Natürlich müssen Einschätzungen so sorgfältig wie irgend möglich gemacht werden, um einen möglichst realistischen Kosten- und Zeitplan aufzustellen. Wo diese Sorgfalt nicht eingehalten wurde, ist Kritik berechtigt und angebracht. Aber jeder Bauherr weiß, dass bei der Realisierung selbst eines gewöhnlichen Hauses in aller Regel ungeahnte Schwierigkeiten auftreten, die den Zeitplan verzögern und die Kosten höher ausfallen lassen als ursprünglich geplant. Billiger und schneller wird es dagegen selten. Beim BOS-Digitalfunk gab es beispielsweise das Problem, dass bei der ursprünglichen Planung einfach nicht feststand, wo genau die Basisstationen aufgestellt werden können. Die hohen Anforderungen an die Standorte – etwa Erdbeben- und Hochwassersicherheit – haben schließlich dazu geführt, dass die angestrebte, möglichst günstige Verteilung der Sendemasten nicht realisierbar war und zusätzliche Sendemasten notwendig wurden. Ebenso wenig war vorhersehbar, in welchem Umfang Einsprüche von Bürgern die Aufstellung von Sendemasten verzögern würden.

Und umgekehrt wäre es auch problematisch, schon zu Beginn keine ambitionierte Zielsetzung zu machen aus Angst vor Unwägbarkeiten. Die Erfahrung zeigt, dass Zeit- und Finanzpuffer, wenn man sie von Anfang an großzügig vorsieht, im Zweifel auch genutzt werden. Das kann aber auch nicht im Interesse der Steuerzahler sein.

Inzwischen kommt der Digitalfunk in großen Schritten voran und eine landesweite Versorgung ist absehbar. Das Netz wird im kommenden Jahr in vielen Gebieten betriebsbereit sein, eine flächendeckende Versorgung wird in weiteren zwei Jahren erreicht.

Der Digitalfunk bringt für die BOS-Kräfte eine neue Qualität der Kommunikation. Der Digitalfunk ist schneller als der analoge Funk, und er ist im Gegensatz dazu störungsfrei und abhörsicher.

Er verbessert die Kommunikation der Einsatzkräfte durch eine deutlich bessere Akustik. Die digitale Sprachqualität, die wir etwa aus dem Festnetz bei Nutzung von ISDN kennen, bedeutet einen enormen Gewinn für die verlässliche Durchführung von Einsätzen. Denn wenn etwa Rettungskräfte vor lauter Rauschen im Funkgerät kaum verstehen, wo genau ein Einsatz stattfinden soll, kann das verheerende Folgen haben.

Mit dem Digitalfunk ist es zudem möglich, dass alle an einem Einsatz beteiligten Kräfte unmittelbar miteinander kommunizieren. So können beispielsweise Kräfte von Bundespolizei, THW und BKA in einer Kommunikationsgruppe gebündelt werden. Ebenso ist es möglich, regionale Sicherheitskräfte eines Landes einzubeziehen. Die Kommunikation wird dabei über so genannte Autorisierte Stellen vermittelt.

Darüber hinaus werden sich die BOS-Kräfte auch über größere Entfernungen per Funk abstimmen können. Sobald wir ein flächendeckendes Netz über Deutschland haben, können beispielsweise externe Einsatzkräfte – selbst wenn sie noch mehrere hundert Kilometer entfernt sind – von ihren Kollegen, die bereits vor Ort sind, eingewiesen und vorbereitet werden.

Zu den weiteren Vorteilen der digitalen Funkversorgung gehört die metergenaue Lokalisierbarkeit der Endgeräte, die mit einem GPS-Modul ausgestattet sind. So werden Hilfskräfte schneller und zielgerichteter als bisher an in Not geratene Einsatzkräfte geleitet. Auch die Datenfernabfrage per Funkgerät, zum Beispiel eine Kfz-Halterabfrage, wird mobil und flächendeckend möglich.

Ähnliche Funktionen sind zwar auch in den GSM- bzw. UMTS-Netzen verfügbar, allerdings nicht unter Gewährleistung der für die BOS-Kräfte notwendigen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Der jüngste Systemausfall bei einem größeren deutschen Mobilfunkanbieter hat einmal mehr bewiesen, dass solche Anforderungen keine Exzentrik von Sicherheitsbegeisterten ist, sondern Voraussetzung für die verlässliche Einsatzbereitschaft unserer Kräfte in Gefahrensituationen.

Der neue Digitalfunk erfüllt die Anforderungen der Sicherheitsbehörden in vollem Umfang. Die Datenübertragungsgeschwindigkeit reicht für die gegenwärtige, fast ausschließlich sprachliche Nutzung vollkommen aus. Auch eine Datenübertragung ist grundsätzlich schon möglich. Für die Zukunft, in der der Bedarf für eine Übertragung etwa von Bildern und Videos wahrscheinlich zunehmen wird, ist das System erweiterungsfähig.

Das BOS-Digitalfunknetz arbeitet autark und ist sowohl bei der Energieversorgung als auch in der Netzanbindung mehrfach redundant ausgelegt. Darüber stellen wir hohe Anforderungen an den materiellen Schutz jeder einzelnen Komponente des Netzes. So ist gewährleistet, dass auch im Katastrophenfall die Einsatzkräfte unter allen Umständen auf ein zuverlässiges Kommunikationsmittel zurückgreifen können. Dass solche Szenarien durchaus real und auch folgenreich sind, zeigte Ende 2005 der tagelange Stromausfall im Münsterland. Mit dem BOS-Digitalfunk sind wir künftig für solche Situationen gewappnet.

Meine Amtskollegen in den Ländern und ich sind uns der großen Verantwortung bewusst, die wir für die Sicherheit in Deutschland und für die Sicherheit der Einsatzkräfte tragen. Wir müssen die Voraussetzung schaffen, damit die Behörden und Einsatzkräfte – auch in einer sich wandelnden Welt – ihre Arbeit weiterhin so engagiert und erfolgreich leisten können. Dazu gehört eine zeitgemäße technologische Ausstattung und Infrastruktur. Deswegen ist es gut, dass der BOS-Digitalfunk – nach manchen Schwierigkeiten und Rückschlägen – endlich auf der Zielgeraden ist und – wie in Berlin – nun nach und nach in Betrieb gehen wird. Ich wünsche allen, die an diesem wichtigen Vorhaben arbeiten, gutes Gelingen.