Befürchtungen haben sich nicht bestätigt



Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung über die Bilanz ein Jahr nach dem Beitritt Polens und Tschechiens

Sächsische Zeitung: Herr Schäuble, seit einem Jahr sind die Grenzen zu Polen und Tschechien offen. Wie lautet Ihre Bilanz nach einem Jahr Schengen-Beitritt der beiden Nachbarländer?

Dr. Schäuble: Der Leitsatz der Schengen-Erweiterung „Mehr Freiheit – mit Sicherheit“ hat Bestand. Die gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind. Die intensiven und langjährigen Vorbereitungen haben sich ausgezahlt.

Sächsische Zeitung: Die Nachricht vom geplanten Abbau von über 900 Dienstposten der Bundespolizisten aus Sachsen hat in der Grenzregion für Verunsicherung gesorgt. Wie viele Beamte der Bundespolizei werden dauerhaft in Sachsen bleiben?

Dr. Schäuble:  Die Sicherheit der Bevölkerung, aber auch das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger sind mir ein besonderes Anliegen. Durch den Wegfall stationärer Personenkontrollen an den Grenzen zur Republik Polen und zur Tschechischen Republik ist der Bedarf an Bundespolizistinnen und Bundespolizisten in Sachsen aber an die neuen grenzpolizeilichen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Bundespolizei bleibt in Sachsen auf überdurchschnittlich hohem Niveau präsent und überwacht weiterhin den 30-Kilometer-Grenzraum im Rahmen einer mobilen Streifentätigkeit. Sie führt lageabhängige Kontrollen zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und unerlaubter Einreisen durch. Für die Bekämpfung der Allgemeinkriminalität, also beispielsweise von Kfz-Diebstählen, sind im Rahmen der föderalen Aufgabenwahrnehmung weiterhin die Polizeien der Länder zuständig. Die Bundespolizei arbeitet, insbesondere im grenznahen Raum, eng und vertrauensvoll mit den Polizeien der Länder und den benachbarten polnischen und tschechischen Partnerbehörden zusammen, um gemeinsam gegen grenzüberschreitende Kriminalität vorzugehen.

Sächsische Zeitung: Ihr Ministerium hatte angekündigt, ein Lagebild über die Kriminalitätsentwicklung in der deutsch-polnischen bzw. deutsch-tschechischen Grenzregion zu erstellen. Wo sind nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums die regionalen Schwerpunkte der Kriminalitätsentwicklung: Sachsen, Brandenburg oder Bayern?

Dr. Schäuble: Seit dem 21. Dezember 2007 wurden an der rund 1300 Kilometer langen Grenze zu Polen und Tschechien insgesamt 2922 unerlaubte Einreisen festgestellt. Die meisten der unerlaubt Eingereisten sind in das jeweilige Herkunftsland zurückgekehrt. Die Übrigen erhielten nachträglich eine Berechtigung zur Einreise oder wurden an die zuständigen inländischen Behörden übergeben. Zu Beginn des Jahres ist es zu einem erwarteten, kurzzeitigen Anstieg der unerlaubten Einreisen gekommen, da Reisende irrtümlich mit einem Visum, gültig nur für Polen und Tschechien, nach Deutschland einreisen wollten.

Im weiteren Verlauf des Jahres hat die Bundespolizei jedoch eine rückläufige Tendenz festgestellt. Auch diese Bilanz zeigt, dass die Ausgleichsmaßnahmen der Bundespolizei greifen.

Sächsische Zeitung: Halten Sie die Kriminalitätsentwicklung in den Grenzregionen für besorgniserregend, oder handelt es sich in erster Linie um eine gefühlte Bedrohung?

Dr. Schäuble: Aus den Erfahrungen früherer Schengen-Erweiterungen an den Westgrenzen wissen wir, dass die Neuerungen in der Anfangszeit oft mit einer gewissen Verunsicherung verbunden sind. Als 1995 die Grenzkontrollen zu Frankreich wegfielen, gab es ganz ähnliche Befürchtungen in der Bevölkerung wie derzeit in einzelnen regionalen Bereichen an den Grenzen zur Republik Polen und zur Tschechischen Republik. Diese Befürchtungen haben sich schon damals nicht bewahrheitet. Bei den bisher bekannten Zahlen handelt es sich um erste Erkenntnisse, und die Entwicklung in den Grenzregionen steht weiterhin im Focus unserer Arbeit. Mit der Mitgliedschaft weiterer Schengen-Partner gewinnen wir übrigens immer auch ein Mehr an Sicherheit.

Die Fragen stellte Karin Schlottmann.